15.5. Geliebter Rinaldo!
2.6. Die Helle im Gewitter. Vom Wind gebeugte Pappeln. Der Duft des Regens und des Staubes. Rinaldo kam ganz naß herein.
6.6. Manchmal ist mir, als entstehe bei der Annäherung zweier Wesen, die wie Doppelsterne umeinander zu kreisen beginnen, ein Sog, der in den Raum zwischen ihnen etwas Neues, Beunruhigendes ziehen muß.
10.6. Als ich Tancredi bei seinem Einbruch ertappte, wußte er nicht, ob er davonlaufen oder bleiben sollte. Er war ängstlich, aber auch frech, und er blieb. Seitdem habe ich viel über mich selbst erfahren. Ich bin doch falscher, als ich mich eingeschätzt habe. Manchmal frage ich mich, wie ich imstande sein kann, zwei in ihrer Natur so verschiedene Wesen gleichzeitig zu lieben.
15.6. Als Herrin von Tancredi und Rinaldo entdecke ich die Eigenschaften der großen Buhlerinnen in mir: Tancredi saß vor mir auf dem Fußboden, als ich draußen Rinaldo rufen hörte. Tancredi, zu vornehm, um mich bloßzustellen und wohl auch aus Rücksicht auf seine zarte Körperlichkeit war blitzschnell unter dem Bett. Seine demütigende Unterlegenheit empörte mich plötzlich gegen Rinaldos Zärtlichkeiten. Er war etwas erstaunt, als ich ihn bald verabschiedete.
17.6. Rinaldo empfindet, daß ich ihm etwas verheimliche. Zerstreut läuft er im Zimmer herum und sieht mich manchmal mit großen Augen an, als wolle er eine Frage stellen.
20.6. Er weiß die ganze Wahrheit. Heute sah er ins Zimmer hinein. Tancredi saß, wie gewohnt, auf dem Tisch. Plötzlich sah ich, wie er zusammenzuckte, seinen Blick zwischen mir und dem Fenster pendeln ließ. Da erblickte ich Rinaldo, seine Miene war undurchdringlich,
21.6. Rinaldo besuchte mich, als sei nichts geschehen. Seine Gleichgültigkeit war verletzend. Als ich ihn, der alten Gewohnheit nachgebend, umarmte, ließ ein triumphierender Schimmer in seinen Augen mich plötzlich meiner Unwürdigkeit bewußt werden. Ich stieß ihn zurück und lief in die Küche. Tancredi lag dort, auf den Fußboden hingestreckt, in einer Blutlache. Noch jetzt weiß ich nicht, was ich tat. Alles schwankte um mich her. Rinaldo trat ein, ich warf mich gegen ihn, schlug ihn mit Fäusten...
Die Nacht fällt nieder. Der Kellner dreht die Lampen auf den Tischen an. Ich fürchte mich nach Hause zu gehen, vor der Nacht, vor Rinaldo...
Armida, murmelte Dupont. Er warf sich über den Tisch und sein ganzer Körper zog sich vor Schmerz zusammen, eine ungeheure Dunkelheit umfing ihn und zog ihn hinab, immer tiefer, ins Grundlose. Und zwischen seinen Fingern quollen die Tränen unaufhaltsam, warm, bitter und salzig. Um sein Herz war ein Loch, ein Nichts, ihm war, als leere er sich aus, bis zum letzten Tropfen, in ihm war Nacht, ewige, entsetzliche Nacht.
Nachher wußte er nicht, wieviel Zeit vergangen war. Plötzlich richtete er sich auf, eine Mumie, eine Larve, er war tot. Nur in seinem Kopf entzündete sich ein Licht, glimmend erst, dann heller, bis es grell leuchtete.
Langsam ging er durchs Zimmer in den Flur, zog sich das Jackett an, betrat das Bad, kühlte sein Gesicht mit Wasser, fuhr mit der Bürste durchs Haar und verließ die Wohnung. Sein Weg führte zum Boulevard Montparnasse. Er wollte nicht anrufen, am Telefon würde man ihm nicht zuhören. Er betrat das Kommissariat und verlangte, Inspektor Renard zu sprechen.
"Worum handelt es sich?" fragte der diensthabende Beamte.
"Es geht um den Mord in der Rue Béranger," murmelte er.
"Ich habe nicht verstanden, sprechen Sie doch lauter."
"Die tote Frau in der Rue Béranger," flüsterte er, fast schluchzend.
"Kommen Sie!" der Uniformierte ging ernst vor Dupont her und klopfte an einer Glastür, hinter der man einen älteren, grauhaarigen Mann am Schreibtisch in Akten vertieft sitzen sah.
