"Auch gut, aber wenn er von Mode wie wir keine Ahnung hat und annimmt, es seien Tausende von Exemplaren im Umlauf."
"Nehmen wir mal spaßeshalber an, die Tote ist wirklich Armida Cecchini, dann wird der Mörder ihr doch nicht die Kleider anlassen, anhand deren Dutzende von Kollegen und andere Bekannte und Freunde sie identifizieren könnten. Er wird ihr andere angezogen haben. Außerdem war sich Dupont gerade beim Kleid nicht sicher."
"Lassen wir Dupont jetzt mal in Frieden ruhen. Ich muß ihn übrigens nach dem Essen besuchen, der Arme hat es verdient, daß man ihn tröstet. Kommen Sie mit?"
"Chef, ich bin seit 6 Uhr auf den Beinen, außerdem ist Sonntag. Kann ich mich heute nachmittag bitte mal meiner Familie widmen?" sagte Laffitte, Renard vorwurfsvoll fixierend.
"Selbstverständlich," beeilte sich Renard zu versichern, er war Junggeselle und mit seinem Beruf verheiratet, er hatte diese Sorgen nicht, "und grüßen Sie Ihre Frau von mir. Wir sehen uns morgen früh wieder, dann liegt wohl der Laborbericht über die Kleider und der abschließende Bericht des Leichenbeschauers vor. Vielleicht gibt es auch schon weitere Hinweise aus der Bevölkerung. Wir müssen noch in der Umgebung der Baustelle fragen, ob jemand etwas Verdächtiges beobachtet hat."
Laffitte verabschiedete sich und verließ das Restaurant. Renard folgte ihm mit freundlichem Blick, trank gemächlich seinen Rotwein, stopfte sich die Pfeife mit einer weiteren von Laffitte geborgten Zigarette und lehnte sich auf die Lederbank zurück.
Kapitel 6
Renard breitete die Gegenstände, die der Polizist aus Henris Anzug genommen hatte, auf der Bettdecke vor ihm aus. Henri sah verbissen auf das Ensemble hinunter.
"Hier haben Sie Ihre Brieftasche, Schlüssel, Taschenmesser usw. zurück, es fehlt doch nichts?"
"Warum haben Sie mir das angetan? Sie wußten doch, weshalb ich dort war," zischte Henri zwischen seinen Zähnen hindurch, "na klar, ich ahne, Sie wollten mir eine Lektion erteilen!"
Renard schwieg, verschlossen lächelnd. Dupont sah mit seinem weißen Turban und seiner strengen Miene wie ein Mullah aus, der die wahre Lehre verkündet: "Habe ich das verdient?"
Auf die Frage antwortete Renard mit einer Gegenfrage: "Haben Sie nichts aus der Wohnung mitgehen heißen?"
"Was soll das?" murrte der Beturbante verstockt. "Nichts. Das wissen Sie doch! Sie haben mich doch ausnehmen lassen wie eine Weihnachtsgans. Was sollte ich denn entfernt haben?"
"Das frage ich Sie."
"Nichts, gar nichts, da war ja nichts." Henri war wütend, er hatte Renard einmal halb vertraut, nun war Schluß, zwischen ihnen war Krieg, von dem Buch würde er nichts erfahren.
"Na gut, lassen wir das. Wenn Sie etwas hätten, das Ihre Theorie bestätigt, würden Sie es mir ja wohl verraten," sagte der Kriminalist liebenswürdig und versuchte ihm in die Augen zu sehen. Alter Trick, dachte Henri, und funkelte ihn boshaft an. Zorn deckt alle Falschheit zu.
Renard ließ es dabei bewenden. "Entschuldigung! Ich hätte Sie zuerst fragen sollen, wie es Ihnen geht? Tut es noch arg weh?"
"Danke der Nachfrage. Ich fühle mich wie im siebten Himmel."
"Ja, dieser Vlassens hat einen harten Schlag. Übrigens, Frau Cecchini verzichtet auf eine Anzeige gegen Sie."
"Danke, untertänigsten Dank. Das wäre ja noch schöner."
"Aber wenn Sie in Ihre Firma zurückkommen, wartet eine kleine Überraschung auf Sie."
"Kann ich mir denken. Vlassens wird alles daran setzen, mich vor die Tür setzen zu lassen."
"Erraten, er hat's mir selbst gesagt. Aber nur ruhig, die Dinge werden nie so heiß gegessen, wie sie gekocht werden. Da werden Sie eine weitere Überraschung erleben."
"Na hoffentlich."
