Die Freistaaten. Jens Zielke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jens Zielke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738089738
Скачать книгу
der drei deutschen Länder kann real werden. Wir müssen …“, der Innenminister suchte nach einer passenden Erklärung.

      „Wenn es etwas gibt, auf das wir uns konzentrieren müssen, ist es, eine handlungsfähige Regierung zu bilden“, ergänzte Schindling. Seine nach außen getragene Zuversicht war aber nur Mittel zum Zweck. Die Sezession würde ein längerer Bestandteil der deutschen Politik werden.

      Wiesbaden | Staatskanzlei | 14 Uhr

      Im Rekordtempo hatte ein Bundeswehrhubschrauber den Innenminister und Dana nach Wiesbaden transportiert. Der Flug war mehr als ungemütlich und die Landung nicht besser. Der Pilot hatte den Hubschrauber nach einigem Hin und Her mit der Flugsicherung auf einer kleinen Wiese, die nur achtzig Meter von der Staatskanzlei entfernt war, abgesetzt. Und bedrängt von Presse und Schaulustigen, die getrieben von Sensationsgier die Staatskanzlei belagerten, hatten der Innenminister und Dana den Schutz des hessischen Regierungssitzes aufgesucht. Deutschlands selbsternannte Demokratiewächter parkten kreuz und quer in den Straßen. Von Carstheims angestrebte Sezession und Schreibers PK hatten einen Medienkrieg um die besten Plätze ausgelöst. Im Sekundentakt trafen Übertragungswagen ein und die Polizei war heillos überfordert.

      „Herzlich willkommen. Hatten Sie eine angenehme Reise?“, wurde der Innenminister im Inneren der Staatskanzlei von einem nervösen Referendar des Ministerpräsidenten angesprochen.

      „Geht so“, antwortete der Innenminister abweisend – sein unfreundliches Gehabe verunsicherte den Referendar und schweigend geleitete er sie zu Steigers Büro.

      „Und jetzt?“ Der Innenminister schüttelte den Kopf. Die Unschlüssigkeit des Referendars brachte ihn noch mehr in Rage. Hilflos hatte der auf Steigers Tür gezeigt.

      „Sie können jederzeit eintreten, der Herr Ministerpräsident erwartet Sie.“ Die Stimme des Referendars war zu einem dünnen Plätschern verkommen.

      „Danke.“

      „Soll ich Sie anmelden?“

      „Das Klinkedrücken bekomme ich hin.“

      „Wenn das so ist, dann entschuldigen Sie mich“, sagte der Referendar und lief davon. Mitleidig beobachtete Dana den Abgang des überforderten Referendars.

      „Frau Engelhard, Sie warten hier. Die ersten Verhandlungen will ich unter vier Augen aufnehmen.“

      „Ja natürlich, und viel Glück, oder was sagt man in solch einem Moment?“

      „Woher soll ich das wissen, für mich ist es auch eine Premiere, um die deutsche Einheit zu verhandeln.“

      „Wie wäre es mit Hals- und Beinbruch?“

      „Kommt hin. Es ist eine besondere Bühne, die ich betrete.“ Der Innenminister ergriff die Klinke.

      „Werfen Sie einen Blick in Steigers Büro. Es lohnt sich.“ Schwungvoll drückte der Innenminister die Tür auf und neugierig reckte Dana den Hals. Das, was sie zu sehen bekam, war ein Abklatsch der sechziger Jahre. Ein kleiner Beistelltisch, auf dem eine kitschige, mit blauen Veilchen dekorierte Vase stand, hatte einst sogar in Adenauers Büro gestanden. Steiger wurde nicht müde, jedem Besucher zu erzählen, dass Adenauer selbst seinen Fuß auf den Tisch gestellt hatte.

      Das Einzige was nicht in die Einrichtung gehörte, war der Flachbildfernseher, der in einer altmodischen Kommode steckte.

      „Kaum zu glauben, was da vor sich geht.“ Steiger schaltete den Fernseher auf Stumm.

      „Ich wünschte, es wäre ein schlechter Scherz“, sagte der Innenminister und mit seinem Rücken drückte er die Tür zu.

      „Durchaus denkbar, dass der gesamte süddeutsche Adel sich der Sezession anschließen wird“, erwiderte Steiger bei dem Anblick, der sich ihm bot. Der Sender zeigte Bilder vom Münchner Marienplatz. Jubelnde Menschen hielten selbst gemalte Schilder hoch. Vorwärts ohne Berlin. Auf geht’s Bayern, konnte er lesen und ein Mann, der die Fahne der Konföderierten schwenkte, mit der die amerikanischen Südstaaten in den Krieg gezogen waren, drängte sich ins Bild. Steiger reichte das Gesehene. Er schob die Schiebewand der Kommode vor den Fernseher. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er sich auch den Innenminister mit einer Handbewegung vom Hals geschaffen. Ihm lag es zwar fern, die Sezession zu unterstützen. Sich zu früh gegen sie zu stellen, war aber auch nicht klug. Missmutig hatte er dem kurzfristigen Besuch des Innenministers zugestimmt.

