Mordsschock!. Gaby Hoffmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gaby Hoffmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847656647
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öfter aufzuräumen, sonst würde ich eines Tages auch als solch alte Schlampe enden.

      Die Schneiderin wandte mir ihren Kopf mit dem grauen Filzgestrüpp, das sich im gewaschenen Zustand als Haar entpuppen würde, zu. Auf ihrem von Runzeln zerfurchten Gesicht, in dem erstaunlicherweise anstelle einer Hakennase eine Durchschnittsnase saß, lag ein lauernder Ausdruck, als wüsste sie nicht genau, was sie von mir erwarten könnte. Sie nestelte an ihrem Umhang, der ihre gebeugte, unförmige Figur wohl kaschieren sollte. Dabei öffnete er sich, und eine mehrfach gestopfte Bluse blitzte durch. Entweder war die Frau direkt dem Märchenbuch entstiegen oder hinter der Tür war die versteckte Kamera postiert. Als mich kein Fernsehmoderator aus dieser Umgebung erlöste, konzentrierte ich mich auf die Tiraden, die die Alte ausstieß.

      Ihr Vermieter schikaniere sie nach allen Regeln der Kunst, um sie loszuwerden. Nächtliche Anrufe und Drohbriefe. „Er wollte sogar einen meiner Hunde vergiften!“ Ihre trüben Augen füllten sich mit Tränen.

      Ich riskierte einen Seitenblick auf die beiden braunen Köter, die hechelnd vor ihren Füßen lagen. Bisher hatte ich versucht, mich durch möglichst unauffälliges Verhalten ihrer Aufmerksamkeit zu entziehen. Besonders vertrauenerweckend fand ich sie nicht.

      Die Alte streichelte ihren Lieblingen die glatten Köpfe, schnippte einen unsichtbaren Floh aus dem Fell und jammerte weiter über ihren unmenschlichen Vermieter. Als letzte Schandtat hatte der Unhold Stacheldrahtrollen rings um ihre Terrasse aufgetürmt.

      Okay, das gab ein gutes Fotomotiv! Die arme Alte, die anklagend auf den Stacheldraht deutete – so was rührte die Leser. Mit diesen Gedanken an eine herzergreifende Story stolperte ich hinter ihr her durch unzählige Rumpelkammern, in denen ich mehr als eine Rattenzucht vermutete. Ich stieg über leere Konservendosen, räumte Pappkartons zur Seite und kämpfte mit Kleidungsstücken, die plötzlich an den unmöglichsten Stellen von der Decke schlackerten.

      Erleichtert atmete ich auf, als wir endlich draußen auf den grauen Waschbetonplatten standen, die die Alte hochtrabend als ‚Terrasse‘ titulierte. Dahinter erstreckte sich ein weitläufiger Garten mit einem Holzhäuschen.

      „Da wohnt er.“ Sie zeigte auf ein weißes Haus hinter der Gartenlaube.

      Ich begriff, dass ‚er‘ ihr Vermieter war.

      Die Stacheldrahtrollen hatte bereits jemand weggeräumt. Sie lagen aufgeschichtet neben dem Holzhaus auf der Seite, die zum Garten des Vermieters gehörte. Wenn ich von einer Idee besessen bin, kann mich nichts groß aufhalten. Kurz entschlossen begann ich, die Stacheldrahtrollen, so gut es ging, wieder vor die Terrasse zu zerren. Gar nicht so einfach! Ich schützte meine Hände mit den überall herumliegenden Lappen und Tüten, ritzte mir aber trotzdem die Finger ein. Keuchend registrierte ich, dass mein Deo versagte. Blut und Schweiß.

      In diesem Moment bogen zwei Männer um die Hausecke. „He, was machen Sie da?“

      Als ich die Uniform des einen sah, schwante mir nichts Gutes.

      Der andere Typ zeterte gleich los: „Aha, so läuft das also! Um mir was anzuhängen, hat sie sich jetzt Helfer besorgt!“ Unzweifelhaft handelte es sich um den boshaften Hauseigentümer. Wut verzerrte sein birnenförmiges Gesicht mit den kleinen Schweinsäugelein und der Knollennase. Er war so Mitte fünfzig. Blass, hager und hoch aufgeschossen funkelte er mich an und zwirbelte an seinem rötlichen Vollbart, den erste graue Fäden durchzogen.

      Der rundliche Dorfpolizist zückte diensteifrig sein Notizbuch, um meine Personalien aufzunehmen.

      Diese Aktivitäten besänftigten den missgünstigen Vermieter. Er ließ seinen Bart in Ruhe. Sein rechter Arm klappte nach unten. Selbstvergessen fasste er sich an den Schritt. Ein hämisches Grinsen umspielte seine dünnen Lippen und gab ihm etwas Schmieriges.

      Na, fein, da war ich ja gleich in das erste Fettnäpfchen getappt!

