"Wer sind Sie? Was wollen Sie?" fragte sie indigniert die beiden Männer, die vor ihr standen.
"Polizei," sagte Laffitte, er hielt ihr seinen Ausweis vor die Augen, "Sind Sie Armida Cecchini?"
"Natürlich, das bin ich, was soll die Frage?" Laffitte nickte stumm, er hatte es doch gewußt. Nun stand er da und ihm fiel nicht ein, was er noch tun konnte. Immerhin war da dieser dumpfe Fall zu hören gewesen und die lange Zeit, die bis zum Öffnen der Tür verstrichen war, kam ihm irgendwie verdächtig vor. Laffitte blickte von oben auf die hübsche Frau hinunter, die ihren Morgenrock über der Brust zusammenraffte, dann fiel ihm ein:
"Können Sie mir Ihren Personalausweis zeigen?"
"Einen Augenblick," sagte sie, "ich hole meine Handtasche." Sie glitt zur Schlafzimmertür hinein, dabei sah sie über die Schulter zum Sergeanten hinüber, dessen Jagdinstinkt angesprochen wurde. Da war was nicht koscher, das roch faul.
Fräulein Cecchini schlüpfte wieder durch den Türspalt und zog die Tür hinter sich zu. Sie wühlte in ihrer Handtasche und streckte Laffitte einen Reisepaß entgegen. Der Uniformierte war neugierig hinzugetreten und versuchte, sich auf die Zehenspitzen stellend, über die Schulter des langen Assistenten zu lugen. Laffitte prüfte das Foto genau: ja, das war sie, kein Zweifel, die Frisur war zwar ein wenig anders, aber Frauen änderten nun mal gern öfters ihre Haartracht. Armida Cecchini, geb. 12. 6. 69 in San Remo, Italien. Ledig. Staatsangehörigkeit: französisch. Er hielt ein Blatt gegen das Licht: alles in Ordnung. Die Stempel, die Daten und Unterschriften, alles sah o.k. aus. Er suchte Zeit zu gewinnen.
"Brigadier," sagte er zu dem Polizisten hinter sich, "sehen Sie sich doch auch einmal den Paß an." Der Gendarm blätterte verlegen darin herum, während sich Laffitte in den Flur hinein bewegte. Er wollte näher an das Zimmer herankommen, in das sie sich gepreßt hatte.
"Sagen Sie?" fragte er die Frau, die so nah vor ihm stand, als wollte sie ihm den Weg versperren, "da war vorhin so ein dumpfes Geräusch zu hören, als ob jemand zu Boden gestürzt wäre, ich hörte ein Stöhnen."
"Das war ich, ich bin über die Teppichkante gestolpert."
"Es hörte sich aber nach einem schwereren Körper an, und die Stimme war eher die eines Mannes."
Er trat näher an sie heran, sie wich einen Schritt zurück. Laffittes Blick richtete sich auf den Boden vor ihren Füßen: "Wenn mich nicht alles täuscht, sind das Blutflecken." Er bückte sich und tippte mit dem Finger hinein und zeigte Fräulein Cecchini die rote Fingerkuppe: "Sie müssen sich verletzt haben, Sie ruinieren Ihren schönen Teppich. Sehen Sie, da sind noch mehr." Und er wies hinter sie.
"Lassen Sie mal sehen, wo Sie sich verletzt haben." Er musterte sie: "Da ist nichts." Er machte eine Pause: "Darf ich einen Blick in das Zimmer da hinten werfen?"
"Was fällt Ihnen ein, haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?"
"Die Polizei braucht keinen Durchsuchungsbefehl, wenn Gefahr im Verzug ist," sagte Laffitte.
Die Schlafzimmertür öffnete sich weit, Vlassens erschien völlig angekleidet in der Öffnung und sagte:
"Kommen Sie herein Inspektor, es ist etwas Seltsames passiert."
Er wies auf den neben der Tür liegenden Dupont, dessen Hand noch den Dietrich umklammerte. Laffitte fiel vor Erstaunen das Kinn herunter, er kniete sich neben den Ohnmächtigen, zog sein linkes Augenlid nach oben, sah sich die verdrehte Pupille an, prüfte den schwachgehenden Puls und fragte: "Wie ist das geschehen? Ich kenne den Mann."
"Ich auch," sagte Vlassens, "ich bin sein Vorgesetzter in der Assurance Internationale. Kurz bevor Sie hereinkamen, muß er sich mit dem Nachschlüssel Zugang zur Wohnung verschafft haben. Er trat plötzlich in das Schlafzimmer, in dem wir uns beide aufhielten, sah uns, wollte fliehen, da habe ich ihn aufgehalten."
"Sie haben aber gut zugeschlagen," sagte Laffitte und betrachtete die blutige Wunde am Hinterkopf Duponts, "hoffentlich hat er keinen Schädelbruch. Wo ist das Telefon?"
