Von Carstheim drängte den schwarzen BMW aus der Tiefgarage des Fingers in den fließenden Verkehr.
„Die Presse wird über uns herfallen.“ Kritische beäugte Sara vom Beifahrersitz aus die Versuche ihres Bruders, sich auf Frankfurts Straßen zurechtzufinden.
„Und sie wird nicht zimperlich sein.“ Von Carstheim schaltete einen Gang runter. Heulend meldete sich das Getriebe. „Wer fährt denn noch mit Gangschaltung?“, fluchte er.
„Bislang sind nur negative Stimmen zu hören.“
„Ich habe nie verschwiegen, dass es zu Beginn der Sezession schwierig werden könnte.“ Von Carstheim drückte den Schalthebel in den dritten Gang und diesmal ließ er die Kupplung langsam kommen, das Heulen des Getriebes starb ab.
„Du setzt alles darauf, dass Bayerns und Baden-Württembergs Bürger auf deinen Kurs einschwenken. Was wenn nicht?“ Insgeheim bereute Sara, dass sie Adrian wider besseres Wissen das Steuer überlassen hatte.
„Die beiden Länder haben schon immer Wert auf ihre Unabhängigkeit gelegt. Sie wollten auch nicht unbedingt dem Deutschen Reich beitreten. Es gab starke Kräfte, die dagegen waren. Diese Gegner gibt es auch heute noch. Und mittlerweile sind es mehr denn je. In Wirtschaft, Sicherheit, Bildung und Einwanderung kam kein vernünftiger Kompromiss mehr zustande. Die Menschen und Politiker des Südens haben nur auf diese Gelegenheit gewartet“, sagte von Carstheim mit aus dem Mundwinkel hängender Zunge. Er war voll und ganz mit dem BMW und dessen Schaltung beschäftigt.
„Was geschieht, wenn du auf Steiger und den Innenminister triffst?“
„Kommt drauf an, wie die auf mich reagieren.“
„Du willst dich mit ihnen anlegen?“
„Nur mit dem Innenminister. Steiger werde ich, bis zu einem gewissen Grad, pfleglich behandeln.“
„Steiger ist überaus ehrgeizig. Du wirst dich nie auf ihn verlassen können.“
„Ach nein.“ Von Carstheim schlug das Lenkrad ein und fuhr auf die rechte Spur.
„Pass auf“, schrie Sara.
Von Carstheim korrigierte die Fahrspur und um Haaresbreite verfehlte der BMW einen parkenden Wagen. Der Krankenwagen, der ihn zu dem plötzlichen Spurwechsel bewogen hatte, überholte sie mit eingeschalteter Sirene.
„Warum willst du überhaupt ans Steuer, wo du so ein schlechter Autofahrer bist?“, tobte Sara über das Geheul der Sirene. „Selbst das Ersatzrad hat mehr Fahrpraxis als du.“
„Auf wen kann man sich bei einer Revolution schon verlassen? Der Druck der Bevölkerung wird die Politiker aber in der Spur halten. Die Nächste rechts, oder?“, sagte von Carstheim unberührt von Saras Angriff auf seine Fahrkünste.
„Ja rechts.“
„Und da ist es auch schon.“ Weit ausholend und über zwei Spuren bog von Carstheim ab. Das Hotel, auf das er zufuhr, wurde von einem Presseheer belagert.
„Sieht aus wie bei einer Oscar Verleihung.“ Sara machte ein verstecktes Kreuzzeichen. Sie hatte die Fahrt überlebt.
„Die wollen den Ministerpräsidenten sehen. Die Sezession hat Steiger zum wichtigsten Politiker des Landes gemacht.“ Von Carstheim lenkte den BMW in die Auffahrt, die für die geladenen Gäste vorgesehen war.
Zwei Männer in Neonwesten hoben ihre Leuchtstäbe und er trat auf die Bremse. „Was soll das denn?“
„Sie überprüfen das Nummernschild.“
Einer der Leuchtstäbe deutete nun zum Haupteingang. Von Carstheim fuhr holpernd los und hinter einem blauen Hummer hielt er wieder an.
„Auf, zeigen wir uns.“ Von Carstheim stieg aus und umlief den BMW.
