›Bedeckt sich denn der Himmel mit Wolken?‹
»Ei, wo denn (antworteten diese), Herr und König, es
ist ja voller Sonnenschein.« Nicht lange nachher, als
es fünf Uhr war geworden, sagte der König wieder
›Ists denn schon Abend?‹ »Ei, wo denn (sagten die
Diener), es ist ja erst fünf Uhr.« Nach einer kleinen
Weile konnte der König schon nichts mehr sehen, da
ließ er den Zigeuner rufen. ›Nun, Zigeuner, wenn du
wustest, daß ich erblinden würde, so must du auch
wißen, wo man solche Mittel findet, die mir mein Augenlicht
wieder geben können.‹ »Ja wol, lieber König,
das weiß ich auch, nur bin ich schon zu alt, um die
Reise dahin zu machen, denn der Weg führt durch
drei verwünschte Länder.« Der König sagte ›Ich habe
drei Söhne, die werden doch hinreisen können?‹ »Ja
wol, die könnten,« sagte der Zigeuner.
Da machten sich die zwei ältesten auf die Reise.
Nachdem sie zwei Tagereisen zurückgelegt, kamen
sie zu einer sehr schönen Stadt mit Namen Schönheit,
und am Thore der Stadt stund geschrieben ›Wer in die
Stadt geht und nur drei Stunden sich aufhält, der
braucht nichts zu bezahlen, aber wer länger bleibt, der
muß für die Stunde einen Thaler geben.‹ Als beide in
die Stadt gegangen, vergaßen sie des Vaters. Der
Vater, der vergeblich ihrer Rückkehr harrte, sagte
zum dritten ›Begib du dich auf die Reise, mein lieber
Sohn: wer weiß, wo jene beiden hin geraten sind.‹
Da machte er sich auf den Weg, und wie er an die-
selbe Stadt kam und die Inschrift fand, da gieng er in
die Stadt hinein, sah sich um und gieng wieder heraus.
Nun setzte er sich in sein Schiff und setzte seine
Reise fort. Als er mit dem günstigsten Winde eine
Tagreise zurückgelegt, da sah er gegen Abend eine
Insel in der Ferne. Er machte mit seinem Schiffe Halt,
stieg in einen Kahn und ruderte ans Ufer; denn er
wollte wißen, was auf der Insel sei. Als er hin kam,
fand er einen kleinen Backofen; er gieng, ans Thürchen
desselben und sah durch ein Löchlein hinein, da
sah er drinn einen Wolf knien. Da erschrak er, aber er
klopfte doch an die Thüre und lief schnell in seinen
Kahn; der Wolf aber war aufgesprungen, setzte ihm
nach und rief, er solle warten. Der Prinz, als er in seinem
Kahne saß, dachte ›Sollst du gehen oder nicht?‹
Aber er entschloß sich doch und kehrte zum Wolfe
zurück. Der Wolf sagte zu ihm ›O Mensch, was hast
du mir gethan! Ich kniete hier schon neun und neunzig
Jahre, aber jetzt muß ich wieder neun und neunzig
Jahre knien; wärest du nicht gekommen, so hätte ich
nur noch ein Jahr zu knien gehabt und wäre dann erlöst
gewesen.‹ Der Prinz erzählte ihm seine ganze Angelegenheit,
wie er in das und das Land reise, um ein
Mittel für die Augen zu holen. »Nun, lieber Prinz,
was ist zu thun? Jetzt wirst du zunächst meinen Bruder
treffen, der ist ein Bär; gib Acht, daß du vor
Schreck nicht niederstürzest, wenn er anfängt zu brül-
len. Ich will dir aber ein Zettelchen geben, und wenn
du meinst, du könntest ihm nicht entfliehen, so wirf
ihm den Zettel hin, in den wird er hinein sehen und so
kannst du entfliehen.«
So reiste denn der Prinz wieder weiter. Der Wind
blies günstig und stark genug und so sah er denn wieder
gegen Abend eine Insel in der Ferne schimmern.
Er machte mit seinem Schiffe Halt, stieg in einen
Kahn und ruderte ans Ufer. Als er hin kam, sah er
abermals einen kleinen Backofen, und als er durch ein
Löchlein hinein sah, sah er drinn einen Bären knien.
Jetzt dachte er ›Sollst du klopfen oder nicht;‹ aber er
meinte, mag draus werden was da will, ich werde
klopfen. Er that einen Schlag an die Thüre und lief
haftig auf seinen Kahn zu. Als aber der Bär aufsprang
und zu brüllen anhub, da dachte der Prinz, er könne
nicht mehr entfliehen und warf das Briefchen hin, das
er vom Wolfe erhalten hatte. Der Bär sah in den Zettel
und während dem sprang der Prinz in seinen Nachen.
Der Bär rief »Prinz, komm einmal her! Es ist
nicht gut, daß du hierher kamst; ich habe nun schon
neun und neunzig Jahre gekniet und nun muß ich
noch einmal so lange knien; aber was ist zu thun?
Gott helfe dir! Aber jetzt wirst du noch zu meinem
Bruder, dem Löwen kommen; nimm dich in Acht, daß
er dich nicht zerreiße und daß du, wenn er anfängt zu
brüllen, vor Schreck über seine Stimme nicht zur Erde
stürzest. Ich will dir ein Briefchen geben, wenn du
dann meinst, du könnest ihm nicht entfliehen, so wirfs
ihm hin; er wird hineinsehen und du wirst entkommen.
«
Der Prinz reiste sodann weiter. Als er den ganzen
Tag gefahren war, sah er gegen Abend wieder eine
Insel in der Ferne schimmern. Er machte mit seinem
Schiffe Halt, bestieg einen Nachen und ruderte ans
Land. Hier sah er sich um und er sah wieder einen
kleinen Ofen stehen, und als er durch ein Löchlein
hinein sah, da erblickte er einen knieenden Löwen.
Jetzt dachte er ›Sollst du klopfen oder nicht;‹ aber er
klopfte dennoch an. Als aber der Löwe aufschrie, da
lief der Prinz zurück und der Löwe hinter ihm her. Da
erinnerte er sich des Briefchens und warf es hin; der
Löwe griff rasch darnach und las es und rief, der
Prinz solle umkehren. Da gieng der Prinz zurück zu
dem Löwen, der sagte zu ihm »Na, Prinz, es ist nicht
gut, daß du her gekommen bist; mit meinem Elende
wärs nun bald ein Ende gewesen, und nun muß ich
noch einmal so lang im Elende zubringen. Aber was
ist