      „Die Volkshochschulen haben ihre neuen Jahresprogramme herausgebracht. Das müssen wir als Aufmacher nehmen“, schlug Gundula vor und betrachtete zufrieden ihre kirschrot lackierten Krallen. Zur Bekräftigung schickte sie Edfried Wagner, der die Themen der morgigen Ausgabe notierte, ein langes Zwinkern. Ihre quäkende Stimme erinnerte an eine Stockente, die glaubte, lauter Küken um sich herum zu haben, die sie bevormunden musste. Das Schweigen ihrer Kollegen wertete Gundula als Zustimmung. „Ich habe eben immer eine Idee.“ Sie gackerte wieder. Dabei zeigte sie ihre großen weißen Zähne, die von Lippenstiftspuren geziert wurden. Beim Lachen wackelte sie mit dem Kopf, sodass die goldene Brille auf und ab wippte. Meinte die Frau das ernst oder spielte sie die Komikerin vom Dienst?

      In diesem Moment buchte Gundula mich sicherlich auf die Liste ihrer vermeintlichen Bewunderer, dumm und dreist, wie sie war. Ich hielt mich bescheiden im Hintergrund, getreu der Weisheit: ‚Neue Kollegen sieht man lieber, als dass man sie hört!‘ Später machte ich öfters Bekanntschaft mit Gundulas scharfer Zunge. Um ihre eigene Unfähigkeit zu überspielen, hatte sie sich so eine Art Mutter Theresa-Image zugelegt und meinte, an jeder menschlichen Figur ihr Helfersyndrom ausprobieren zu müssen – ob derjenige nun wollte oder nicht. Tief besorgt, verzog sie dann immer ihre Augen hinter den Brillengläsern zu Schlitzen und äußerte mitfühlend: „Das konntest du ja noch nicht wissen!“ Es klang, als erläuterte sie einem Fünfjährigen Fortpflanzungspraktiken.

      Die erste Kostprobe lieferte Gundula in der gleichen Stunde. Auf Herbies Apparat rief der Stacheldrahtvermieter an, von dem sich die schlampige Schneiderin schikaniert fühlte. Natürlich, um sich über mich zu beschweren und mit seinem Anwalt zu drohen.

      Gundula witterte ihre Chance. Sie gab Herbie einen Wink. „Lass nur, ich kümmere mich schon darum! Gleich ist Deadline, dein Artikel ist ja noch nicht fertig!“ Im Nu hatte sie Herbie den Hörer aus der Hand gerissen, um glucksend schleimig mit dem Anrufer zu parlieren. „Nein, selbstverständlich schreiben wir nichts.“

      Pause.

      „Es tut mir leid, wenn Sie Unannehmlichkeiten gehabt haben! Meine junge Kollegin weiß noch nicht Bescheid.“

      Kichern.

      Und so weiter und so fort. Offensichtlich kannte sie ihn. Sie redete ihn jetzt mit ‚Herr Prange‘ an.

      Unruhig saß ich da, streckte ab und an die Hand zum Hörer hin. „Ich kann selbst mit ihm sprechen“, drängte ich im Flüsterton.

      Aber Gundula stellte auf Durchzug und ließ mich nicht. „Ach, der!“, meinte sie abfällig, nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte.

      Ich dachte, damit sei die Sache erst mal gegessen. Nicht so Gundula, die die Gunst der Stunde augenscheinlich genutzt hatte, um mich beim Chef zu verpetzen.

      Er rief mich in sein Büro. „Frau Zöllner sagte, es habe sich jemand über unsere Zeitung beschwert, weil Sie unbefugt gehandelt hätten. Wir sind als loyal und korrekt angesehen und können uns solche Vorkommnisse nicht leisten! Frau Zöllner meinte, Sie hätten es nicht absichtlich getan, sondern würden sich mit Berichterstattung in dieser Form nicht auskennen. Das hat sie sicherlich nett gemeint, nur uns nützt das nichts! Ich habe Sie nicht als Praktikantin, sondern als Redakteurin eingestellt. Und solche Artikel gehören zu unserem täglichen Brot. Mit Gespür und Feinsinn müssen wir die Themen angehen. Wenn Sie das nicht können, habe ich leider keine Verwendung für Sie“, drohte er mit streng gekrauster Stirn, auf der sämtliche Adern kurz vor dem Platzen waren.

      Einen Moment lang gaben meine Beine nach. Puddingknie. Nicht schon wieder!, schoss es mir durch den Kopf. Aber eine echte Kämpfernatur lässt sich nicht so leicht einschüchtern. Retten, was zu retten ist!, lautete jetzt die Parole. Ich riss mich zusammen und erklärte mit zittriger Stimme, dass es mir nur um ein gutes Fotomotiv gegangen sei, um die Geschichte anschaulich zu illustrieren.

      Edfried Wagner ließ daraufhin einen kleinen Vortrag über political correctness und Ähnliches ab, das nicht zum Thema passte. Er holte eine Banane aus seinem Jutebeutel und fuchtelte damit umher, um die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen.

      Währenddessen sammelte ich wieder Mut. „Ich werde dann nur ein Porträtfoto von der Schneiderin nehmen.“

      Diese Ignoranz verschlug