      „Robert. Nach den Entwicklungen in Bayern und Baden-Württemberg ist Hessen für Deutschland von enormer Wichtigkeit geworden. Der Kanzler muss wissen, wie du zur Volksabstimmung stehst? Was weißt du darüber und was können wir von dir erwarten? Und überhaupt: Spreche ich mit einem Deutschen oder zu einem Hessen?“

      Steiger war, was Aussehen und Charakter betraf, das genaue Gegenteil vom Innenminister. Er glich eher einer deutschen Eiche. Stämmig und solide präsentiert er sich seit jeher dem Wahlvolk und seiner Partei.

      „Im Gegensatz zu Bayern und Baden-Württemberg gibt es in Hessen keine breite Zustimmung zur Sezession. Das muss aber nicht so bleiben.“

      In Steigers Aussage lag eine Distanz, die der Innenminister auch deutlich in dessen Ausstrahlung wahrnehmen konnte.

      „Die zwischen dem wirtschaftspolitischen Flügel des Südens und Berlin entstandenen Diskrepanzen dürfen nicht dafür verantwortlich sein, dass du der Sezession zustimmst“, sagte er.

      „Was die wichtigen wirtschaftlichen Entscheidungen anging, hättet ihr mehr auf die Wünsche des Südens eingehen sollen.“ Steiger überlegte, ob er noch ein paar Punkte, wie Energiepolitik, Rentenentwicklung, Subventionsabbau oder Flüchtlingspolitik, ansprechen sollte. Er ersparte dem Minister aber die Belehrungen.

      „Jede Entscheidung der Regierung wurde zum Besten der Bundesrepublik getroffen.“ Mehr konnte der Innenminister nicht erwidern. Ihn überkam die Furcht, Steiger über diese Thematik in die Arme der Sezession zu treiben und Steigers Antwort bestärkte ihn umgehend in dieser Befürchtung.

      „Ich kann mich an keine politische Wende der Regierung erinnern, die dem Süden Geld gebracht hat. Im Gegenteil, jeder politische Schwenk der Regierung kostete uns Geld. Und im Vorfeld der Bundestagswahl haben die verschiedensten süddeutschen Interessensgruppen Deutschland gewarnt, dass eine linksgerichtete Regierung unter Schindling nicht ohne Widerstand hingenommen wird. Der Süden kommt sich wie euer Finanzminister vor. Der flucht doch bei jeder Gelegenheit darüber, dass Deutschland die Melkkuh der EU ist.“

      „Halt“, sagte der Innenminister. Steiger sprach aber einfach weiter.

      „Reg dich nicht auf. Natürlich sagt er so was nur hinter verschlossenen Türen. Doch das Wichtigste an der Aussage ist, dass sehr viele Deutsche das genauso sehen. Den Bürgern des Südens geht es ähnlich. Sie haben kein Verständnis mehr dafür, dass die BRD ihr Geld nimmt, aber zukunftsweisende Entscheidungen an ihren Interessen vorbei trifft.“ Demonstrativ stellte Steiger seinen Fuß auf Adenauers Tisch.

      „Die Politik ist ein Feld, auf dem man über alles diskutieren kann. Aber die Sezession zu unterstützen, wäre das mit Abstand Blödeste, was du und Hessen machen könntet. Robert, ich muss wissen, ob du und Hessen zu Deutschland stehen.“

      Steiger blies die Wangen auf und er nahm den Fuß vom Tisch. Lautstark presste er die Luft aus den Lungen.

      „Ich wäre heimatlos, wenn ich zu Deutschland stehe, die Idee der Unabhängigkeit sich aber wider Erwarten durchsetzt. Mir liegt aber auch nichts daran, dich und den Kanzler auf die lange Bank zu schieben.“

      Dem Innenminister reichte das Gehörte nicht.

      „Der Kanzler muss wissen, ob du bereit bist, eine Entscheidung für Deutschland zu treffen!“, sagte er nach einem kurzen gegenseitigen Belauern.

      „Vor morgen kann ich dir keine Antwort geben. Ich muss noch ein Gespräch führen. Um dir das Warten aber zu versüßen, lade ich dich ein, mich auf die Geburtstagsfeier des Frankfurter Oberbürgermeisters