Die Reporter, die eben noch in Bewegung waren, erstarrten. Der Mann, für dessen Interview ein jeder von ihnen bereit war seine Seele zu verkaufen, war auf der Geburtstagsfeier des Frankfurter Oberbürgermeisters erschienen. Der Innenminister und der hessische Ministerpräsident waren ebenfalls anwesend. Das würde Schlagzeilen geben und nicht ein Handy blieb unberührt. Die Leitungen liefen heiß. Frankfurt hatte seine Sensation.
Von Carstheim schritt, während die Presse nun ihrer Phantasie freien Lauf ließ, durch den Ballsaal des Hotels. Überall standen weiß eingedeckte Tische und an den Fenstern hingen Gardinen, die mit Szenen aus der Frankfurter Stadtgeschichte bestickt waren. Rechts von der Tanzfläche war ein großzügiges Buffet aufgebaut. Eine Kapelle sorgte für dezente Hintergrundmusik und ein breiter Durchgang führte von der Tanzfläche auf eine ausladende Terrasse.
Als er ihn und Sara kommen sah, unterbrach der Frankfurter Oberbürgermeister Böttcher seine Unterhaltung und beschwingten Schrittes lief er zu ihnen. Vor 12 Monaten war er zum Oberbürgermeister gewählt worden und mit seinen sechsunddreißig Jahren war er noch sehr jung. Die hochverschuldete Finanzmetropole setzte jedoch große Hoffnungen in seine Kreativität.
„Ich fühle mich geehrt, dass Sie meine Feier durch Ihr Erscheinen verschönern, Frau von Carstheim-Schlüchter und Sie haben noch einen Überraschungsgast mitgebracht, Herr Freiherr.“
Böttcher gab Sara einen Handkuss und im Anschluss reichte er von Carstheim die Hand.
„Herzlichen Glückwunsch! Sie sind doch nicht böse, dass ich kein Geschenk habe.“ Von Carstheim fühlte sich leicht.
„Wie könnte ich?“
Dicht trat Böttcher an ihn ran.
„Sie haben mir doch schon ein Geschenk gemacht. Im Gegenzug bring ich Sie zu Ihrem Bruder, der bereits eingetroffen ist.“
„Friedrich ist hier?“
Sara erntete einen überraschten Blick von ihm.
„Ich dachte, es könnte nicht schaden, wenn die von Carstheims in voller Stärke aufmarschieren.“
„Hier entlang“, sagte Böttcher und belustigt stellte von Carstheim fest, dass die Gäste ihn und Sara anstarrten. Erkennbar tuschelten sie über das adlige Geschwisterpaar. Jedes Augenpaar im Saal begleitete sie.
„Adrian“, dröhnte Friedrich, kaum dass er und Sara ihn erreicht hatten. Wie gewohnt strotzte Friedrich vor Vitalität. Er war ein Bilderbuch-Athlet und und als moderner Fünfkämpfer hatte er an zwei Olympischen Spielen teilgenommen. Er knutschte Sara ab und umarmte ihn.
„Euch geht’s gut.“
„Ja doch“, sagte von Carstheim und durch ein Senken der Schultern befreite er sich aus der stählernen Umarmung.
„Was will ich mehr?“
„Wir sprechen uns bestimmt noch“, verabschiedete Böttcher sich nach dieser Demonstration von Geschwisterliebe. Für ihn war es eh noch zu früh, um sich allzu lange in der Nähe der von Carstheims aufzuhalten.
„Steiger ist vor einer halben Stunde eingetroffen“, raunte Friedrich nach Böttchers Abgang.
„Deswegen bin ich gekommen.“
„Der Innenminister ist bei ihm.“
„Könnte lustig werden.“
„Ein erstes Aufeinandertreffen mit dem Feind, das wird die Presse freuen!“
„Sie werden nicht viel mitbekommen.“ Von Carstheim wich einem torkelnden Mann aus. „Ich bin aber auch an der hessischen Stimmung interessiert.“
Von Carstheim hatte wie Friedrich leise gesprochen und dabei den Saal durchforstet. Er war auf der Suche nach Steiger.
„Sind Sie nicht der Verrückte, der Deutschland spalten will?“ Der torkelnde Mann war zwischen einer Schar von Gästen stehen geblieben. Sein Zustand hinderte ihn aber nicht daran, von Carstheim herablassend