Die abnehmende Sichel des Mondes. Willi Kuhlmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Willi Kuhlmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738000429
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Fundort in einem größeren Radius Zentimeter für Zentimeter ab. Jeder noch so unscheinbare Hinweis, die kleinste Spur, alles wird mit weiteren, fortlaufend nummerierten Täfelchen gekennzeichnet. Gleichzeitig wird der Tote aus verschiedenen Positionen fotografiert.

      Nachdem die Spurensicherung ihre Arbeit beendet hat, winkt Gertel Zink, Brenner und den inzwischen eingetroffenen Rechtsmediziner zu sich heran. „Sie können anfangen, Doktor, wir sind fertig“, sagt Gertel. Er wendet sich Zink und Brenner zu. „Dort drüben“, er deutet nach links auf ein Blumenbeet, „etwa zwanzig Schritte von der Leiche entfernt, ist jemand durch das Beet zur Straße gelaufen. Die Person hat einige blitzsaubere Fußabdrücke in der feuchten Erde hinterlassen. Ansonsten sieht es auf den ersten Blick nicht gut aus. An der Hecke einige angebrochene Zweige, die wir im Labor auf Faserspuren untersuchen. Das ist vorerst alles. Ach ja, das hier ist auf keinen Fall der Tatort, die Leiche wurde hier abgelegt.“

      „Ziemlich dürftig, Franz“, sagt Zink der aufmerksam zugehört hat, „aber besser als gar nichts.“

      „Tut mir leid, dass ich nicht mit mehr dienen kann. Meinen Bericht bekommst du so schnell wie möglich, wir verschwinden jetzt. Macht ´s gut!“

      „Mach ´s besser“, antwortet Zink. Er sieht den abrückenden Beamten der

      Spurensicherung nach. „Lass uns mal hören“, sagt er nach einer kurzen Denkpause zu Brenner, „was der Arzt zu sagen hat.“

      Als sie bei ihm angelangt sind, erhebt sich der Rechtsmediziner soeben schwer atmend aus der Hocke. Er hat den Toten zur Seite gedreht. „Sehen sie sich das an“, er deutet auf das Opfer. „Der Mann wurde richtiggehend massakriert. Der Körper des Mannes weißt zentimetertiefe Schnittwunden und Einstiche im Brust- und Bauchraum sowie an den Oberschenkeln auf.“ Der Arzt unterbricht kurz, nimmt seine Brille ab und putzt sie mit seinem Taschentuch. Als er damit fertig ist setzt er die Augengläser wieder auf. „Das war der harmlose Teil, jetzt wird es langsam interessanter.“ Er atmet tief durch, was weniger mit dem Anblick der Leiche, als mit seiner Körperfülle zu tun hat. „Der Körper ist allem Anschein nach völlig blutleer, was an Hand der schweren Verletzungen nicht verwunderlich ist. Beide Augen wurden ihm ausgestochen. Sein Penis ist abgetrennt“, erklärt der Arzt emotionslos den beiden Kriminalbeamten. „Und wenn sie glauben, meine Herren, dass es keine Steigerung mehr gibt, täuschen sie sich.“

      Er hält kurz inne. Mit Daumen und Zeigefinger rückt er seine Brille zurecht. „Sein Herz fehlt!“

      „Was?“, entfährt es Zink und Brenner wie aus einem Mund. Ungläubig sehen sie den Arzt an.

      „Das darf doch nicht wahr sein!“ Brenners Blick fällt auf das Opfer. „Bist du sicher?“

      „Ich bitte dich!“ Ein vorwurfsvoller Blick trifft Brenner.

      Leicht beleidigt fährt der Arzt mit seinen Ausführungen fort: „Außerdem war er an seinen Handgelenken und Knöcheln, wie du anhand der Blutergüsse und den tiefen Einschnitten unschwer erkennen kannst, wahrscheinlich mit einem Draht oder einer dünnen Nylonschnur gefesselt.“

      Zink fährt sich durchs lichte Haar. „Wann etwa wurde er, man muss wohl sagen, abgeschlachtet?“

      „Das kann ich ohne genauere Untersuchung nicht sagen, Herr Hauptkommissar.“

      „Ich will es jetzt auch nicht genau auf die Minute wissen, sondern ungefähr.“

      „Berücksichtigt man außer der Tatsache, dass er völlig ausgeblutet ist auch noch den Regen heute Nacht, würde ich sagen so zwischen zweiundzwanzig Uhr gestern Abend und drei Uhr heute Früh. Näheres kann ich ihnen erst nach der Obduktion bekannt geben. Sagen wir ...“, er überlegt kurz, „... morgen im Laufe des Tages.“

      „Danke Doktor“, sagt Zink nachdenklich. Er reibt seine Nasenwurzel zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand. „Für den Anfang war das vorerst alles.“

      Der Arzt gibt seinen zwei Begleitern, die darauf warten den Toten ins Rechtsmedizinische Institut zu bringen, einen Wink. Sie legen den grässlich verstümmelten Leichnam auf einen bereits ausgebreiteten, aus speziellem Kunststoff bestehenden, luft- und flüssigkeitsdichten Leichensack. Nachdem einer der Beiden den Reißverschluss zugezogen hat, heben sie den Toten in den bereitstehenden Bergungssarg aus Polyethylen.