"Der Fall Rue Béranger," kündigte der Beamte den Besucher an und ließ ihn ins Büro eintreten.
"Nehmen Sie doch Platz!" Der Kommissar stand auf, drückte ihm die Hand und schob ihm einen Stuhl zu.
Renard, ein angenehmer provenzalischer Typ in den Fünfzigern mit Lachfältchen um die Augen, sah ihn ermutigend an. Er hatte den Gram in Duponts Gesicht erkannt und ließ es geruhsam angehen. Man soll Aussagewillige nicht verstören, das war die erste Regel, die er auch seinen Mitarbeitern mitgab. Es klopfte an der Tür, sein Assistent Laffitte schob sich still hinein. Renard nickte ihm schweigend zu, er sollte sich an den Tisch hinter Dupont setzen und das Gespräch mitschreiben.
"Zunächst einmal, wer sind Sie?" wandte er sich an Henri. "Entschuldigung, ich brauche das fürs Protokoll."
Henri gab Name, Adresse und Beruf an, auch seine Arbeitsstelle. Der Knoten in seinem Hals löste sich, er sprach lauter.
"Also wer, glauben Sie, ist die Tote aus der Rue Béranger?" fragte der Inspektor, die Hände auf dem Tisch vor sich faltend.
"Ich bin sicher, daß es sich um meine Kollegin Fräulein Armida Cecchini handelt, sie wohnt, wohnte, wollte ich sagen, in der Rue Bernard 11 in einer Mansardenwohnung."
"Pardon," räusperte sich Laffitte, "wie schreibt sich das? Cecchini."
Dupont buchstabierte.
"Wie kommen Sie darauf?"
Dupont wußte, daß es jetzt schwierig wurde. Er schickte daher etwas voran: "Ich weiß, daß Sie das, was ich anzuführen habe, für überspannnt oder weithergeholt halten werden, aber ich bin kein Phantast. Ich bin Versicherungsangestellter und kann von mir sagen, daß ich gesunden Menschenverstand besitze."
Der Kommissar sah ihn mit einem skeptisch heiteren Blick an: "Nur zu, wir sind ganz Ohr."
Dupont zog die Morgenzeitung aus seiner Jackentasche : "Ich denke, Sie haben das Tagebuch gleichfalls vor sich," sagte er.
"Klar," antwortete Renard, zeigte auf ein rotes Büchlein auf dem Schreibtisch und hielt ihm die Übersetzung vor die Augen.
"Sie werden erstaunt sein. Wahrscheinlich machen Sie sich Ihre Vorstellungen von diesem Rinaldo: einer dieser übereleganten, breitschultrigen Herren, mit einem Schuß korsischen Blutes und archaischen Sitten, die sie von Ihrer Kindheit in der Provinz her bewahrt haben."
"Oh, bitte," der Grauhaarige lächelte liebenswürdig, aber verschlossen, "Sie sind doch nicht hergekommen, um uns Rätsel raten zu lassen."
"Der Mörder Rinaldo ist eine Katze."
"Waaas?"
"Eine Perserkatze! Genauer gesagt, ein prachtvoller silbergrauer Kater."
"Machen Sie Witze?"
"Ich wußte es doch, ich habe Sie vorgewarnt, Sie werden mir nicht glauben. Aber hören Sie zu, lesen Sie mit!"
"Moment, eine silbergraue Perserkatze erschlägt Ihrer Ansicht nach eine Frau von 1, 70 m Größe, schleppt sie zu einer Baugrube und zermantscht ihr Gesicht mit einer Eisenstange?"
"Das habe ich nicht gesagt. Ich weiß nicht, wer Armida Cecchini erschlagen hat und warum. Ich weiß aber, wer die Tote ist, und ich weiß, daß Rinaldo der Mörder von Tancredi ist."
"Und wer ist Tancredi?" Renard lachte verzweifelt, Laffittes Rücken bewegte sich zuckend.
"Tancredi, nehme ich an, ist eine Maus.......war eine Maus. Vielleicht eine weiße Maus, die sind sehr zutraulich. Ich hatte auch eine, als ich klein war..."
"Monsieur, Sie treiben es zu weit."
"Verdammt," stöhnte Henri und preßte die Fäuste an seine Schläfen, "ich hab's doch gewußt, ich hab's gewußt...Sie wollen nichts wissen, was nicht in ihr Schema paßt. Haben Sie jemals Edgar Allan Poe gelesen?"
"Nein," sagte Renard schroff, er wurde nur ungern an seine Bildungslücken erinnert, sein Weg war geradlinig auf seinen praktischen Beruf zugegangen, er las nichts