Die Freistaaten. Jens Zielke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jens Zielke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738089738
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Stimme breit. Er warf seine Akte in die Mitte des Tisches und ihr folgend beugte er sich nach vorne.

      „Mir kann doch keiner erzählen, dass das unbemerkt geschehen kann?“

      „Von Carstheims Geld und Einfluss werden für das Schweigen gesorgt haben“, sagte der Innenminister.

      „Ein schwacher Trost.“

      „Entschuldigung.“ Fröhlich fand, dass der Zeitpunkt gekommen war, sich in die Diskussion einzubringen. Zu offen wurde er von Bertlick angegriffen. Das konnte und wollte er nicht auf sich sitzen lassen.

      „Meine Nachforschungen haben ergeben“, sagte er mit seinem Respekt einflößendem Bass, „dass den drei Hauptvereinen ein flächendeckendes, gut organisiertes Netz von Ortsvereinen untersteht. Zwar wurden auch im Norden und Osten der Republik Clubs gegründet, das geschah augenscheinlich aber nur, um die eigentlichen Ziele zu verschleiern.“

      „Ich will mich ja nur ungern wiederholen, aber wie kann es sein, dass solch eine deutschlandfeindliche Planung nicht dem Verfassungsschutz auffällt? Sind wir hier im Dschungel, oder was?“

      „Thomas, lass Fröhlich ausreden“, sagte Schindling. Er vermutete, dass Bertlick mit seinem Auftreten seinen Ruf als harter Hund untermauern wollte. Der Justizminister konnte, wenn es sein musste, mit dem Kopf durch die Wand gehen. Er hatte ihn nach Grubers Rücktritt aus dem saarländischen Landtag in sein Kabinett berufen und ihn auf dem Posten des Justizministers geparkt. In naher Zukunft sollte er den Innenminister beerben. Die Entwicklungen in Deutschland hatten für diesen Entschluss gesorgt. Deutschland hatte sich zu sehr verändert. Deswegen brauchte das Innenministerium einen unnachgiebigen Mann wie ihn.

      „Wenn du meinst, dass es hilft.“ Bertlick machte eine einladende Handbewegung, redete aber leise auf den Außenminister ein.

      „Danke, Herr Bundeskanzler, dass Sie den Justizminister darüber aufgeklärt haben, dass er sich nicht in einer Talkshow befindet. An diesem Tisch sollte man ausreden dürfen“, sagte Fröhlich und mit einem herablassenden Nicken konterte er Bertlicks Handbewegung.

      „Herr Fröhlich, das muss auch nicht sein“, sagte der Innenminister um Versöhnung bemüht.

      „Ja, genug gemenschelt“, rief Schindling und selbst Bertlick verstummte. Schindlings Wangen hatten sich geglättet, das war ein untrügliches Signal dafür, dass dessen Wut-Barometer am Ansteigen war. Und einen Ausbruch wollte keiner. Schindling hatte gestandene Politikerinnen zum Heulen und erfahrene Politiker zum Schluchzen gebracht. Wenn es drauf ankam, scheute er auch nicht davor zurück, Minister aus Besprechungen zu werfen, wenn die der Arbeit hinderlich waren. Eifersüchteleien und dummes Gequatsche waren ihm genauso fremd wie Faulheit und Demut. Mit seinem Einzug im Kanzleramt hatte sich der Wind gedreht. Er hatte sogar der amerikanischen Regierung klipp und klar zu verstehen gegeben, dass die deutschen Interessen an erster Stelle standen. Das Ausspionieren deutscher Firmen oder Politiker würde es mit ihm nicht geben. Und obgleich Schindling ein humorvoller Mann war, verstand er bei prinzipiellen Dingen keinen Spaß.

      „Nun gut“, sagte Fröhlich. „Wo war ich stehen geblieben … Ach so, ja … Also vor zwei Jahren gab es Ermittlungen betreffend Mein Hessen e. V. Der Verfassungsschutz hat angefragt, ob er in der Sache weiter vorgehen soll. Gruber hatte das aber untersagt. Und auch meiner Behörde sind die Mittel gekürzt worden. Eine Vielzahl meiner Männer ist außerdem durch die Rechts- und Linksradikalen und den islamistischen Terror gebunden. Und keiner, auch Sie nicht meine Damen und Herren, hat dem gelegentlichen Aufkommen von separatistischem Gedankengut besondere Bedeutung beigemessen.“

      Fröhlich stoppte in seiner Rede ab. Eine Assistentin des Kanzlers platzte in die Konferenz. Aufgeregt redete sie auf Schindling ein. Als sie geendet hatte, raunte sie eine Entschuldigung.

      „Heinrichs und Schreiber haben beschlossen, ohne Rücksprache mit uns, eine Ansprache an die Bürger zu halten“, erklärte Schindling das Erscheinen seiner Assistentin.

