Ein beifälliges Murmeln antwortete, ein paar Zischlaute und Pfiffe waren zwar darunter, aber die Menge macht doch Platz und ließ den Wagen passieren.
Im Direktionshause empfing der Leiter des Hüttenwerkes seinen Chef mit gutgemeinten Vorwürfen.
„Sie durften sich doch nicht so exponieren, wir haben hier Todesängste ausgestanden!“
„Ihr seid nicht gescheit“, erwiderte der Generaldirektor, „ sehe ich aus wie einer, der unter keinem Dache vorbeigehen kann, ohne dass ihm die morschen Ziegeln auf den Kopf fallen? Und nun machen Sie mal Ihre Haustür weit auf, lieber Direktor Wollhasse, dass ich die Arbeiterdeputation empfangen kann!“
X.
Der Streik war längst beigelegt, der Inspektor Marker war nicht liebenswürdiger, und die geselligen Veranstaltungen seiner Frau waren nicht interessanter geworden, aber Hans war noch immer in Pogrzebin. Er hatte gefunden, dass es ein geringer Umweg war, wenn er sich durch den Park am Herrenhause vorüber nach der Brennerei begab, wo er jetzt Studien machte. Und jedes Mal, wenn er vorüberkam, stand Adelka am Fenster ihres Zimmers oder sie begegnete ihm im Park. Sie tauschten nur einen Gruß, höchstens ein flüchtiges: „Wie geht es Ihnen?“ aus, denn Adelka war jedes Mal sehr verlegen und eilig – aber sie kam doch immer wieder. Dass das Arbeitszimmer des Generaldirektors gerade unter Adelkas Zimmer lag und diese tägliche Promenade bemerkt werden könnte, daran dachten beide nicht. – Da sagte eines Tages Herr Blei bei Tische:
„Ich möchte doch wissen, weshalb der junge Walsberg so oft hier vorübergeht, den Weg nehmen die Eleven doch sonst nicht.“ Dabei streifte sein Blick Adelka, deren Gesichtchen sich mit dunkler Röte bedeckte.
Er sagte nichts weiter, aber er schrieb noch am selben Tage an Herrn von Wolffen, er halte für angezeigt, dass Herr von Walsberg für das Winterquartal Kollegs belege und nach der Stadt übersiedelte.
Vierzehn Tage später macht Hans seinen Abschiedsbesuch, wobei er merkwürdig ernst aussah, und Adelka hatte an dem Tage „entzündete Augen“, wie sie behauptete. Frau Blei erwog, ob es nötig sei, den Doktor zu holen – ihr Mann schüttelte den Kopf.
„Nicht nötig, so was gibt sich“, sagte er, und während er in sein Arbeitszimmer schritt, murmelte er:
„Dumme Bälger, sich das schöne junge Leben mit so ‘ner Kinderei zu beschweren!“
Und er war die Liebenswürdigkeit selbst gegen den Scheidenden, strichelte den Blondkopf seines Mädels zärtlich und sagte:
„Was meinst Du, wenn wir mal schnell nach Rom hinunterführen, wovon du immer träumst? Du bist zwar eigentlich noch zu jung dazu, aber gefallen wird’s Dir doch.“
Hans bewerkstelligte seine Übersiedelung nach der Stadt in ziemlich schlechter Laune. Dann aber begannen die veränderte Umgebung und das Getriebe der Provinzialhauptstadt nach der ländlichen Einsamkeit doch auf ihn zu wirken, wenn er auch von baldiger Rückkehr und Frühlingstagen in Pogrzebin träumte.
In so eine Träumerei versunken, schlenderte er eines Tages die Hauptstraße, als er angerufen wurde.
„O, die Baron Walsberg!“
Maria Mielosenska stand vor ihm, und ihr reizendes Gesicht lacht ihn unter dem pelzverbrämten Sammethut (Samthut) freundlich an.
„Sie hier, gnädige Frau? Welche Freude!“
„Wie sind sie hier gekommen?“ fragte sie. Er erzählte es ihr, und sie sagte, dass sie ihre Tochter in Warschau abgeholt habe und nun auf dem Wege nach Paris sei.
„Sie wissen doch, ist meine Tochter schon großes Mädel, schon so groß wie ich – ist sehr komisch, zu haben so einer Tochter. Han‘ ich sie gelassen bei liebes Gräfin Gileckta was jetzt lebt hier, und ist altes Freundin von uns. Ist Gräfin schon alt, freut sie sich, zu gehen mit junges Mädel zu Museum und so was. Mir freut ja nicht so, muss ich hier Pferd aussuchen, weil Lonka auch wird reiten in Paris. Können sie mir raten, Pan (Herr) Baron, sind Sie doch Leutnant.“
Sie plauderte das alles durcheinander, während sie an Hans‘ Seite hin schritt; er hatte kaum Zeit, zu fragen, ob sie denn gar nicht nach Warozin ginge, da sie doch mal hier sei.