"Im Wohnzimmer," sagte Vlassens und ging geschäftig voraus. Laffitte wies den Polizisten an, bei Dupont zu bleiben, und folgte Vlassens, der ihm den Hörer in die Hand gab: "Die Nummer des Notdienstes ist 2003."
"Ich weiß," sagte Laffitte. Er bestellte den Unfallwagen und wählte die Nummer des Reviers: "Chef, kommen Sie schnell in die Rue Bernard 11, Mansarde, es ist etwas passiert." Er horchte angestrengt an der Muschel, schaute abwesend ins Gesicht der beiden Mitlauschenden, dann sagte er: "Ich kann jetzt nichts sagen, Sie müssen selbst sehen."
Er ging ins Schlafzimmer zurück, Armida und Vlassens auf den Fersen. Stumm starrten alle vier auf den bleichen Dupont hinunter. Laffitte schüttelte den Kopf: daß diese Bekloppten nun auch noch selbst den Detektiv spielen mußten! Das hatte er nun davon! Er konnte sich denken, was er hier oben gesucht hatte. Aber da war nun mal nichts. Katzen und Mäuse, daß ich nicht lache!
Nach einiger Zeit hörte man durchs offene Fenster den Sirenenton des Krankenwagens. Laffitte beorderte den Polizisten auf den Vorflur, um den Arzt und die Sanitäter zu empfangen, als er auch das Tatütata des Streifenwagens vernahm. Renard kam fast gleichzeitig mit den Männern, die die Trage mit sich führten, auf dem Treppenpodest an. Laffitte zog ihn in eine Ecke, um ihm zuzuraunen, was geschehen war. Der Arzt horchte mit fragendem Gesicht hinüber, bekam aber nur einzelne Wörter mit: "Hab's doch gewußt, Paß, Einbruch, Schlag, bewußtlos...", da öffnete sich die nächste Wohnungstür und ein junger Mann um die dreißig, der eine silbergraue Perserkatze auf dem Arm kraulte, trat auf den Korridor hinaus.
"Was ist denn hier los?" Er gaffte die versammelten Männer an, und die beiden Kriminalisten starrten auf den Kater. Dem Kommissar gelang es als erstem, die Trance zu durchbrechen.
"Sagen Sie," er überging die Frage, "gehört diese Katze Ihnen?"
"Ich denke schon," meinte dieser überrascht, "allerdings kann man das bei Katzen nie so genau wissen."
"Und wie nennen Sie sie?"
"Renaud. Wissen Sie, ich hatte einen Onkel, der hieß so, und diese Katze sieht ziemlich onkelhaft aus." Renard lachte zustimmend, die Miene des dickköpfigen Tiers war die eines mürrischen kleinen Potentaten.
"Sie heißt nicht etwa Rinaldo?" fragte Laffitte sardonisch grinsend.
"Wieso? Ich denke doch, daß wir hier noch immer in Frankreich sind. Hallochen, Fräulein Cecchini! Was geht denn hier über die Bühne?" rief er Armida zu, die gerade verlegen über den Trubel dem Arzt und den Trägern mit der zusammengerollten Trage Platz machte und in den Vorflur trat.
"Da haben Sie es, Chef!" flüsterte Laffitte siegesbewußt und den Faden, den der Katzenmann gesponnen hatte, aufnehmend, in Renards Ohr, "ce qui n'est pas clair n'est pas français. Das ist doch alles klar wie Kloßbrühe."
"Na klar," entgegnete Renard achselzuckend, "aber zuviel Licht kann auch blenden."
Die Sanitäter erschienen mit dem auf die Trage geschnallten Dupont, dem der Arzt einen weißen Turban um den Kopf gewickelt hatte: "Er muß schleunigst ins Krankenhaus," sagte der Notarzt zu dem Kommissar, "Schädeltrauma, immer noch bewußtlos. Vorsicht," rief er den Trägern zu, "nicht anstoßen und schaukeln." Sie verschwanden in der Tiefe.
Gedankenverloren bewegte sich Renard auf die Wohnungstür von Fräulein Cecchini zu und ließ den Nachbarn weiter auf seine Antwort warten. Laffitte folgte ihm und schaute auf den Kopf vor sich hinunter, was ging unter diesem grauen Pelz vor?
"Will einem denn niemand sagen, was hier abgeht?" rief der Katzenmann aufsässig quäkend und kraulte Renaud so stark hinter den Ohren, daß dieser fauchend auf den Boden hopste und hinter der Tür verschwand.
Renard, Laffitte und der Polizist gingen im Gänsemarsch hinter Armida her in das Appartment. Der Nachbar verzog sich in seins, ließ aber die Tür einen Spalt breit offen, um hören zu können, wie es weiterging.
Vlassens, jeder Zoll Citoyen und Gentleman, empfing die Gesellschaft an der Tür zum Wohnzimmer. Er gab Renard die Hand und stellte sich vor: "Ich bin Gustave Vlassens, juristischer