„Ich halte die Idee für bescheuert und jedem, der dabei hilft, ist nicht mehr zu helfen.“ Überheblich lachte der Mann über sein Wortspiel.
„Zwei Promille sind auch keine Lösung“, sagte Friedrich.
„Sie habe ich nicht gefragt. Ist sich der Herr Freiherr etwa zu fein, um sich mit mir zu unterhalten?“
Friedrich reichte das. Er wollte sich den Kerl schnappen.
„Du blamierst meinen Vater. Musst du so viel trinken?“ Eine brünette Frau, die zwischen ihn und den Mann getreten war, hielt Friedrich auf. „Er hat zu viel getrunken, nehmen Sie ihm das Gesagte bitte nicht übel“, sagte sie. Ihre dezent geschminkten schwarzen Augen sahen Friedrich traurig an.
„Weißt du nicht, wer das ist? Das ist von Carstheim, der Kerl will Deutschland spalten und keiner hier sagt was“, nuschelte der junge Mann.
„Sie sollten Ihrem Freund beibringen, dass man sich auf solch einer Party nicht sinnlos betrinkt“, sagte Friedrich mit Grabesstimme.
„Verzeihen Sie ihm. Er hat sein zweites Juraexamen zu sehr gefeiert.“ Die Brünette packte den Arm ihres Freundes.
„Wenn Vater das mitbekommt, kannst du die Anstellung in seiner Kanzlei vergessen.“
Die Erinnerung an seinen zukünftigen Job brachte den Jung-Anwalt schlagartig zur Vernunft. Widerstandslos ließ er sich von seiner Freundin abführen.
„Hübsch die Kleine, und dann solch ein Idiot“, sagte Friedrich in die Menge.
„Ich gehe frische Luft schnappen.“ Von Carstheim hatte Steiger entdeckt.
Auf der Terrasse wehte eine steife Brise. Von Carstheim fröstelte und aus dem toten Winkel näherte er sich dem hessischen Landesvater.
„Sie wollten mich sprechen.“ Steiger musste einen Spinnensinn besitzen.
„Ich wollte nur wissen, ob Sie es sich vorstellen könnten, die Volksabstimmung zu unterstützen oder zumindest zu tolerieren?“
„Sie kommen gleich zur Sache.“
„Ich bin kein Freund von Zeitverschwendung.“
„Da haben wir was gemeinsam.“
„Umso leichter sollte es Ihnen fallen, mir eine Antwort zu geben.“
„Gut machen wir es kurz“, sagte Steiger. „Sie können davon ausgehen, dass der Bundeskanzler mir ein gutes Angebot unterbreiten wird, wenn ich mich Deutschland gegenüber loyal verhalte. Außerdem fällt es mir schwer, mich für eine Sache einzusetzen, über die ich so dürftig informiert bin.“
„Was wollen Sie mir damit sagen?“
„Dass ich Hessens Zukunft im deutschen Verbund sehe.“
„Ist es Ihnen nicht verdächtig vorgekommen, dass Breuer Sie um die Verabredung gebeten hat? Sie haben doch eine gemeinsame turbulente Vergangenheit“, sagte von Carstheim in die Nacht.
„Worauf wollen Sie hinaus?“
„Hat Breuer ihnen nicht in Ansbach einen Koffer übergeben.“
Steiger zuckte zusammen. Dass er auf diesen Koffer angesprochen wurde, ließ ihn Übles ahnen.
„Sie können sich jetzt wahrscheinlich denken, wer der unbekannte Spender war, der Ihnen die zwei Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat. Wir beide wissen, dass Sie das Geld weder angegeben noch versteuert haben. Und ich besitze Beweise, die keinen Zweifel an Ihrer Schuld aufkommen lassen.“
„Das Gespräch dürfte auf eine Erpressung hinauslaufen, oder wie darf ich das verstehen?“ Steigers Zunge war belegt.
„Erpressung ist so ein hässliches Wort. Ich möchte lediglich, dass Sie morgen bekannt geben, dass Sie die Volksabstimmung tolerieren. Ansonsten müsste ich die Presse darüber aufklären, dass Sie nur mithilfe des Ansbacher Geldkoffers die Wahl gewonnen haben und von diesem Skandal wird nur die Sezession profitieren. Ein Ministerpräsident, der sich die Taschen füllt, wird die strapazierte Wählerseele zum Kochen bringen.“ Von Carstheim ließ jedes Wort auf der Zunge zergehen.