Der Kommissar merkte, daß er es mit Henri ziemlich verdorben hatte. Er setzte seine freundlichste Miene auf und verabschiedete sich mit Genesungswunsch und festem, warmem Händedruck: "Aber daß Sie mir nicht wieder Dummheiten machen. Das nächste Mal könnte es vielleicht schlimmer kommen."
"Das lassen Sie mal meine Sorge sein," murmelte Henri, der sich ins Kissen schmiegte und nach dem unterbrochenen Schlummer mit süßen Träumen zurücksehnte.
Kapitel 7
Renard wählte die Nummer von Fräulein Cecchini und sah, während er darauf wartete, daß sie den Hörer abnahm, auf den Boulevard Montparnasse hinunter, der vom dichten Montags-verkehr erfüllt war.
"Hallo, Fräulein Cecchini, hier spricht Renard," sagte er, als ihre Stimme ertönte, "guten Morgen! Ich habe jetzt die Verzichtserklärung tippen lassen, kann ich gleich zu Ihnen kommen oder gehen Sie ins Büro?"
"Ich habe mich schon am Mittwoch für eine Woche beurlauben lassen, weil ich morgen nach Nizza fliegen muß."
"Ja, paßt es Ihnen jetzt?"
"Doch, ja, ich erwarte Sie."
Renard nahm seine Aktentasche unter den Arm und fuhr zu ihr.
Sie war allein und empfing ihn heiterer und hübscher als am Vortag, führte ihn ins Wohnzimmer und hieß ihn sich setzen. Er griff in die Aktentasche, nahm eine Klarsichthülle mit einem Schreiben heraus und reichte sie hinüber.
Fräulein Cecchini nahm sie in die Hand und zog die Erklärung hervor: "Wie unhöflich von mir," murmelte Renard, "das hätte ich tun sollen." Er nahm die Klarsichthülle an einer Ecke und steckte sie in die Tasche zurück.
"Bitte, hier unterschreiben," er zeigte über ihre Schulter hinweg auf eine gepunktete Linie.
Fräulein Cecchini setzte ihre Unterschrift darauf und gab ihm das Blatt zurück.
"Das war's schon," sagte Renard, ließ das Blatt ebenfalls in die Mappe gleiten und erhob sich, "tut mir leid, daß ich Ihnen Ihre Zeit stehlen mußte."
"Ich bitte Sie," erwiderte sie höflich und geleitete ihn hinaus.
In seinem Büro angekommen, rief Renard Laffitte, gab ihm die Klarsichthülle mit spitzen Fingern und bat ihn, die darauf befindlichen Abdrücke fixieren und fotografieren zu lassen. Dann betrachtete er sinnend die Unterschrift Armidas unter der Erklärung, faltete sie zusammen und steckte sie in seine Brieftasche. Der Assistent kam nach einiger Zeit in den Glaskasten zurück, der das Büro Renards von dem der übrigen Beamten trennte, und legte ihm verschiedene Aktendeckel auf den Schreibtisch:
"Hier ist der abschließende gerichtsmedizinische Untersuchungsbericht, außerdem die Analyse der Kleidung, drittens einige inzwischen eingegangene Vermißtenanzeigen aus Paris und der Provinz."
"Gehen wir's mal durch," sagte Renard und las den zweiseitigen Bericht des Leichenbeschauers, "also kurz gesagt: Sie wurde wahrscheinlich vor drei Tagen, also von gestern an gerechnet am Mittwoch Abend oder Donnerstag umgebracht. Der erste Schlag auf den Hinterkopf war direkt tödlich, Schädelbasisbruch, Gehirnquetschung. Die mindestens zwanzig Schläge ins Gesicht führten zu Nasenbeinbruch, na ja, usw., haben wir ja selbst gesehen Sie hat als letztes Coq au vin, Kartoffeln und Brokkoli gegessen. Gepflegte Haut, benutzte ein Parfüm von Lancôme.....Ergibt nicht viel Neues."
Er zog den zweiten Bericht heran: "Das ist schon interessanter: Sie muß einige Zeit in einem kühlen Keller gelegen haben, daher wohl die ersten Differenzen in der Bestimmung der Todeszeit. Die Kleider riechen muffig und nach Trester, Spuren von Schlamm aus der Baugrube sind vermischt mit anderen mineralischen und organischen Bestandteilen, die auf einen Weinkeller hindeuten. Die Kleider stammen von der Firma Cavalcanti, Florenz. Diese liefern an folgende Pariser Boutiquen.... Du lieber