"Nehmen Sie doch Platz, Herr Kommissar! Eine fürchterliche Geschichte. Ich kann es immer noch nicht fassen. Einer unserer Mitarbeiter, ein Dieb. Natürlich, es gibt hier lauter wertvolle Dinge...." Er deutete auf die Möbel, Bücher, Teppiche und Bilder um sich, und Renard war überrascht. Wenn er auch von Kunst nicht viel verstand, aber selbst als Laie konnte er erkennen, daß dies keine Imitationen waren. Der zierliche Empire-Schreibtisch, die prächtigen Goldrahmen um kleine impressionistische Gemälde, der phantastische rote Perserteppich, die Bronzestatuette auf dem Glasschrank, in dem Bücher mit Goldrücken standen, soviel wußte auch er, daß das ein Vermögen wert war. Wie kam eine kleine Angestellte dazu? Aber spielte das noch eine Rolle? Die Sache, um die es eigentlich ging, war ja sonnenklar. Er betrachtete Fräulein Cecchini und Vlassens, die auf dem Empire-Sofa ihm gegenüber Platz genommen hatte, Laffitte stand mit untergeschlagenen Armen hinter ihm an den Türrahmen gelehnt, der Polizist blickte vom Korridor her hinein. Der Jurist sah vertrauensvoll zu Renard hinüber: "Sie verstehen, ich wollte ihn nicht mit der Beute abziehen lassen."
"Haben Sie denn etwas bei ihm gefunden? Sie werden doch seine Taschen durchsucht haben."
"Ja...nein, ich war zu geschockt, um noch daran zu denken, nachdem ich ihn niedergeschlagen hatte. Wahrscheinlich hatte er mit seinem Raubzug gerade erst begonnen und wollte mit dem Schlafzimmer anfangen. Er könnte es ja auf Fräulein Cecchinis Schmuck abgesehen haben."
Renard beugte sich nach hinten und winkte den Polizisten zu sich: "Boulanger, lassen Sie sich sofort ins Krankenhaus fahren, untersuchen Sie die Anzugtaschen Duponts, requirieren Sie den Tascheninhalt und nehmen Sie alles mit aufs Revier. Lassen Sie ihm eine schriftliche Bestätigung über die beschlagnahmten Sachen da."
"Danke, Herr Kommissar," sagte Vlassens devot, nachdem der Uniformierte abgezogen war. Er versuchte nicht so hoheitsvoll dreinzuschauen wie im Büro.
Renard verzog keine Miene, er verschwieg, was er von den vermutlichen Absichten Duponts wußte. Er war Laffitte dankbar, daß er den Mund gehalten hatte. Guter Polizist, dieser Laffitte, aus dem konnte noch etwas werden.
"Haben Sie denn schon nachgeschaut, ob etwas fehlt. Es könnte ja sein, daß er die Sachen irgendwo deponiert hat, um sie nachher mitgehen zu lassen oder daß er schon vorher einmal da war. Gehen wir doch gemeinsam die Zimmer durch."
Vlassens und die Frau verdrehten gleichzeitig den Hals und ließen den Blick durch den Raum wandern.
"Also, ich sehe nichts," sagte er, "siehst du etwas, Liebling?"
Armida schüttelte den Kopf.
"Ich sehe, Sie haben auch schöne Bücher," sagte der Kommissar sich vom Sessel erhebend und deutete auf den Glasschrank: "Ah, vieles Italienisches, na, ist ja klar. Sie sind aus San Remo, kenn ich gut, das ist ja nicht weit von Nizza, meiner Heimatstadt..." Er bückte sich tiefer: "Ganz alte Sachen auch." Er ließ bewundernde Blicke über die Goldschnittrücken schweifen, und Laffitte dachte: Alter Hund, der läßt nicht locker, den hat Dupont total infiziert.
Renard richtete sich auf: "Und im Vestibül?" Die Hausherrin und ihr Freund gingen an den beiden Kommoden vorbei, musterten die Blumenvasen und die vielen kleinen Bilder in Silberrähmchen rings um den Empirespiegel. "Soweit ich sehen kann, fehlt nichts," sagte Vlassens. Armida ging stumm nebenher.
"Na, gehen wir mal in die Küche," schlug Renard vor.
"Aber was sollte er da genommen haben?"
"Vielleicht altes Porzellan," meinte Renard. Er betrachtete den hellen, vor Sauberkeit blitzenden Raum, alles war aufgeräumt und dekorativ in den Glassschränken angeordnet.
"Sie haben eine hervorragende Putzfrau," sagte er gutgelaunt. Er wischte sich mit einem Papiertaschentuch die Nase, bückte sich und öffnete den Mülleimer, um es wegzuwerfen. Laffitte sah rote Flecken auf der Innenseite des Deckels. Renard schlug ihn zu und fragte: "Also hier ist auch nichts weggekommen?"