      Zink und Brenner sehen dem langsam davonfahrenden Fahrzeug der Gerichtsmedizin nach.

      „Ich habe ein flaues Gefühl im Magen“, sagt Brenner zu Zink. „Denkst du das gleiche wie ich?“

      „Entweder ist der Mörder völlig ausgerastet und in einen Blutrausch gefallen oder es ist die Tat eines Psychopaten. Eine andere Erklärung fällt mir zurzeit nicht ein.“

      Langsam gehen sie zu ihrem Wagen. „Dann klappern wir mal die umliegenden Häuser ab, vielleicht haben wir Glück und jemand hat etwas gesehen.“

      „Das wäre zu schön um wahr zu sein.“ Leichter Zweifel ist aus Brenners Stimme herauszuhören. „Wahrscheinlich können wir tagelang hier in der Gegend herumlatschen und sind dann immer noch so klug wie jetzt.“

      „Positiv denken, Lothar, positiv denken“, antwortet Zink und klopft Brenner dabei auf die Schulter.

      Die Ansammlung der Schaulustigen löst sich, nachdem der Tote abtransportiert wurde, langsam auf. Nur einige Reporter und ein Fernsehteam des lokalen Senders stehen noch an der Absperrung. Zink bleibt einige Schritte vor ihnen stehen und blickt suchend in die Runde.

      „Falls du dein Nesthäkchen suchst, Mister Holmes, der ist vor einigen Minuten in dem Haus da drüben verschwunden.“ Julius Rode, ein alter Bekannter von Zink und Reporter beim größten Lokalblatt der Stadt, drängelt sich an seinen wartenden Kollegen vorbei. Er deutet mit dem Daumen über die Schulter nach hinten. „Hallo Heinz, Tag Herr Kommissar“, grüßt er die Beamten.

      „Julius, alter Schwede, welches Vögelein hat dir ins Ohr gezwitschert, dass hier was los ist?“

      „Wird nicht verraten, alter Freund. Erzähl uns, was ist passiert?“

      Zink will näher an die Journalisten herantreten, doch Brenner hält ihn kurz am Ärmel fest.

      „Ich mache mich auf die Socken und hör mich auf der Westseite des Parks um. Wann treffen wir uns wieder?“

      „Na sagen wir“, Zink sieht auf seine Armbanduhr, „in zwei Stunden. Hier beim Wagen.“

      Brenner nickt. „Bis später.“

      „Meine Damen, meine Herren“, richtet Zink das Wort an die Reporter. „Ich sage ihnen in zwei Sätzen, was wir bis jetzt wissen: Unbekannte, völlig unbekleidete, männliche Person, mit mehreren Messerstichen ermordet. Motiv und Täter

      unbekannt. Das war ´s.“

      „Ziemlich spärlich. Können sie uns nicht mehr sagen?“, ruft ein nassforscher junger Volontär, der sich seine Sporen erst noch verdienen muss. „Wer hat den Mann getötet?“

      „Junger Freund, wenn ich das jetzt schon wüsste, wäre ich nicht Kriminalbeamter, sondern Hellseher geworden.“ Zink lächelt den jungen Mann freundlich an.

      Die anderen Reporter grinsen. Sie kennen den Hauptkommissar schon länger. Alle Reporter haben ein gutes Verhältnis zu ihm. Sie respektieren sich gegenseitig, keiner versucht den anderen hinters Licht zu führen. Die Journalisten wissen natürlich, dass Zink ihnen nicht immer sofort jede Kleinigkeit auf die Nase bindet. Sie akzeptieren das, ohne ihn mit bohrenden Fragen auf die Nerven zu fallen. Sie wissen aus Erfahrung, dass er sie auf dem Laufenden hält. Außerdem hat der eine oder andere von ihnen schon am eigenen Leib zu spüren bekommen, dass Zink trotz seiner augenscheinlich gutmütigen Art, auch ein äußerst ungemütlicher Geselle sein kann.

      Die Ohren des jungen Volontärs beginnen zu glühen und er schaut verlegen zu Boden.

      „Also Herrschaften, es ist früh am Tag. Ich schlage vor, sie lassen mich jetzt vom Haken. Ich muss mit meiner Arbeit beginnen“, sagt Zink schmunzelnd.

      Die Presseleute wenden sich