Der Gesang des Satyrn. Birgit Fiolka. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Birgit Fiolka
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748591832
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und ihr geweißtes Gesicht flößte Neaira Furcht ein. „Wie ich sehe, hat sich die kleine Mänade in ihr Schicksal gefügt. Das ist gut, denn es wäre doch schade um so ein hübsches Ding. Idras ist sehr geschickt mit dem Stock. Ich sehe nicht den kleinsten Kratzer auf deiner Haut.“ Als ob sie ein Pferd prüfte, zog sie Neaira zu sich hin und betastete ihren Körper. Wäre sie eine Katze gewesen, Neaira hätte einen Buckel gemacht und gefaucht – vor allem als Nikarete ihr den Mund öffnete, um hineinzuschauen. „Alle Zähnchen am richtigen Platz, keines ausgeschlagen oder faul.“

      Neaira klappte den Mund so schnell zu, dass Nikarete erschrocken ihre Finger zurückzog und sie verärgert ansah. „Du bist noch sehr jung und wirst genügend Zeit haben dich zu besinnen, doch Metaneira hier ... “, sie wies mit einem spitzen Finger auf das Mädchen, das dem Geschehen still zugesehen hatte, „ ... muss rasch lernen! Entweder ein Leben als Wollspinnerin in einem Sklavenchiton und nachts die schwitzenden Körper einfacher Seeleute und Männer oder guter Wein, die Gesellschaft reicher Herren und Annehmlichkeiten. Wofür entscheidest du dich?“

      Das Mädchen legte die Wollspindel zur Seite und antwortete, ohne zu zögern: „Auch wenn mein Körper mir nicht mehr gehört, so würde ich doch das angenehmere Leben vorziehen.“

      Nikarete schien zufrieden, denn ein seltenes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Dann heiße ich dich in meinem Haus willkommen. Ab heute wirst du meine Tochter sein.“

      Es war dem Entschluss Metaneiras zu verdanken, dass sie nicht länger ihre Zeit mit Wollspinnen verbringen mussten. Sie zogen noch am gleichen Tag aus dem hinteren Teil des Hauses auf den großen Hof mit den vielen Zimmerfluchten um. Auch das neue Zimmer war klein, stellte jedoch eine wesentliche Verbesserung dar – es wurde nicht hinter ihnen verschlossen, und sie konnten hinaus auf den Hof gehen und die Sonne in ihr Gesicht scheinen lassen. Sie hatten die Sonne so lange nicht mehr gesehen, dass Metaneira ein Polster von ihrer Schlafkline zerrte und es in den Hof legte, wo sie den ersten Tag einfach faul in der Sonne lagen. Ihre bescheidene Idylle hatte nur einen einzigen Makel – Stratola und Anteia lebten ebenfalls auf dem Hof. Neaira entdeckte die beiden, wie sie tuschelnd mit ihren Wollkörben vor ihren Zimmern saßen und Wolle spannen. Doch die Schadenfreude darüber, dass vor allem Stratola der verhasste Wollkorb nicht erspart geblieben war, erregte nur kurz Neairas Aufmerksamkeit. Stattdessen maß sie den Abstand vom Boden bis zum Dach der Zimmer, der nicht besonders hoch zu sein schien. „Wir könnten doch einfach weglaufen – nachts, wenn alle schlafen.“

      Metaneira, die neben ihr in der Sonne gedöst hatte, öffnete die Augen und schüttelte den Kopf. „Denk nicht mal dran, meine Kleine. Glaub mir, da draußen ist nichts für uns, und ich verbiete dir, nachts das Zimmer zu verlassen.“

      Eine trotzige Bemerkung lag auf Neairas Lippen, doch sie verschluckte sie. Metaneira war zu nett zu ihr, und sicherlich würde sich noch eine bessere Gelegenheit zur Flucht bieten. Denn fortlaufen wollte sie auf jeden Fall.

