„Hm – nun, wissen Sie, was die Leute denken sollen, das liegt in Ihrer Hand. Jetzt denken sie wahrscheinlich: der junge Herr hat geträumt, anstatt aufzupassen – und wenn Sie ihnen bei nächster Gelegenheit beweisen, dass Sie auf dem Flecke sind, da werden sie denken: der junge Herr ist doch ein tüchtiger Kerl. Seh’n Sie mal, wenn ich dem Marker Vorwürfe darüber mache, dass er Sie angefahren hat, so wird er Ihnen das nachtragen. Das wäre für keinen Teil ersprießlich. Also halte Sie ihm seine Ungeduld zugute – wie ich ihn kenne, tut’s ihm selbst leid – und ein anderes Mal – ja – da passen Sie eben besser auf!“
Hans stand unschlüssig da, und der Generaldirektor fuhr fort:
„Man muss sich und anderen das Leben nicht unnötig schwer machen, lieber Walsberg, damit vertreibt man die Freudigkeit – und die ist gerade unsere beste Hilfe bei jeder Arbeit.“
Die blauen Augen des Generaldirektors sahen Hans ernstfreundlich an, als blickten sie ihm bis auf den Grund der Seele. Er reichte ihm die Hand und sagte:
„Na denken Sie mal drüber nach, Sie werden mir Recht geben!“
Und über Hansens Lippen kam es unwillkürlich:
„Ich danke Ihnen, Herr Generaldirektor.“
Dennoch wurde es Hans nicht ganz leicht, Herrn Marker gleich darauf freundlich zu begegnen, und diese schien auch nicht dergleichen zu erwarten, denn sobald er Hans zu sehen bekam, sagte er: „Wegzulaufen hätten Sie auch nicht gleich nötig gehabt!“ Aber dabei blieb es, denn er hatte wohl selbst das Bewusstsein, etwas grob gewesen zu sein.
So oft Hans sich aber auch in der Folge des Generaldirektors Wort von der „Freudigkeit“ zurückzurufen suchte, sie wollte sich bei ihm nur sehr selten einstellen. Die Sache ging noch im Sommer, wo die Erntearbeiten Mannigfaltigkeit in den Wirtschaftsbetrieb brachten und die sommerliche blühende Natur auf Hans freundlich einwirkte. Als aber der Herbst kam mit den endlosen Ackerungsarbeiten, als gar der Winter einsetzte mit kurzen grauen Tagen, da wollte die Freudigkeit sich gar nicht mehr einstellen.
Dagegen geschah es immer öfter, dass Hans sich der Gespräche mit den Mielosenskis erinnerte.
„Den jungen Herren in Paris und Warschau genügt es, ein Mensch zu sein und sich ihres Lebens zu freuen“, dachte Hans. „Warum quält unsereins sich nun, anstatt es jenen gleich zu tun? Was habe ich denn von meinem Leben hier? Ja, was kenne ich denn überhaupt vom Leben?“ Und seine Phantasie begann zu arbeiten und ihm Bilder vorzumalen von einem Leben, wie es sein könnte, wenn er zufällig als Franzose oder Pole zur Welt gekommen und sich dem Gesetze des „etwas tun und etwas sein Müssen“ nicht unterworfen hätte. Dazu kam, dass Herrn Markers mürrische Art mit dem schlechten Wetter zuzunehmen schien, während frau Marker „ihre jungen Herren“ zu abendlichen Unterhaltungen eizuladen begann. Gewöhnlich kamen dabei die Eleven der verschiedenen Domänen zusammen und die „Unterhaltung“ lief auf eine Skatpartie hinaus, bei der unmenschlich viel Bier und ab und zu minderwertiger Wein getrunken wurde. Hans fühlte sich dabei sehr unbehaglich, denn die jungen Herren legten ihm seine stille Art als „Hochmut“ aus und meinten, man müsse dem „Leutnant“ und „Baron“ zeigen, dass er hier nur „ihres gleichen“ sei.
Eines Tages begegnete er dem Generaldirektor auf dem Hofe; der kam auf ihn zu, reichte ihm die Hand und sagte, ihm in die Augen sehend:
„Na, was machen wir denn?“
Hans zuckt die Achseln.
„Ich fürchte – nicht viel Gescheites Herr Generaldirektor. Ehrlich gesagt – ich weiß nicht recht, ob ich zum Landwirt tauge.“
„Erlauben Sie mal, das wollt ja ich Ihnen nach einem halben Jahre sagen, ob Sie dazu passen, lieber Walsberg, aber ich hab‘ mich nicht viel um Sie kümmern können, weiß nur, dass Sie Ihren Weg gehen und Ihre Pflicht tun. Und da möchte ich Ihnen sagen: ein tüchtiger Kerl stellt überall seinen Mann, ob als Landwirt oder sonst wo. Aber man muss auch dabei sein, bei seinem Beruf, auch mit seinen Gedanken. Und die Ihren reisen, glaub ich, manchmal ins Traumland.“
„Mein Gott, Herr Generaldirektor, man erlebt doch aber auch gar nichts hier!“
„Hm – ja richtig, Sie sind ja noch so schrecklich jung!“ Er sah ihn freundlich, aber ein wenig mitleidig an.
