Mordsschock!. Gaby Hoffmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gaby Hoffmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847656647
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Mann parkte sein klappriges Fahrrad neben dem Brunnen. Auf dem Gepäckträger klemmten zusammengerollte Wolldecken und Handtücher, die Lenkstange bewachte ein großer brauner Teddy. Der Mann nahm einen tiefen Schluck aus einer Bierdose und stellte sie dann auf den Brunnenrand. „Weißt du, Bobby“, erklärte er seinem nassen Hund, „irgendwann sind wir reich, dann kaufen wir uns ’ne Villa.“

      Der Hund schüttelte sich wieder.

      Sein Herrchen kickte die leere Bierdose in den Brunnen. „Bobby, pass schön auf das Fahrrad auf! Wenn einer klaut, beiß!“, ermahnte er den Hund und verschwand in den Supermarkt.

      Ich fühlte mich mit dem Gammler verbunden – ich war in dieser bürgerlichen Wohlanständigkeit genauso ein Fremdkörper wie er. Jederzeit könnte ich mein Hab und Gut auf dem Gepäckträger eines Fahrrades verstauen – wenn ich denn eines besitzen würde. Das hatte er mir voraus. Leider gab es noch einen entscheidenden Unterschied zwischen uns: Der Gammler kannte seine Gesetze, wusste, zwischen Träumen und Realität zu unterscheiden. Er war genügsam, ich nicht. Er stand zu seinem Leben, ich lief meinem hinterher.

      Ich hastete durch die Fußgängerzone mit den Geschäften links und rechts, folgte dem Lauf der Biste. Oder war das hier schon die Tale? Ich hatte das mit den Flüssen noch nie verstanden. Hinter der Brücke erblickte ich am Wanderweg ein riesiges kastenförmiges Gebäude: das Finanzamt, dahinter lag die Polizei. Auf der anderen Seite befand sich der alte Friedhof, dessen Gräber neulich von Neonazis mit Hakenkreuzen verschandelt worden waren – ich erinnerte mich an Jelzicks Artikel darüber. Die Tale floss hier als richtig breiter Fluss an mit Bäumen und Büschen bewachsenen Grasflächen entlang. Das war also das Gelände des Gottesangers.

      Im Schilf tummelten sich Blesshühner und Enten. Sie schnatterten, quakten und quietschten so aufgeregt, als sammelten sie sich bereits zu einer Protestdemo gegen die geplante Bebauung ihres Reviers. Die Sonne knallte mit der ganzen Kraft, zu der sie im Frühling fähig ist, auf das braune, unergründliche Wasser. Es roch leicht faulig. Hohe Silberpappeln und Birken, die sonst Schatten spendeten, waren kahl. Efeuranken hielten die Stämme fest im Griff. Nur die gelben Papierkörbe und die Kühe auf den welligen Wiesen am anderen Ufer signalisierten die nahe Zivilisation. Und nun rollten bald die Bagger und walzten das Stückchen Idylle platt! Frau Hanselmanns Bedenken fand ich in diesem Moment plausibel.

      „Ja, jetzt müsste man jung sein!“

      Erschrocken guckte ich hoch.

      Vor mir stand ein alter Mann. Die Einkaufstüten im Arm deuteten darauf hin, dass er mir von der Stadt aus gefolgt war. „Ist das nicht schön? Hier ein Häuschen am Fluss zu haben, ist ein Traum! Die hätten mal zwanzig Jahre früher diese Lumpen vertreiben sollen! Dahinten haben sie gehaust.“ Er zeigte den Weg hinunter, wo ich die Überreste eines verfallenen Gebäudes entdeckte, das Büsche und Efeu bereits überwucherten.

      „Sind die schon länger weg?“

      „Ja, nur das Gelände wollten sie bisher nicht aufgeben. Ein Jammer, jetzt bin ich zu alt, um neu zu bauen.“

      Ich holte meine Kamera heraus und knipste das Areal, auf dem so viele Hoffnungen ruhten, von allen Seiten. Die Entendemo löste sich auf, die Vögel paddelten flussabwärts.

      Hätte ich in diesem Moment gewusst, wie viel Blut wegen dieses Stücks Land vergossen werden würde, wäre ich in die Tale gesprungen und den Enten hinterher geschwommen!

      Während der Redaktionskonferenz wurde mir eine unerwartete Ehre zuteil: Da keiner eine besonders hitverdächtige Geschichte in petto hielt, wurde der Gottesanger Aufmacher.

      Ich glaubte, ein leises Zähneknirschen aus Gundulas Richtung zu hören. Stolz setzte ich mich an meinen ersten Aufmacher. Ich schrieb eine Jubel-Geschichte über die gestrige Sitzung: Alle waren glücklich und zufrieden – die Politiker, weil sie die Sekte vertrieben hatten, und die Bürger, weil sie auf gute Grundstücke hofften. Man durfte mit der Wahrheit nicht allzu pingelig sein, wenn man eine Zeitung im Sinne der Leser konzipierte.

