Die Freistaaten. Jens Zielke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jens Zielke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738089738
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      „Nein.“

      „Dann sollten Sie sich zurückhalten, was solche Äußerungen angeht. Von Carstheim macht keine halben Sachen. Er ist der Überzeugung, dass die Firmenchefs, die Feldherren der Moderne sind. Die Angestellten sind ihre Armee und die Finanzmärkte sind das Schlachtfeld. Seit vier Jahren propagiert er, dass Europa dabei sei, den Weltwirtschaftskrieg zu verlieren.“ Der Innenminister schubste eine Akte an den Platz des Außenministers. „Überzeugen Sie sich selbst.“

      „Nur wenn es sein muss.“ Der Außenminister ließ die Akte links liegen. Seine Aufmerksamkeit galt Schindling.

      „Die Mentalität des Südens“, sagte der, „ist fruchtbarer Boden für solche Propaganda. Die Verantwortlichen dieser Bundesländer haben uns oft genug zu verstehen gegeben, dass die Liberalität der Bundesregierung und Europas nicht mehr in ihr Weltbild gehört. Viele Politiker und Wirtschaftsbosse des Südens haben hinter vorgehaltener Hand, wenn nicht offen, ihre Kritik geäußert. Wie von Carstheim beschweren sie sich über die passive Haltung der Europäischen Union, was den Weltwirtschaftskrieg mit Asien und Amerika angeht. Sie betonen bei jeder Gelegenheit, dass der Mittelstand endlich stark gemacht werden muss, um für den Kampf gegen China und Indien gerüstet zu sein, anstatt in deren Abhängigkeit zu münden. Und auch bei der ungelösten Problematik, was die Armutsflüchtlinge angeht, werfen sie Brüssel und Berlin ein Versagen vor. Wie also, Herr Außenminister, würde das auf die Bürgerinnen und Bürger wirken, wenn wir nicht entschlossen gegen die Sezession vorgehen? Und schließlich: Können Sie mir eine Garantie geben, dass sich dieser Schwachsinn in einer Woche erledigt hat? Ich glaube das nicht.“ Finster sah Schindling den Staatssekretär des Außenministers an. Der konnte dem Blick nicht standhalten.

      „Schreiber, Heinrichs und Steiger müssen sich gegen eine Volksabstimmung stellen“, sagte Brandner nun beschwichtigend. „Und wir müssen natürlich mit den süddeutschen Abgeordneten sprechen, um herauszufinden, wer sonst noch in die Sezession verwickelt ist.“

      „Als Erstes muss überprüft werden, ob eine privat durchgeführte Volksabstimmung rechtlich überhaupt möglich ist“, sagte der Innenminister in Habachtstellung. Schindling, konnte er sehen, war nahe dran zu explodieren.

      „Selbst wenn eine private Volksabstimmung erlaubt sein sollte, bleibt es ein Aufruf zum Hochverrat. Und das ist mit Sicherheit verboten oder ist da jemand anderer Meinung?“, tönte Bertlick in den Tisch. Als Justizminister fühlte er sich verpflichtet, diese Frage stellen.

      „Natürlich nicht. Was machen wir aber, wenn sich die Ministerpräsidenten querstellen?“, fragte der Außenminister und spreizte seine feingliedrigen Finger über die Akte. Als einziger hatte er noch keinen Blick in sie geworfen.

      „Dann Gnade uns Gott“, zischte der Innenminister. Und an seiner Reaktion konnte jeder ablesen, was das für die Zukunft des Landes bedeuten würde.

      „So, wie ich das sehe, treffen die Aussagen der Hetzschriften den Nerv der Bürgerinnen und Bürger. Die Steuern und Abgaben wurden seit den Siebzigerjahren stetig erhöht und der Staat ist hoch verschuldet. Hier ist der soziale Friede schon länger gefährdet. Und von Carstheim verspricht den Menschen einen Neuanfang.“ Dana Engelhard, die Staatssekretärin des Innenministers hatte ihren Mut zusammengenommen. Sie befürchtete jedoch, dass man sie für vorlaut halten könnte. Der Raum schien zu schrumpfen und ihr wurde heiß.

      Schindling aber gefiel ihre Offenheit. Schönfärberei konnte er nicht gebrauchen. „Fahren Sie fort“, animierte er die junge Staatssekretärin wohlwollend.

      „Von Carstheim suggeriert den Menschen, dass ein Neuanfang einzig im und durch den Süden möglich ist, weil dort die notwendigen finanziellen Mittel und Strukturen am ehesten vorhanden sind. Hier müssen wir ansetzen. Die Bürger des Südens dürfen nicht mit nationalistischen Parolen gegen den ärmeren Norden und Osten eingenommen werden. Sollte das geschehen, hat Deutschland verloren.“

      „Schon eine Spontanbefragung könnte ergeben, dass viele Bürger den von Carstheimschen Ideen positiv gegenüberstehen. Eine Gegenkampagne muss unverzüglich eingeleitet werden“, bestätigte Schindling die Aussage der Staatssekretärin und durch einen Fingerzeig hielt er den Außenminister davon ab, etwas zu sagen. Frau Engelhard war noch nicht fertig und er wollte hören, was sie noch zu sagen hatte. Zusätzlich wunderte er sich, dass der Innenminister diese Frau bisher vor ihm verborgen hatte und die kam jetzt richtig ins Rollen. Ihre Stimme wurde fester.

