Die abnehmende Sichel des Mondes. Willi Kuhlmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Willi Kuhlmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738000429
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des Hauptkommissars. Seine dunkelblonden, zerzausten Haare stehen ihn wirr vom Kopf ab. Niemand, der den schlaksigen, einsachtzig großen Dengler zum ersten Mal sieht, würde ihn für einen Polizisten halten.

      „Arme Person, die Frau. Haben sie ihre blauen Flecken gesehen, Chef?“

      „Sicher, Dengler. Glauben sie mir, am liebsten würde ich sie laufen lassen“, fügt Zink bedrückt hinzu. „Ist Brenner schon hier?“

      „Ich habe ihn noch nicht gesehen, Chef. Soll ich ihn anrufen?“

      „Ja! Klingeln sie ihn aus den Federn und sagen sie ihm dass wir -.“

      Die Tür des Büros fliegt auf und Brenner stürmt herein. „Entschuldigung! Aber mein Wagen hat den Geist aufgegeben und der verdammte Fahrstuhl ist wieder mal außer Betrieb“, schimpft er japsent.

      „Wird Zeit, dass du kommst, Lothar. Behalte deine Jacke an, wir müssen weg.“

      „Wohin?“, fragend sieht Brenner seinen Freund und Vorgesetzten an.

      „Wirst du sofort erfahren. Dengler, verständigen sie die Spurensicherung und die Rechtsmedizin! Sagen sie ihnen im Stadtpark, beim kleinen Ententeich, liegt Kundschaft für uns. Anschließend besorgen sie einen Wagen, wir warten vor dem Eingang.“

      „Wird prompt erledigt, Chef!“, antwortet Dengler eifrig und eilt ans Telefon.

      Zink angelt sich seine Jacke von der Garderobe neben der Tür und verlässt zusammen mit Brenner den Raum. Mit seiner Größe von einsachtundachtzig überragt Brenner seinen neun Jahre älteren Kollegen um gut sechs Zentimeter. Durch seine breiten Schultern, seinem gutmütigen Gesichtsausdruck und auf Grund seines Bürstenhaarschnitts wirkt Brenner wie ein gutmütiger, tapsiger Bär. Viele seiner Kunden könnten im Nachhinein bestätigen wie sehr der Eindruck täuscht. Er sieht Zink, mit dem er seit über zwölf Jahren zusammenarbeitet, von der Seite an.

      „Du siehst nicht gerade wie das blühende Leben aus, Heinz. Hattest wohl eine lange Nacht?“, fragt er schmunzelnd. Nebeneinander laufen sie die breite Treppe hinab.

      „Erinnere mich bloß nicht daran. Gestern Abend erscheint ein ehemaliger Schulfreund bei mir auf der Bildfläche. Er hält sich geschäftlich in der Stadt auf. Zwanzig Jahre haben wir uns nicht gesehen, was da los war kannst du dir denken. Wir schwelgten in Erinnerungen und bis ich mich versehe, hatten wir vier Flaschen Wein geleert. Um vier Uhr lag ich endlich in der Koje. Ich bin froh, dass ich an die frische Luft komme!“

      Mittlerweile im Erdgeschoss angelangt fragt Brenner: „Weißt du schon Genaueres?“

      „Nein. Die vom Vierten haben angerufen“, antwortet Zink. Er nickt dem Diensthabenden Beamten in der Eingangshalle zu, während dieser gleichzeitig den Knopf des automatischen Türöffners drückt. Brenner greift nach der Klinke, zieht die schwere Eingangstür des Präsidiums auf und macht eine einladende Handbewegung. „Bitte nach dir. Alter vor Schönheit“, flachst er.

      „Wenn du schön bist, will ich lieber alt sein“, entgegnet Zink trocken.

      Brenner zuckt mit den Schultern und sagt grinsend: „Eins zu null für dich, Herr Hauptkommissar.“

      Sie stehen noch keine zwei Minuten auf dem Gehsteig, als ein ziviles Einsatzfahrzeug mit quietschenden Reifen, eingeschalteten Martinshorn und zuckenden Blaulicht aus der Einfahrt der Tiefgarage schießt.

      Brenner sieht Zink an und verdreht die Augen. „Unser Dengler, ein fixer Junge. Ich glaube er will Polizeipräsident werden.“

      „Der wird mit Sicherheit auch noch ruhiger, darauf kannst du Gift nehmen.“

      Bevor der Wagen neben ihnen zum stehen kommt, radiert er noch einige Meter mit den Reifen am Bordstein entlang. Zink steigt vorne ein, Brenner nimmt auf dem Rücksitz Platz.

