Glücksspiel. Hans W. Schumacher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans W. Schumacher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847655022
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was geschehen war und in die dumpfen Kopfschmerzen mischten sich die Bilder des sonnigen Morgens, der Katze, der düsteren Treppe, des Sonnenstrahls, des Bücherschranks, das Gesicht von Vlassens, Armidas entsetzter Blick. Dann tobte wie ein Katarakt Scham dazwischen, Wut auf Vlassens, Eifersucht, Selbstvorwürfe. Er hatte sich grauenvoll blamiert! Aber plötzlich sah er nur den zarten Busen Armidas vor sich, fort war alles Unzuträgliche um sie, verflogen Trauer, Leid und Neid. Sie lebte, das war doch das Einzige, das zählte. Er hatte einen Narren aus sich gemacht, aber war das wichtig, wenn sie lebte? Er suchte sich wieder zu bewegen und spürte, daß der Riemen, mit dem er auf der Trage festgebunden war, etwas Hartes an seine Brust preßte. Richtig, das war das Buch, das er eingesteckt hatte. Hoffentlich fand man es nicht bei ihm, dann würde er auch noch als Dieb dastehen. Er mußte zusehen, daß er es verstecken konnte, wenn er erst im Krankenhaus war. Er würde es behalten, es war ein Talisman, das einzige, was ihn mit ihr verband.

      Dann merkte er, wie der Wagen anhielt, die Türen geöffnet wurden, frische Luft hereindrang, dann der Krankenhausgeruch: er öffnete die Augen und sah schon deutlichere Umrisse um sich, weißgekleidete Gestalten, die sich um ihn drängten. Man hob ihn auf eine andere Trage und dann rollte er im Geschwindschritt durch endlose Flure, bis er in ein Zimmer kam, wo man ihn entkleidete.

      "Schwester," lallte er, seine Zunge war bleischwer, "das Buch in meiner Jacke, kann ich das Buch haben?"

      "Sie werden doch jetzt nicht lesen wollen. Das lassen Sie man schön bleiben."

      "Aber später."

      "Gut, ich lege es in die Nachttischschublade. Der Stationsarzt kommt gleich und sieht nach Ihnen."

      Beruhigt streckte er seine schmerzenden Glieder im Bett aus. Er betastete seinen Kopf unter dem dicken Verband, und als er an die Wunde kam, die ihm Vlassens, das Aas, geschlagen hatte, durchfuhr ihn ein stechender Schmerz, der nur langsam wieder nachließ. Wenn er doch nur klar denken könnte! Ihm war, als flöge er durch endlose Räume, die angefüllt waren mit übereinandergetürmten Gegenständen, Trödelläden, Möbellager, verstaubte Antiquariate. Bücher regneten herab und schlugen ihm auf den Kopf.

      Er wachte auf, als der Arzt mit behutsamen Fingern den Verband abwickelte.

      "Die Wunde ist ganz schön tief, die werden wir nähen müssen," sagte er, "aber sonst scheint zum Glück nichts passiert zu sein. Sie haben einen harten Schädel. Nachher werden Sie geröntget." Henri mußte sagen, ob er einen oder zwei Finger vor sich sah, als der Arzt den Zeigefinger auf seine Nase zubewegte. Seine Antwort schien den Doktor zu beruhigen.

      "Das haben wir bald," meinte er und machte eine Notiz für die Schwester, die vor der Ankunft des Polizeibeamten das Zimmer verlassen hatte, "ein paar Tage Bettruhe und nicht viel bewegen. Sie haben eine Gehirnerschütterung. Wie ist das denn passiert?"

      Die Frage hatte Henri befürchtet, er stammelte etwas von Leiter, herunterstürzen usw.. Wie blöd, durchfuhr es ihn im gleichen Moment, der Arzt würde die Wahrheit sowieso bald erfahren, dann stand er auch noch als Lügner da. Oh Schmach und Schande, was hatte er sich bloß eingebrockt? Da klopfte es an der Tür und ein Gendarm in schwarzblauer Uniform betrat den Raum:

      "Herr Doktor," sagte er, "ich habe den Befehl, die Kleider dieses Mannes zu durchsuchen und den Tascheninhalt zu beschlagnahmen. Er ist bei einem Einbruch gestellt worden. Dabei hat er einen Schlag auf den Kopf bekommen."

      Der Arzt erhob sich steif vom Bett. Henri sah, wie sich sein Gesicht versteinerte. Die Aversion, die sich in ihm malte, übertrug sich wie Gift auf ihn. Sein Kopf toste plötzlich von rasendem Schmerz, das war der Blutandrang, er fühlte wie sein Gesicht glühte.

      "Es war ganz anders," stammelte er, "ich bin kein Einbrecher. Ich bin Detektiv." Das war wieder eine halbe Lüge, er kam aus dem Netz nicht mehr heraus. "Ich wollte sagen..." murmelte er, er merkte, wie Schwäche seine Zunge lähmte, der Mund fiel ihm zu.