      Sofort am ersten Abend verstand Neaira auch, weshalb Metaneira nicht wollte, dass sie nachts das Zimmer verließ. Ungewohnte Geräusche, schrille Laute und dumpfes Grunzen raubten ihr den Schlaf und machten ihr Angst. Vielleicht, so glaubte sie, waren es Mänaden und Satyrn, die diesen unscheinbaren Hof heimsuchten, um ein Fest für Dionysos zu feiern. Ihre Mutter hatte ihr oft vom Weingott und seinem Gefolge erzählt, wenn sie unartig gewesen war. „Wenn du nicht damit aufhörst, werden die Satyrn dich holen, und du musst mit ihnen im Wald leben!“ Immer wieder hatte ihre Mutter mit dem Finger gedroht und ihr dann schaurige Geschichten von den Festen der Satyrn und Mänaden erzählt; es waren unheimliche Feste von einer solchen Ausgelassenheit, dass sich Menschen wie Raubtiere benahmen und rohes Fleisch von den Tieren des Waldes in sich hineinschlangen. In ihrem kindlichen Verstand wusste Neaira sich zwar nichts Genaues vorzustellen, doch die Geschichten ihrer Mutter weckten Ahnungen von grauenvollen Dingen, die in den Wäldern vor sich gingen und von Schattenwesen mit Hörnern, Ziegenohren und Pferdeschwänzen, die über junge Mädchen herfielen und sie zwangen mit ihnen zu tanzen. Die Geräusche, die vom Hof und aus den Zimmern an ihre Ohren drangen, ließen sie solch schreckliche Dinge befürchten, von denen ihre Mutter ihr erzählt hatte. Die gesamte Nacht hielt sie sich die Ohren zu und bemühte sich vergeblich um Schlaf, während Metaneira neben ihr weniger ängstlich zu sein schien. Erst gegen Morgen kehrte Ruhe auf dem Hof ein, und Neaira verschlief beinahe den ganzen Tag. Nach den ersten unruhigen Nächten gewöhnte sie sich jedoch an das nächtliche Treiben, zumal sie meist ohnehin neben Metaneira auf das Polster kletterte, anstatt auf ihrer eigenen Schlafmatte zu schlafen. Neugierig fragte sie Metaneira einmal, ob Stratola und die anderen Mädchen nachts auf dem Hof zu Mänaden wurden und sich mit Satyrn zusammentaten. Anscheinend sprach Metaneira jedoch nicht gerne darüber, da sie ihr keine Antwort gab und stattdessen durchkitzelte, sodass Neaira ihre Frage schnell vergaß. Wenn sie aber nachts neben Metaneira lag und die Geräusche vom Hof vernahm, meinte sie zu wissen, dass es so war. Nicht umsonst war Stratola von Anfang an so unfreundlich gewesen, und nicht umsonst schien sogar Metaneira Angst zu haben nachts ihr Zimmer zu verlassen. Neaira war sich ganz sicher, das Geheimnis dieses seltsamen Hauses gelöst zu haben. Alle hier waren Diener des Dionysos und seiner Scharen – Stratola, Nikarete, und vor allem Idras – und sie und Metaneira sollten ebenfalls dazu gezwungen werden ihm zu dienen. Als Neaira das erkannt hatte, beschloss sie einmal mehr fortzulaufen. Sie würde Metaneira einfach überreden mit ihr zu gehen. Dann würden sie zusammen ihre Mutter suchen und ihr all das Schreckliche erzählen, was sie erlebt hatten.

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      Idras stand wie ein böser schwarzer Schatten in ihrer Tür und verschluckte das spärliche Sonnenlicht, das in das Zimmer schien. Ein paar Tage hatten sie Ruhe vor ihr gehabt, doch nun war sie gekommen. Neaira sah fragend zu Metaneira, die neben ihr auf der Kline gelegen hatte. Erkannte die Freundin die Gefahr, in der sie schwebten?

      „Ich soll euch zur Herrin bringen.“ Idras verlor keine Zeit, was für Neaira ein geradezu verräterisches Zeichen war. Metaneira schien nicht argwöhnisch, denn sie erhob sich ohne Zögern oder Murren von der Kline und begann sich anzukleiden. Neaira, die nicht wusste was sie tun sollte, ließ sich unwillig von Metaneira ihren Chiton über den Kopf streifen, nachdem diese sie ermahnte nicht zu bummeln. Danach folgten sie den watschelnden Schritten der Schwarzen hinein in das Haus, während Neaira sich ängstlich an Metaneiras Hand festklammerte. Es bereitete ihr Unbehagen, die rot getünchten Flure des Hauses zu durchqueren, in denen es so schal roch. Doch Neaira tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie die Aussicht darauf hatte, in die Nähe der roten Tür zu gelangen, hinter der die Freiheit wartete. Sie warf einen Seitenblick auf Metaneira. Wenn Metaneira mit ihr fortlaufen würde, könnten sie zusammenbleiben ... irgendwo, wo es schöner war als hier. Sie könnten auch nach ihrer Mutter suchen. Neaira war so in Gedanken vertieft, dass sie kaum bemerkte, wie Idras sie ins Andron des Hauses schob. Sie hätte beinahe mit offenem Mund gestarrt, als sie Nikarete mit einer Handarbeit auf einem großen Stuhl sitzen sah, die Füße ordentlich auf einem Fußschemel ruhend. Die dicke weiße Schicht Schminke auf ihrem Gesicht fehlte. Neaira konnte sehen, dass Nikarete älter war, als sie geglaubt hatte. Dieses Bild einer arbeitenden Frau passte gar nicht zu Nikarete. Auch dies schien Neaira ein weiterer Beweis dafür, dass sie sich nur tagsüber als Mensch ausgab, während sie nachts Dionysos anrief. Idras schien Neairas Gedanken erraten zu können und belohnte diese mit einem einzigen schmerzhaften Schlag auf ihren Rücken, der sie zusammenzucken ließ.

      Mit spitz gefeiltem Fingernagel wies Nikarete beide Mädchen an, sich zu ihren Füßen auf den Boden zu setzen. „Es ist Zeit, mit dem Unterricht zu beginnen.“

      Neaira bekam Angst. Würde sie jetzt ihre wahren Absichten verraten, die Spindel fallen lassen und Idras anweisen, sie und Metaneira in einen Wald zu bringen? Doch nichts dergleichen geschah, stattdessen brachte Idras eine Kithara und drückte sie Metaneira in die Hand.

      „Spiel etwas“, wies sie Metaneira an, die vorsichtig begann die Saiten zu zupfen und dabei tatsächlich ein Lied zustande brachte. Neaira war erstaunt, und auch Nikarete schien zu gefallen, was sie hörte. Sie fuhr mit ihrer Handarbeit fort. „Gut“, gab Nikarete schließlich nach einer ganzen Weile zu und nickte. Ohne verschleppt oder verzaubert worden zu sein, kehrte Neaira an der Seite von Metaneira zurück in ihr Zimmer im Hof. Sie dankte