Hans hatte sich in heißen Ärger hineingeredet währen seiner Erzählung. Jetzt musste er doch über den Eifer der schönen Frau lächeln.
„Man wechselt seine Nationalität nicht wie seine Handschuhe, gnädige Frau!“
„O, ist Ihre Mutter doch auch Polin – nicht wahr, Frau von Walsberg?“ fügte sie in polnischer Sprache zu dieser gewendet hinzu, und Hans hörte seine Mutter lachend antworten:
„Ich bin heute Deutsche und morgen Polin – es kommt mir nicht so genau darauf an.“
Sie sah den erstaunten Blick ihres Sohnes auf sich gerichtet und fuhr fort:
„Das ist ja ganz egal, Hanuschko, wir leben doch hier an der Grenze.“
Ein unbehagliches Erschrecken wurde in Hans wach, sein Blick überflog die Tafelrunde – nein, er konnte hier keine Nationalitätendebatte heraufbeschwören. Und schon wandte Frau Maria sich ihm wieder zu.
„Müssen Sie nicht glauben, dass ist Herr von Schulen schuld an die schlechte Artikel, Herr von Schulen ist eine viel zu große Mensch, um zu sein kleinlich deutsch!“
Hansens Stirn rötete sich, aber ehe er noch seinem deutschen Empfinden Ausdruck geben konnte, legte Frau Maria ihre feinen, von Juwelen blitzenden Finger auf seine Hand und sagte:
„Ich kann gar nicht sehen, wenn eine so schöne Junge ist traurig – wenn ich kann etwas tun zu helfen, müssen Sie mir sagen. Wissen Sie, ist überhaupt Ihre Name sehr bekannt zu mir, habe ich viele Briefe an eine Herren, der hat geheißen wie Sie, – sind aber nicht an mich, sind altes Briefe aus Schreibtisch von meine Mutter. Ist gewesen ein Herr von Walsberg großes Freund zu meine Mutter:“
Hans wollte näheres wissen, was für ein Walsberg das sei, aber sie hatte vergessen, wo die Briefe hergekommen und wie der Vorname gewesen war.
„Habe ich ja vieles altes Briefe in die Schreibtisch von meine Mutter“, sagte sie, „muss man verbrennen altes Briefe, ehe stirb – hab‘ ich immer gedacht, ist unrecht zu lesen – aber – que voulez vouz? Hab‘ ich doch gelesen! Piotr“, rief sie plötzlich ihrem Manne zu, „wollen wir nicht die junge Baron mitnehmen nach Paris, dass er sehen soll, wie schön ist Leben!“
Nun empörte sich doch Hansens junge Männlichkeit gegen diese Art, ihn wie ein Kind zu behandeln, und noch ehe Piotr Stellung zu der Frage hatte nehmen können, sagte er:
„Sie sind zu gütig, gnädige Frau, aber ich muss jetzt Zeit und Kräfte zusammennehmen, um mir einen anderen Beruf zu eröffnen, ich habe gar keine Muße zum Amüsieren.“
Während er das sagte, fühlte er, dass er den Polen pedantisch erscheinen musste, und fast kam er sich selbst so vor.
Piotr nahm auch diese Erklärung zur Sache mit seinem zähne blitzenden Lächeln auf.
„Warum müssen Sie haben einen Beruf, Herr Baron?“ fragte er.
„Ja – man kann doch nicht „nichts“ sein“, erwiderte Hans im Tone der Überzeugung, wie er sie aus dem Kadettenkorps mitgebracht hatte.
„Aber ich bitte – Sie sind doch zuerst ein Mensch, den jungen Herren aus der ersten Gesellschaft in Paris, in Warschau und in Petersburg ist das genug – “
„Immerhin ist es ein anerkennenswertes Streben, seine Kräfte einem Beruf, der der Allgemeinheit zugutekommt, dienstbar zu machen“, mischte sich der Rat ein, aber Piotr widersprach.
„Lieber Bruder, wenn wir wären reich gewesen, als Du jung warst, hättest Du auch nicht auf eine Karriere hin studiert, und ich hätte nicht versucht, Geistlicher zu werden.“
Maria Mielosenska lacht laut auf.