      „Auch seine Persönlichkeit stellt eine Gefahr dar“, sagte sie und kreuzte dabei furchtlos den Blick mit dem Außenminister. „Ein Multimilliardär, der sich als Verteidiger der Deutschen Wirtschaft hervorgetan hat, verspricht den Menschen eine besser Zukunft. Das wird nicht ohne Wirkung bleiben. Er ist kein verbrauchter Politiker oder rechter Demagoge, genauso wenig ist er ein das Ende des Regenbogens versprechender Linker. Von Carstheim könnte der Mann sein, auf den die unzufriedenen Bürger gewartet haben. Zumindest im konservativ starken Süden.“

      „Wir haben einen Gewinner“, sagte Schindling und in bester Uni-Tradition klopfte er mit den Knöcheln auf den Tisch. Er würde die Staatssekretärin im Auge behalten. Sie erweckte einen vielversprechenden Eindruck.

      Von ihr sah er zur Tür. Jonas war eingetreten und lief zu einem der Computerterminals und nach wenigen Sekunden erschien das Bild von Adrian von Carstheim auf jedem Monitor am Tisch. Die Aufnahme zeigte ihn bei der Grundsteinlegung der Teststrecke des Le Train. Der Transrapid war vor Ewigkeiten gestorben. Der schnellere und wesentlich günstigere Le Train war aber seit vier Jahren das europäische Thema Nummer eins. Von Carstheim war Initiator und treibende Kraft des Projekts. „Wenn wir Züge mit sechshundert bis siebenhundert km/h nonstop über den Kontinent düsen lassen, kann sich jeder ausmalen, was das bedeutet. Paris-Berlin in zwei Stunden. Wir alle wissen, welche Vorteile das für den Güter- und Personenverkehr bringt. Von der positiven CO²-Bilanz, im Vergleich zum Fliegen, einmal abgesehen. Und vergessen Sie nicht, dass die Flughäfen an ihre Grenzen gestoßen sind, noch mehr Start- und Landebahnen sind schwer zu verkaufen.“

      Durch diese Ansprache hatte von Carstheim halb Europa vom Le Train überzeugt und vor sieben Wochen hatten die Partnerländer die Verträge unterzeichnet.

      „Freiherr Adrian Benedikt von Carstheim ist vierundvierzig Jahre alt und alleiniger Geschäftsführer der Bühler Firmengruppe“, las der Innenminister nun vor. „Er ist in Karlsruhe geboren und studierter Diplom-Betriebswirt. Er investiert in innovative Hightechunternehmen, aber auch in Lebensmittelfirmen. Die Produktpalette der Bühler Firmengruppe umfasst circa achthundertfünfzigtausend Produkte und der Jahresumsatz liegt bei Hundertdreiundzwanzig Milliarden Euro.“ Demonstrativ klappte der Innenminister das Dossier, aus dem er vorgelesen hatte, zu. Es war beinahe ein Zuschmettern.

      „Lasst ihn uns festnehmen, solange es noch geht“, sagte Bertlick. Dass der eher besonnene Innenminister Gefühle zeigte, sprach in seinen Augen für sich.

      „So einfach wird er es uns nicht machen. Kennen Sie die Zeitrafferaufnahmen von einem gefrierenden See?“ Direkt hatte Triebich, der Wirtschaftsminister, seine Frage an Bertlick gerichtet.

      „Ob er Schlittschuh läuft, ist mir egal.“ Bertlick zuckte mit der Schulter.

      „Bei den Verhandlungen über Le Train habe ich ihn kennengelernt. Als er hinzustieß vereiste der gesamte Raum. Für ihn heißt verhandeln, nach seiner Pfeife tanzen.“

      „Sie hätten halt besser heizen sollen und Sie brauchen nicht vor Ehrfurcht zu erstarren. Wer hat noch die Hosen voll?“ Bertlick machte eine wegwerfende Handbewegung. Triebich war für ihn der falsche Gesprächspartner. Ein Bürokrat, der sich durch Fleiß und Beharrlichkeit nach oben gearbeitet hatte. Mäßig Intelligent und unkritisch. Der klassische Parteisoldat, der nicht über den Tellerrand blickte und von denen es zu viele gab. Bertlick selbst zählte sich zu den Machern, die Konflikte nicht scheuten. Deswegen verachtete er den Politmenschen Triebich. Dem ging es doch nur um den eigenen Posten. Er zuckte erneut mit der Schulter.

      „Was wollen Sie andeuten?“, sagte der Außenminister.

      „Für mich sieht es fast