      „Das sollten wir uns nicht entgehen lassen.“

      Von Carstheims Bild wurde, kaum dass der Innenminister ausgesprochen hatte, vom Presseraum der Stuttgarter Staatskanzlei abgelöst.

      Schreibers engster Beraterstab reihte sich in seinem Rücken auf. Der Raum war brechend voll und stickig. Die Reporter, die zu spät gekommen waren, mussten im Gang stehen. Der Andrang war einfach zu groß.

      „Meine Damen und Herren. Ich will es kurz machen“, sagte Schreiber und trat neben das Rednerpult. Für den Raum brauchte er kein Mikro.

      „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind elementare Grundprinzipien aller westlichen Staaten. Die Bundesrepublik hat diese Eckpfeiler moderner Staatlichkeit fest im Grundgesetz verankert. Manchmal laufen die Ansprüche der Bürger aber den Regeln entgegen, die uns der Rechtsstaat auferlegt hat. Was aber ist wichtiger? Die Gesetze oder die Demokratie? Die Demokratie ist unser höchstes staatliches Gut und sie ist ein zerbrechliches Gebilde, das allzu oft zum Einsturz gebracht wurde.“ Schreiber wandte sich nach diesen Worten von den Journalisten an seinen Beraterstab.

      „Die Frage, ob eine Volksabstimmung die demokratische Form der bürgerlichen Mitbestimmung darstellt und ob wir sie anstreben sollten, ist schwer zu beantworten.“ Schreiber drehte sich jetzt wieder in die Kameras. „Vor zwanzig Minuten haben ich und mein bayerischer Amtskollege über eben diese grundsätzliche Frage beratschlagt. Dabei sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass der Zusammenbruch der Demokratie mehr Schaden angerichtet hat, als alles andere. Zwei Weltkriege und die kommunistische Diktatur in der DDR haben uns das eindrucksvoll gelehrt. Deswegen werden wir die Volksabstimmung tolerieren. Die Bürger unserer Bundesländer sollen selbst über ihre Zukunft entscheiden.“

      Der Innenminister rutschte die Rückenlehne seines Stuhls hinab.

      „Schreiber hat uns, wenn ich das Gehörte richtig interpretiere, zu verstehen gegeben, dass er sich eine Existenz ohne die Bundesrepublik vorstellen kann?“, sagte er schwer atmend.

      „Das erklärt natürlich einiges. Der bayerische und baden-württembergische Verfassungsschutz haben bei den Vorbereitungen ein, wenn nicht beide Augen zugedrückt“, sagte Fröhlich. Auch er stand sichtlich unter dem Eindruck dessen, was Schreiber von sich gegeben hatte.

      „Jeder verfügbare Staatsschutzbeamte wird abgezogen und dem Verfassungsschutz zur Verfügung gestellt, wenn es sein muss, ziehen Sie die Beamten des BND hinzu. Ich möchte, dass jeder Politiker des Südens überprüft wird. Finden Sie heraus, wer der Sezession zugeneigt ist.“ Schindling konnte sich denken, dass seine Worte für zusätzliche Bestürzung sorgten, das war ihm aber egal. Die Sezession durfte nach Schreibers Rede nicht mehr unterschätzt werden. Der Verrat an der Bundesrepublik hatte ungeahnte Dimensionen angenommen.

      „Der BND ist unser Auslandsgeheimdienst. Ich denke nicht, dass es gut ist unsere Geheimagenten gegen die eigenen Mitbürger und Politiker einzusetzen.“ Voigt, dem BND-Chef, war nicht wohl dabei, Schindling zu widersprechen.

      Und der reagierte wie erwartet. „Skrupel sind völlig fehl am Platz. Wir brauchen jeden Mann, um an Informationen zu kommen, und es ist mir wurscht, wer sie besorgt. Wir dürfen keine Zeit mehr mit Gewissensbissen verschwenden. Sie, Herr Außenminister, werden in den kommenden Tagen unsere wichtigsten europäischen Partner besuchen. Überreden Sie sie, gegen von Carstheim vorzugehen. Le Train macht ihn angreifbar. Züge können auch andere Firmen bauen. Für Männer wie von Carstheim ist Geld das Wichtigste, nehmen wir es ihm, wird er bereit sein zu verhandeln. Erfinden Sie eine passende Geschichte.“ Schindling gab dem Außenminister keine Gelegenheit zu antworten. Er drehte sich zum Innenminister. „Walter, du begibst dich noch heute nach Wiesbaden und wirst dafür sorgen, dass Steiger sich nicht Schreiber und Heinrichs anschließt. Du musst einen Keil in die entstehende Phalanx des Südens treiben und unsere besten Juristen müssen auf die Sezession angesetzt werden. Und ich denke nicht, dass ich extra erwähnen muss, dass für jeden wichtigen Mitarbeiter eine Urlaubssperre herrscht.“ Nacheinander sah Schindling den Innenminister und den Justizminister an. Der Innenminister reagierte als erster.

      „Ich werde unternehmen, was in