„O ja, denken Sie, Piotr hat wollen geistlich werden, die ersten Weihen hat er schon gehabt – Piotr, zeig‘ Deinen Kopf her – ein bisschen kann man noch sehen von – wie sagt man doch – “
„Lass die Torheiten, Maria“, sagte Piotr, „ich erkannte zur rechten Zeit, dass das geistliche Kleid nicht für mich passte. Und sehen Sie, Herr Baron, ich habe mich sehr wohl gefühlt ohne Beruf:“
„Und mit einer Frau, das muss Du nicht vergessen“, rief Maria . . . „aber jetzt wollen wir Zigaretten rauchen, gib Dein Etui, Piotr, ich habe meins verloren!“
Hans sprang auf, um seine Zigaretten zu holen. Dabei streifte sein Blick Stasch Dzimbek, der sich schweigen verhalten hatte, und der lauernde Ausdruck seiner Augen fiel ihm auf. Ein unangenehmer Mensch! Und es fiel Hans schwer aufs Herz, dass er der Bruder seiner Mutter war.
VIII.
Zwei Tage später waren die Mielosenskis abgereist. Frau von Walsberg richtet sich häuslich mit Stasch im Parterre des alten Herrenhauses ein, und Hans fuhr mit Herrn von Wolffen zum Generaldirektor Blei, um seinen rat darüber zu erbitten, wo Hans am besten als Volontär untergebracht sein würde.
„Ich hätte besser getan, in eine andere Gegend zu gehen“, meinte Hans, „ich fürchte, der Generaldirektor wird mich nicht freundlich empfangen.“
„Das sollt mich wundern sähe dem Blei nicht ähnlich“, sagte Herr von Wolffen, der förmlich aufatmete, seit die pekuniäre Sorge um sein Mündel von ihm genommen war, und der geneigt war, die übrigen Kalamitäten neben diesem Kardinalpunkte leichter zu nehmen.
Der Generaldirektor bewohnte ein hübsches, geräumiges Landhaus inmitten eines alten Gartens, und als Herrn von Wolffens Wagen vorfuhr, stieg er selbst eben vom Pferde und kam den Besuchern in Stulpenstiefeln und Reitrock entgegen.
Als er hörte, um was es sich handelte, sah er Hans einen Augenblick schweigend und prüfend an.
„Haben Sie denn Lust zur Landwirtschaft?“ fragte er endlich.
„Ich bin für den Militärdienst erzogen worden“, erklärte Hans ehrlich, „aber im Grunde sah ich mich doch in Gedanken immer zwischen den Feldern von Warozin.“
„Hm – wie alt sind Sie denn eigentlich?“
Hans sagte es ihm.
In den ernst forschenden Augen des Generaldirektors leuchtete es freundlicher auf.
„So jung und schon ein Schicksal erlebt!“
„Und all seine Zeugnisse sind gut, das kann ich sagen“, fiel Herr von Wolffen ein. „Du hast doch Deine Prüfungszeugnisse eingesteckt, Hans?“
Hans griff in die Brusttasche, aber der Generaldirektor machte eine abwehrende Bewegung.
„Lassen Sie gut sein, Herr von Walsberg, ich richte mich mehr nach dem, was ich sehe, als nach dem, was ich lese“ – er wies auf einen im Parkgrün halb versteckten Pavillon – „ darf ich bitten, hier wollen wir und weiter unterhalten.“
Als sie sich auf die bequemen Korbsessel des Pavillons gesetzt hatten, fuhr er fort: „Ich möchte jetzt eine Frage stellen, die ich bitte, nicht für indiskret zu halten.“
„Aha“, dachte Hans, „jetzt verlangt er ein politisches Glaubensbekenntnis inbetreff der Polen!“ Aber der Generaldirektor fragte:
„Welches Vermögen steht Ihnen zur Disposition, um sich später mal eventuell selbständig zu machen?“
Herr von Wolffen übernahm die Antwort.
„Das reicht nur für einen sehr kleinen Besitz oder für eine Pacht“, erklärte der Generaldirektor. „Würde Ihnen so etwas liegen, Herr von Walsberg?“
„Einen noch so kleinen, aber eigenen Besitzt würde ich allem anderen vorziehen.“
„Klein, doch mein – das lässt sich hören. Ich stelle diese Frage, weil ich der Ansicht bin, dass nur wirtschaftlich gesunde Verhältnisse Wert und Stabilität haben können. Würden Sie mit großen Ansprüchen