„Die Wahl war schon gewonnen. Ich habe das Geld nur genommen, um mich abzusichern“, presste Steiger hervor.
„In der Politik geschehen solche Fehler öfters als man denkt.“
„Sie sind ein gefährlicher Mann.“ Steiger wandte sich ganz zu von Carstheim.
„Ansichtssache.“ Von Carstheim kratzte sich am Nacken. „War das schon alles.“
„Kommt auf Sie an. Darf ich wissen, wie Sie Schreiber und Heinrichs überzeugt haben?“
„Heinrichs ist mein politischer Ziehsohn. Seine Karriere wurde nur durch meinen Großvater und mich möglich. Ihn musste ich auch nicht unter Druck setzen, und für Schreiber gilt dasselbe.“
„Was bezwecken Sie?“
„Dem Süden eine Chance geben, die Deutschland unter der Führung Berlins nicht mehr hat.“ Von Carstheim rätselte, wie lange Steiger sich noch aus Prinzip wehren würde. Die Volksabstimmung zu erlauben war kein Verbrechen und eine Zustimmung würde ihm die nötige Zeit geben, sich zu sortieren.
„Wir befinden uns nicht in einer Bananenrepublik“, sagte Steiger. „So einfach lasse ich mich nicht erpressen. Ein solcher Rechtsstreit wird auch der Sezession schaden.“
„Sie wollen demnach Ihren politischen Untergang in Kauf nehmen?“, erwiderte von Carstheim, im Wissen, dass er Steiger in der Hand hatte.
„Wenn Sie keine überzeugenderen Argumente haben, ja.“
„Sie sind integrer als ich Sie eingeschätzt habe. Und eben deswegen werden Sie der Sezession auch Ihre Stimme geben.“
„Es gibt nichts, was mich von der Sezession überzeugen könnte.“ Steiger war der Ansicht, dass der richtige Augenblick gekommen war, um dem Gespräch ein Ende zu setzen.
„Leben Sie wohl Herr von Carstheim.“
„Wenn Sie ihren Sohn lieben, sollten Sie bleiben.“ Von Carstheim Stimme hätte Stahl schneiden können. Im selben Tonfall setzte er nach. „Ihr Sohn hat sich im Vorfeld des Ansbacher Koffers persönlich bereichert. Er würde um eine längere Gefängnisstrafe nicht umhinkommen. Seit Zumwinkel und Hoeneß sind die Gerichte alles andere als geduldig, was Steuerhinterziehung angeht. Wollen Sie es ihrem Enkel wirklich zumuten, dass er ohne Vater aufwächst. Zumindest aber seine ersten Schritte ohne ihn macht?“ Von Carstheims Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Sämtliche Härte in Steigers Gesicht wich einem blanken Entsetzen.
„Zunächst verlange ich auch nur, dass Sie die Volksabstimmung tolerieren. Ihr weiteres Mitwirken wird sich von alleine ergeben. Dafür wird der Druck der Bevölkerung sorgen. Unzählige Hessen werden auf Sie zukommen und Ihnen ihre Hilfe anbieten. Und bedenken Sie, dass Ihre Mutter gesundheitlich angeschlagen ist. Es würde ihrer Genesung nicht guttun, wenn Sie lesen müsste, dass ihr Sohn und ihr Enkel vor Gericht stehen.“
„Sie Arschloch, lassen Sie meine Mutter aus dem Spiel.“
„Oh Ho, Ho.“ Von Carstheim rückte einen Schritt vom Ministerpräsidenten ab. Die Sprache der Gosse beherrschte der Politiker. Schade, dass ihn nur die Sprache der einfachen Menschen und nicht ihre Probleme interessierten.
„Vergreifen Sie sich bitte nicht im Ton. Sie selbst haben doch so viele Menschen fertiggemacht. Besonders Gegner aus den eigenen Reihen haben Sie zuhauf ruiniert. Sie sollten echte Bedenken schätzen.“
Steiger ballte seine Hände. Für den Moment war er geschlagen.
„Ich