Sie schüttelte den Kopf.
„Was soll ich dort, jetzt zum Winter? Gibt ja nicht mal Wolfsjagd dort. Aber bleib‘ ich noch paar Tage hier, denn Schwager Oberlandesgerichtsrat ist verreist, da ist ganz gut hier in Grand Hotel. Kommen sie mit mir, müssen sie frühstücken bei mir – will Ihnen noch erzählen von Briefe von Ihrem Vater?“
„Briefe von meinem Vater?“ rief er erstaunt, und sie fuhr lebhaft fort.
„Ja, ja, hab‘ ich Ihnen doch gesagt in Warozin, habe ich altes Briefe. Nachher bin ich gewesen krank in Paris, habe ich gelesen in altes Briefe aus die Schreibtisch von meiner Mutter – ist gewesen Ihr Vater der Freund zu ihr, sind ja Briefe aus Warozin und aus Berlin, aber war Ihr Vater noch eine junge Mann, nicht geheitatet, savez-vouz? O freue ich mich sehr, dass sie sind hier, wollte ich Ihnen immer schreiben wegen Briefe, aber hatt‘ ich nicht Zeit. Werden Sie kommen zu Frühstück, um 1 Uhr?“
Hans sagte zu und begab sich in erregter Stimmung zur festgesetzten Stunde in das Hotel. Er wartete ein paar Minuten in einem kleinen Salon, der nach Juchten und Zigaretten duftete, dann wurde die Tür eilig geöffnet, und Maria Mielosenska kam ihm mit ausgestreckten Händen entgegen.
„Ich freue mich sehr, Sie zu haben bei mir, sind wir beinahe Cousins – wissen sie von Ihre Vater und meine Mutter her – pauvre mére (arme Mutter) – aber sind Sie die Sohn, kann ich doch sprechen von Ihre Vater zu Sie. Ist das Frühstück erst um halb zwei, also kommen sie und setzen zu mir.“
Er musste auf dem kleinen Divan neben ihr Platz nehmen, und sie erzählte ihm eine alte Liebesgeschichte von zwei längst verstorbenen Menschen. Danach hatte sein Vater die schöne Tula Zaleska auf einer Reise in der Schweiz kennen gelernt. Beide hatten trotz des Widerstandes der Verwandten die Absicht gehabt, sich zu heiraten, und aus dieser Zeit stammten die Briefe, die Maria nach dem Tode ihrer Mutter gefunden hatte. Da waren die polnischen Unruhen des Jahres 1863 ausgebrochen, gerade während eines Besuches von Hansens Vater in Warschau. Bei einem Straßenkrawall hatte Baron Walsberg den Bruder der schönen Tula, den er nicht kannte, erschossen; bei der Verteidigung des eigenen Lebens wohl, aber immerhin hatte diese Katastrophe die Liebenden getrennt. Tula hatte späterhin, dem Drängen der Familie nachgegeben, einen älteren wohlhabenden Mann geheiratet. „Und die Baron Walsberg hat auch geheiratet“, schloss Maria, „sind schon Menschen alle so, denken sie erst, sterben sie vor Liebe, aber nachher leben doch und heiraten, wie gerade kommt vor.“
Hans hatte mit heißen Augen zugehört – da war ja der langgesuchte Schlüssel zum inneren Erleben seines Vaters. Hansens Phantasie sah die schöne Tula, die große Liebe seines Vaters, vor sich, und sie trug die Züge Maria Mielosenskas.
„Kann ich die Briefe meines Vaters bekommen?“ fragte er gespannt, in das Gesicht der Polin blickend.
„O, ich habe nicht hier die Briefe“, sagte sie, „Aber müssen Sie kommen nach Paris, gebe ich Ihnen alles, auch Bild von meiner Mutter werden Sie sehen und werden bei uns sein wie verwandt. O, bin ich froh, dass Sie sind hier!“ Und sie reichte ihm wieder beide Hände, die er küsste. Dann legte sie ihren Arm in den seinen.
„Jetzt kommen Sie zum Frühstück.“
In einer der roten Nischen des Restaurants war der Tisch zierlich für zwei Personen gedeckt. Das Licht des mit gelben Store verhängten Fensters fiel matt auf Marias weißes Gesicht, in dem die Augen förmlich phosphoreszierten, und Hans saß ihr gegenüber in einer Erregung, wie er sie nie empfunden hatte.
In einem Eiskübel neben dem Tische stand Sekt.
„Kellner, gießen sie ein“, befahl Maria, und sie hielt ihr Spitzglas Hans entgegen.
„Auf unsrer neuen Verwandtschaft“, sagte