Die beiden ließen die Blicke ratlos über díe Schränke schweifen, öffneten die Türen, bückten sich, sahen hinein: "Nein, auch nichts."
"Um so besser, dann gucken wir einmal ins Bad."
Auch das Bad blitzte, als sei die Putzkolonne gerade erst fortgegangen. Renard nahm ein hübsches geschliffenes Zahnputzglas in die Hand und hielt es gegen das Licht: "Köstliche Arbeit, und das fürs Bad. Alle Achtung!"
"Und nun noch ins Schlafzimmer!" Er ging munter voran, die anderen trotteten gelangweilt hinter ihm drein.
Vor der Tür angekommen, rief Vlassens plötzlich von hinten: "Aber im Schlafzimmer brauchen wir nicht nachzusehen, da war er gar nicht drin, erst als er ohnmächtig war."
Renard hatte aber schon die Klinke ergriffen, öffnete die Tür und warf einen Blick hinein: geblümte Seidentapeten bekleideten die Wände, das breite Bett im Stil Louis XVI. war zerwühlt, zwei Kommodenschubladen waren halb aufgezogen und zeigten wohlgeordnete Wäsche. Renard musterte noch einmal nachdenklich den Blutfleck, der die Wand neben der Tür verunzierte, deutete darauf und klagte: "Schade um die schöne Tapisserie." Dann trat er ans Mansardenfenster und blickte auf das Dach und die Kamine rings umher und schien den Blick zu genießen.
"Eine schöne Aussicht haben Sie hier," sagte er anerkennend. Vlassens nickte, Frau Cecchini schien beklommen. Kein Wunder, der Fleck erinnerte an eine ziemlich unangenehme Szene. Wahrscheinlich waren die beiden gerade in der schönsten Situation gestört worden.
"Also, das wäre zunächst alles," meinte Renard: "Ja, noch eins. Wollen Sie gegen den Einbrecher Anzeige erstatten?"
"Natürlich," sagte Vlassens schnell.
"Die Frage," wies ihn Renard zurecht, "ging eigentlich an die Wohnungsinhaberin, sie ist die Geschädigte."
Fräulein Cecchini schien verlegen, sie rang um eine Antwort, endlich hob sie den Kopf und sagte: "Kann ich mit Herrn Vlassens kurz unter vier Augen sprechen?"
"Selbstverständlich, wir gehen solange in den Salon." Die Kriminalbeamten gingen hinüber. Renard klopfte mit den Fingern auf die Empire-Kommode, während ihn Laffitte nachdenklich anstarrte. Nach ein paar Minuten stieß das Paar zu ihnen und Fräulein Cecchini sagte: "Wir werden keine Anzeige erstatten, es ist ja, soweit wir sehen können, nichts gestohlen worden, außerdem ist es uns unangenehm. Herr Dupont ist doch ein Kollege...."
Vlassens fügte drohend hinzu: "Ungestraft kommt er aber nicht davon. Ich werde veranlassen, daß ihn die Firma entläßt, wir können in unserem Metier keine Kriminellen dulden."
Auweia, dachte Laffitte, das trifft unseren Spinner aber unverdient hart, er wollte den Mund auftun, um Dupont zu verteidigen, seine möglichen Absichten kundzutun, aber Renard sah ihn stirnrunzelnd an, als wüßte er, was er sagen wollte. Laffitte schwieg verdattert. Was hat der Kommissar vor? dachte er, er kann den armen Dupont doch nicht über die Klinge springen lassen.
"Es ist möglich, daß ich Sie noch einmal aufs Revier bitten muß," sagte Renard, zum Abschied jovial Hände schüttelnd, "ach was, was sollen Sie sich bemühen! Ich komme und bringe das Schreiben selbst her, Sie müssen noch eine offizielle Verzichtserklärung auf die Strafverfolgung unterzeichnen. Ohne diese wären wir gezwungen, von Amts wegen ein Verfahren einzuleiten."
"Bis wann würden Sie denn damit kommen? Ich muß am Dienstag zu einer Beerdigung nach Nizza fliegen."
"Das tut mir leid. Darf ich fragen, wer der Verschiedene ist."
"Mein Vater ist vorige Woche gestorben."
"Mein herzliches Beileid!"
Renard legte eine angemessene Pause ein und fuhr dann fort: "Aber danach kehren Sie wieder hierher zurück?"
"Das kann ich noch nicht sagen, wenn Sie es aber wissen wollen, brauchen Sie nur in Cap d'Antibes anzurufen. Haben Sie etwas zu schreiben?" Sie diktierte ihm die Nummer.
"Könnten Sie mir auch die Adresse geben, falls wir Ihnen einen Brief schicken müssen?" Der Kommissar trug alles in