      „Dengler“, sagt Zink ruhig in väterlichem Tonfall. Er sieht seinen jungen Kollegen treuherzig an. „Nehmen sie das Blaulicht vom Dach, schalten sie die Musik aus und fahren sie bitte nach den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung zum Stadtpark. Die Leiche läuft uns mit Sicherheit nicht weg.“

      „Jawohl, Chef.“ Die Enttäuschung steht Dengler ins Gesicht geschrieben. Er greift mit der linken Hand durch die geöffnete Seitenscheibe nach außen und holt das Blaulicht in den Wagen. Anschließend schaltet er das Martinshorn aus. Wie ihm von Zink aufgetragen, fährt er unter Beachtung aller Verkehrsregeln zum Stadtpark.

      Schon von weitem signalisiert ihnen eine Ansammlung von etwa zwei Dutzend Neugierigen, welche Richtung sie einschlagen müssen. Dengler steuert den Wagen vorsichtig auf einen mit Split befestigten Weg. Er stellt den Motor ab und steigt gemeinsam mit seinen Kollegen aus. Sie bahnen sich ihren Weg durch die Leute, die sich bis dicht an die rot-weißen Absperrbänder der Polizei drängen.

      „Dengler, fragen sie die Gaffer, vielleicht hat irgendjemand etwas gesehen. Wer keine Angaben machen kann, den schicken sie weiter! Sie sind dafür verantwortlich, dass hier nicht in Kürze Hunderte von Schaulustigen alle eventuell verwertbaren Spuren zertrampeln. Ist das klar?“

      „Jawohl, Chef“, antwortet Dengler und macht auf dem Absatz kehrt.

      Brenner hebt das Absperrband ein Stück an. Er und Zink bücken sich darunter hindurch um zum Fundort der Leiche zu gehen.

      „Guten Morgen, Kollege“, grüßt Zink den Polizisten der ihnen entgegenkommt.

      „Guten Morgen“, er nickt den beiden Kriminalbeamten zu. „Bitte kommen sie, hier hinten liegt der Tote“, sagt der Uniformierte und geht voraus. Sie müssen durch ein vom nächtlichen Regen aufgeweichtes Blumenbeet stapfen, um zur Leiche zu gelangen.

      „Das hat gerade noch gefehlt“, mault Brenner. „Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich in Gummistiefeln gekommen.“ Wie ein Storch schreitet er in den Fußabdrücken seiner Kollegen hinter ihnen her, um seine Schuhe nicht zu ruinieren.

      „Dort liegt er.“ Ihr Kollege deutet auf eine Hecke. „Ich warte hier, wenn sie nichts dagegen haben, mir ist von dem Anblick jetzt noch schlecht.“

      Zink und Brenner gehen vorsichtig an ihm vorbei. Nach ein paar Schritten sehen auf den Toten hinab. Die beiden Beamten haben weiß Gott schon einiges in ihrer Laufbahn gesehen. Doch dies ist ein grausiger Anblick, der sich ihnen bietet. Dass es sich um einen Mann handelt, erkennt man erst bei näherem Hinsehen.

      Die völlig entkleidetet Leiche ist furchtbar zugerichtet. Der Rücken ist mit unzähligen Schnitten und Stichverletzungen übersät. An den Handgelenken, sowie an den Knöcheln der Füße zeichnen sich dunkle, tief in das Fleisch eingeschnittene Wunden ab. Da das Opfer auf dem Bauch liegt, müsste es umgedreht werden um das Ausmaß weiterer Verletzungen zu erkennen.

      „Mein lieber Mann, da hat einer aber ganz schön Dampf abgelassen. Wer ist dazu fähig einen Menschen so zuzurichten, kannst du mir das sagen, Heinz?“

      „Ein Wahnsinniger, ein gehörnter Ehemann, eine betrogene Ehefrau oder eine sitzen gelassene Freundin. Vielleicht ein Racheakt der Unterwelt, heutzutage ist alles möglich, Lothar. Jedenfalls sieht das nicht nach der Tat eines psychisch gesunden Menschen aus. Wer zu so etwas fähig ist, muss krank sein. Komm gehen wir zurück und warten auf die Spurensicherung.“

      „Moment noch“, Brenner beugt sich nach vorne. Mit prüfenden Blicken sucht er das Gras ab. „Keine Blutspuren zu sehen“, stellt er fest. „Der Fundort ist augenscheinlich nicht mit dem Tatort identisch. Dennoch müssten Blutspuren zu erkennen sein, es sei denn ...“ Er bricht mitten im Satz ab, richtet sich wieder auf und sieht Zink an.

      „Es sei denn, der Regen vergangene Nacht -.“

      „Hallo Kollegen, macht mal bitte Platz, damit wir an die Arbeit gehen können“, unterbricht eine Stimme Zink in seinen Überlegungen. Franz Gertel von der

      Spurensicherung kreuzt mit seinen Männern in ihren weißen Overalls auf. Er begrüßt Zink und Brenner per Handschlag. „Schon was entdeckt?“

      „Für uns Laien ist hier nicht viel zu erkennen, Franz“, antwortet Zink, „wir verlassen uns voll