Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder. August Schleicher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: August Schleicher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742750884
Скачать книгу
ich aber

       will dir sagen, wie du sie bekommen wirst. Wenn du

       zur Stadt kommen wirst, dann must du zwischen eilf

       und zwölf Uhr hinein gehen, denn da schläft alles was

       nur Leben hat; gib also ja recht Acht drauf, daß du

       weder zu früh noch zu spät hinein gehest. Und in der

       Stunde must du in das und das Haus hinein gehen, da

       wirst du die Kräuter auf dem Fenster finden; nimm sie

       weg und mach daß du wieder zurück kehrst.« So belehrt

       reiste der Prinz weiter.

       Als er zur Stadt kam, machte er Halt, sah nach seiner

       Uhr, es war zehn; so wartete er denn bis um eilf.

       So wie es eilf Uhr schlug, gieng er in die Stadt und in

       das ihm bezeichnete Haus. Auf dem Fenster fand er

       eine Flasche mit den Augenmitteln und eine andere

       Flasche ganz reinen Waßers, die Flasche aber konnte

       man nicht ausleeren, sie war immer voll, und auf dem

       Tische lag ein Leib Brot. Sodann gieng er in eine andere

       Stube und sieh! da fand er eine schlafende Prinzessin;

       zu der legte er sich hin, weckte sie aber nicht

       auf. Sodann stund er auf und schriebs auf die untere

       Seite eines Tisches, daß ein Prinz aus dem und dem

       Lande bei ihr zu der und der Zeit gelegen. Er nahm

       nun den Brotleib und die Flasche mit dem Waßer, so

       wie die Flasche mit den Heilmitteln, gieng in seinen

       Nachen und machte, daß er so schnell als möglich den

       Rückweg antrat. Als aber der Drache, der Herr der

       Stadt, angeflogen kam und fand, daß ein Fremder da

       gewesen, zerbarst er vor Wut, und nun war alles seinen

       Krallen entgangen. Die Länder, die vorher verwünscht

       waren, der Löwe, der Wolf, der Bär, alle

       wurden erlöst, und der Prinz reiste nun nicht zu Schif-

       fe, sondern zu Wagen zurück. Er ließ sich deshalb einige

       Wagen machen und fuhr nach Hause; er führte

       aber seinen ganzen Reisebedarf an Speise mit sich.

       Als er nicht weit mehr von der Stadt war, deren

       König vordem ein Löwe gewesen war, da kam der

       König mit seinen Soldaten und mit großer Musik ihm

       zu Ehren entgegen. Als man sich zu Tische gesetzt,

       kam beim Eßen und Trinken die Rede auf dieß und

       das, und der Prinz sagte ›Bei uns ists Sitte, daß wir,

       wenn wir irgend eine Speise genießen, grobes Brot

       dazu beißen.‹ Der König sagte »Aber bei uns gibt es

       gar kein solches Brot.« Der Prinz sagte ›Geht in meinen

       Wagen, bringt den Brotleib und bestellt einen

       starken Mann!‹ Da lachten alle die vornehmen Herren

       über ihn, weil er nur einen Leib Brot habe und noch

       dazu einen starken Mann zu bestellen angeordnet.

       Jetzt befahl er Brot abzuschneiden; als man aber bis

       zur Hälfte geschnitten, da war der Leib wieder ganz.

       Der König sagte »Würdest du mir den Leib wol verkaufen?

       « ›Nein (sagte der Prinz), verkaufen kann ich

       ihn nicht, aber versetzen so lange du willst.‹ Darauf

       gieng der König ein und gab ihm drei Fäßer voll

       Gold. Das packte er sich ein und reiste von dem Könige

       zu dem andern, der vorher in einen Bären verwandelt

       war. Als er nicht mehr weit von der Stadt

       war, empfieng ihn auch dieser König mit großen

       Ehren, mit Soldaten und großer Musik, und ladete ihn

       zum Mittagseßen ein. Als man gespeist hatte, sagte

       der Prinz ›Bei uns hat man die Gewohnheit, nach dem

       Eßen reines klares Waßer zu trinken.‹ Der König

       sagte »Wir haben aber kein solches Waßer.« Da

       schickte der Prinz seinen Diener nach der Flasche und

       einem großen Zuber; die Herren aber lachten über ihn,

       daß er aus einer kleinen Flasche einen großen Zuber

       zu füllen gedenke. Aber als er die Flasche auszuschütten

       begann, da goß er den ganzen Zuber voll, und die

       Flasche ward doch nicht leer. Da sagte der König

       »Würdest du wol die Flasche verkaufen?« ›Nein

       (sagte der Prinz), verkaufen kann ich sie nicht, aber

       für drei Faß Gold will ich sie dir leihen.‹ So ließ er

       denn die Flasche da, lud sein Gold auf und reiste weiter.

       Das dritte Land, dessen König in einen Wolf verwandelt

       war, besuchte er gar nicht, sondern reiste gerades

       Weges in die Stadt Schönheit, wo er in einer

       schönen Schenke, in einem Gasthofe abstieg. Nach

       Tische sah er, daß sehr viel Menschen in der Straße

       giengen; da fragte er den Wirt, warum so viele Leute

       die Straße entlang giengen, ob etwa etwas zu sehen

       sei. »O ja (antwortete der), es werden zwei gehängt.«

       ›Könnte ich das wol auch mit ansehen?‹ »Na, warum

       denn nicht!« So gieng er denn auch auf den Platz hin.

       Als er die zwei Verurteilten erblickte, erkannte er in

       ihnen sogleich seine Brüder; er meldete sich deshalb

       bei der Obrigkeit, ob er sie nicht befreien könne. ›Ei

       ja, aber es kostet viel Geld; wenn einer vier Faß Gold

       gibt, dann werden sie frei gegeben.‹ Da ließ der Prinz

       vier Faß Gold bringen und nahm die zwei armen Sünder

       mit nach Hause in seinen Gasthof, ließ ihnen

       Eßen und Trinken bereiten, kleidete sie gut und gab

       sich ihnen als ihr Bruder zu erkennen.

       Sie verweilten nicht lange mehr und begaben sich

       auf die Reise. Als sie ein gutes Ende Wegs zurück gelegt,

       da dachten die zwei Brüder ›Was wird nun geschehen,

       wenn wir zum Vater kommen? Der Dumme

       hat die Arzneikräuter und hat uns noch dazu vom Galgen

       erlöst; wir werden beim Vater nur mit großen

       Schanden bestehen.‹ So faßten sie denn folgenden Beschluß

       ›Nicht weit von hier ist eine Hexe, gehen wir

       zu ihr und laßen wir uns von ihr solche Kräuter

       geben, von denen der Mensch, wenn er sie auf die

       Augen streicht, erblindet, und die hinterlegen wir dem

       Bruder, dann hat er die nichtsehenden Kräuter und wir