„Na, warten Sie mal, ich nehme Sie nächstens irgendwohin mit, wo’s was zu sehen oder zu erleben gibt.“
Hans verneigte sich dankend. „Sehr gütig, Herr Generaldirektor.“ Herr Blei nickte ihm zu.
„Ich denke schon daran!“ rief er ihm im Weiterschreiten zu.
An dem Tage fühlte Hans sich froher, nicht des Versprechens wegen, sondern weil er das Wohlwollen seines Chefs durch dessen Worte hindurch fühlte und ihm das das Herz wärmte. Aber dann kamen doch wieder graue Tage.
Frau Markers gesellschaftlicher Ehrgeiz war durch die Skatpartien nicht befriedigt. Sie lud Hans und einige Auserwählte zu einem musikalischen Nachmittag ein.
„Ich muss leider einen Nachmittag anstatt eines Abend nehmen“, sagte sie zu Hans, „weil Adelka Blei um 9 Uhr schlafen geht – denke sie nur, das große Mädchen, das nächsten 16 Jahre alt wird! Und Bleis halten sie immer noch wie ein Kind!“
„Ach, sagte Hans verwundert, „ist sie schon 16 Jahre alt?“ Er hatte Adelka auch für ein Kind gehalten, und als er sie an dem betreffenden Nachmittage in ihrem weißen Wollkleide mit dem dicken blonden Zopf im Nacken ins Zimmer treten sah, betrachtete er sie zum ersten Mal aufmerksamer. Nein, ein Kind war sie freilich nicht mehr, aber ihre Kinderaugen und ihr Lachen ließen sie jünger erscheinen als die Markerschen Töchter, die schon anfingen, die jungen Damen zu markieren. Diese produzierten sich zuerst mit Gesang und Klavierspiel, und Hans dacht, dass die Skatabende immer noch angenehmer gewesen seien als diese Art der Unterhaltung. Dann gab es ein Zischeln und Köpfe zusammenstecken unter den jungen Mädchen, und endlich stand Adelka mit der Geige im Arme neben dem Pianino, vor dem die älteste Markertochter mit Grandezza Platz nahm.
Hans, der, ohne selbst musikalisch zu sein, ein feines Gefühl für Musik hatte und falsche Töne schaudernd empfand, blickt resigniert nach dem Podium hin. Adelka legte die Geige ans Kinn – und ein feiner, reiner Ton klang zu ihm hin, die Geige sang eine einfache süße Melodie. Und das Kindergesicht, das sich darüber neigte, veränderte sich, ein verklärter Ernst lag darauf, keine Spur mehr von verlegenem Lächeln und kinderhaften Unruhe, die junge Seele der Spielenden schien auf den Flügeln der Musik dem engen, von Menschen erfüllten Zimmer entrückt. „Auch so eine Bleische Wunderlichkeit, ein Mädchen Geige spielen zu lassen, so unschön!“ flüsterte Frau Marker Hans zu.
Er erwiderte nichts, er war ganz Ohr, und als Adelka geendet hatte, ging er auf sie zu und sagte herzlich:
„Das war schön, gnädiges Fräulein, ich danke Ihnen!“ Sie sah ihm voll ins Gesicht.
„Ja, die Musik ist schön“, sagte sie, „ich habe manchmal gedacht, dass ich Ihnen vorspielen möchte, wenn sie so traurig waren.“ In der Erregung durch das Spiel ging zum ersten Mal aus sich heraus ihm gegenüber.
Er sah sie erstaunt an.
„Woher wussten Sie denn, dass ich oft traurig bin?“ Da wurde sie wieder befangen.
„Ich dachte es nur so“, stieß sie in ihrer gewohnten halb trotzige Art hervor. Die Markers drängten heran. Die Unterhaltung wurde allgemein.
Da wurde die Tür des Zimmers ziemlich unsanft geöffnet.
„So, es ist ja gerade Zeit für Musik und solchen Klimbim“, rief Marker, seinen verbogenen Jagdhut auf den Tisch werfend, „in der Piekarhütte ist der Streik ausgebrochen.“
Frau Marker schlug die Augen gen Himmel, die jungen Herren drängten sich um Marker, um näheres zu erfahren, und die jungen Mädchen standen verschüchtert in einer Ecke.
„Es hat schon lange gegärt unter den Arbeitern“, sagte Marker, „ich habe es dem Generaldirektor vor vierzehn Tagen gesagt, aber er meinte, bei uns wären