      Wagner kam aus der Mittagspause, warf einen Blick auf den Artikel und war zufrieden. Außerdem schlug es gerade 15 Uhr, die Zeit, wo er sich auf den Heimweg machte und sein Stimmungsthermometer meistens automatisch nach oben kletterte. Er klemmte seinen Jutebeutel unter den Arm, hängte sich das knitterige Leinenjackett über die Schulter und verschwand pfeifend über die knarrenden Holzstiegen zum Ausgang. Nicht ohne dass die dicke Riechling wie stets hinter seinem Rücken den Kopf schüttelte.

      Als er die Eingangstür von der anderen Seite zuschlug, kam Bernd aus der Technik angerannt und rief: „Chef, wir haben Probleme mit der Eins!"

      Mit gerunzelter Stirn brach Wagner seinen Feierabend ab und wanderte in die unteren Räume. Kurze Zeit später verlangte er nach mir.

      Mitleidig guckten mich meine Kollegen an.

      „Wo sind die Fotos vom Gottesanger?", herrschte er mich an.

      „Das weiß ich nicht. Die Abzüge waren vor zwei Stunden schon fertig", antwortete ich ahnungslos.

      Das war meinem Chef egal. Er hörte nicht mehr zu, sondern tobte weiter. Sein hageres Gesicht war vor Anstrengung ganz eingefallen, dünne Adern traten stark hervor.

      „Die Seiten müssen gleich weg. Wir können die Eins nicht ohne Foto erscheinen lassen!"

      Fieberhaft durchsuchte ich alle Ablage-Körbe, Regale und Sonstiges in der Nähe. Vergeblich. Die Fotos blieben verschwunden. Leider schob Barbara nur einen Halbtagsjob, gegen frühen Nachmittag hatte sie meistens alle Abzüge fertig und ging nach Hause. Sie konnte mir also nicht helfen. Dabei war ich mir sicher, meine Bilder als Kopien und fertig zum Aufkleben auf die Seiten in der Technik gesehen zu haben.

      Das interessierte meinen aufgebrachten Chef herzlich wenig. „Verflixte Schlamperei! So was können wir uns nicht leisten. Um alles muss man sich selbst kümmern, sonst klappt nichts“, jammerte und schimpfte er gleichzeitig. Seine Figur umgab er dabei mit einem Märtyrerschein, sodass ihn jeder Außenstehende stark bedauert hätte: ein Chef, der zwangsweise alles alleine regelte, weil er von einem Haufen Idioten umgeben war!

      Gundula ließ sich diese Szenen natürlich nicht entgehen. Beschwichtigend strich sie dem entnervten Wagner über den haarigen Arm und murmelte halblaut: „Wir dürfen sie eben nicht überfordern. Es war doch ihr erster Aufmacher."

      Aber der Chef ließ sich nicht beruhigen, schließlich mussten die Seiten ja in die Druckerei, seine schöne Eins war bisher eine reine Bleiwüste.

      Zufällig fiel mein Blick auf die hinter dem Chef lauernde Gundula, die entgegen der angespannten Situation seltsam zufrieden wirkte. Hatte die was mit dem Verschwinden meiner Bilder zu tun?

      Als Retter in der Not tauchte Herbie auf. Das Theater hier unten war mittlerweile in die Redaktionsräume hochgedrungen. „Wir können meine Bilder von der Tierschau nehmen. Barbara hatte sie schon für morgen fertig gemacht. Mit einem Bild reißen wir den morgigen Artikel einfach auf der Eins an“, schlug er vor.

      Wagner japste erleichtert und keuchte: „Los schnell, so machen wir es!“ Langsam wich die Röte aus seinem Gesicht, die Adern schwollen ab. Wahrscheinlich sank auch sein Blutdruck wieder.

      Ich empfand in diesem Moment warme Gefühle für Herbie, der die Treppen raufraste, um die neue Bildunterschrift in den Computer zu hacken. Hacken war übrigens das richtige Wort für Herbies Art und Weise, die Tastatur zu malträtieren. Ich hatte nie jemanden gesehen, der so schnell schrieb und dabei gleichzeitig so einen tönenden Anschlag erzeugte.

      Geknickt packte ich meine Sachen zusammen. Das falsche Gepfeife von Gundula, die zu einer Pressekonferenz abzog, erinnerte mich wieder an meinen Verdacht.

      Wagner kam nach oben und zitierte mich prompt in sein Büro, um mir eine gepfefferte Standpauke zu halten. Jeder müsste sich darum kümmern, dass die Fotos vollständig zu den Texten vorhanden wären, schließlich seien wir kein Kindergarten und und ... Seine Rede entwickelte die Dimension einer Abmahnung.

      Mir wurde ganz heiß, während ich gleichzeitig bis in die Zehenspitzen fror. Plötzlich flutschten mir Worte raus, die ich besser für