      "Das können Sie dem Kommissar erzählen," sagte der Polizeibeamte nüchtern, "wo sind die Anziehsachen?"

      Der Arzt wies widerwillig auf den Schrank, der Polizist deponierte alles, was er fand, auf dem Tischchen an der Wand und begann eine Aufstellung zu schreiben.

      "Moment," unterbrach er sich plötzlich, "hat er hier vielleicht irgendwo etwas versteckt?" Henri durchfuhr der Schreck wie eine Rakete, und sie explodierte im Kopf. Ein Brechreiz überfiel ihn. Er stöhnte.

      "Unmöglich," sagte der Arzt, der Henri besorgt ansah, "als er eingeliefert wurde, war er noch halb bewußtlos. Er mußte von der Krankenschwester ausgezogen werden."

      "Na gut, hier ist die Quittung," sagte der Polizist und legte sie auf den Nachttisch, "kommen Sie, wenn Sie wiederhergestellt sind, aufs Revier Da können Sie Ihr Eigentum wieder abholen. Auf Wiedersehen." Und er zog ab.

      Die Schwester brachte Henri Tabletten, die er gehorsam schluckte, der Kopfschmerz verebbte, er dämmerte ein. Er sah Ritter auf ein Schloß zusprengen, Rüstungen rasselten, Standarten wehten, aus dem Turmzimmer winkte eine Frauenhand. Weiße Brüste wölbten sich, Armida hob das liebliche Gesicht, um ihn zu küssen, er näherte sich den geöffneten Lippen und fuhr zurück: er sah eine blutige Fleischmasse, in der sich Würmer ringelten. Er stürzte in einen tosenden Abgrund, Felswände sausten vorbei, dann schlossen sich Wellen über ihm. Wohlige Wärme durchzog ihn, er schlief tief und fest.

      Kapitel 5

      In dem kleinen Lokal, in dem Renard und sein Assistent zu essen pflegten, war Hochbetrieb, Stimmengewirr, das leise Klirren von Gläsern und Porzellan waren die Tafelmusik. Laffitte war hungrig wie ein Wolf, er bestellte Cassoulet, Renard Kalbsbraten. Während sie aßen, sagte der Kommissar: "Der Fall war doch nicht so schnell zu erledigen, wie ich hoffte, wäre ja auch zu schön gewesen. Immerhin, wir haben's versucht."

      Er sah von seinem Teller zu seinem Assistenten auf und grinste spitzbübisch: "Also good bye, Dupin-Dupont!"

      Laffitte nickte zufrieden.

      "Fangen wir also wieder von vorne an! Sagen Sie, Inspektor, kommt Ihnen an der Leiche nichts komisch vor?"

      Laffitte sammelte sich, bisher hatte er darüber noch nicht nachgedacht, Renard war ihm im Gefolge des Spürhunds Dupont zu schnell vorgeprescht, aber blitzartig fügten sich in seinem Schädel Gedanken zusammen:

      "Das Ganze steckt voller Ungereimtheiten," begann er langsam, "warum hat der Mörder die Leiche ausgerechnet mitten in Paris abgeladen? Er hätte sie in den Wald von Rambouillet bringen und still und leise vergraben können. Er hatte doch Zeit genug dazu. Erinnern Sie sich, daß der Arzt sagte, die Frau müsse schon seit mindestens zwei, möglicherweise auch vier Tagen tot sein."

      "Das hat mir auch schon zu schaffen gemacht," meinte Renard zwischen zwei Bissen, er goß sich Rotwein nach, "und sonst noch?"

      "Das zerschlagene Gesicht. Wenn ihm daran gelegen war, daß man nicht erkannte, wer die Tote ist, warum hat er ihr nicht darüberhinaus die Hände abgehackt, um zu verhindern, daß man sie anhand der Fingerabdrücke identifiziert? Warum hat er sie nicht im Ofen verbrannt wie Landru seine Angetrauten oder mit Salzsäure in die Kanalisation gespült? "

      "Sehr gut, " sagte Renard wie ein Prüfer beim Examen. "Sie haben aber weiß Gott ziemlich rohe Vorstellungen. Vielleicht verfügte nicht über die entsprechenden Werkzeuge oder Chemikalien."

      "Nehmen wir an, es war ein crime passionel, dann schlägt der Liebhaber der untreuen Frau zwar den Schädel ein, aber er macht nicht Hackfleisch aus ihrem Gesicht."

      "In der Wut ist vieles möglich..."

      "Das Notizbuch. Wenn er die Leiche so lange bei sich herumliegen hatte, müßte er doch darauf gestoßen sein, warum hat er es dringelassen und dazu noch mit den Initialen?"

      "Vielleicht, um uns irrezuführen?"

      "Aber warum damit? Das Geschreibsel ist doch viel zu unklar, als daß, außer Dupont, zugegeben, jemand damit etwas anzufangen wüßte. Und Dupin-Dupont hat sich erledigt."

      "Warten wir noch die Untersuchung des Taschentuchs ab.. Ich glaube zwar, daß es auch nichts