Mordsschock!. Gaby Hoffmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gaby Hoffmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847656647
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ich unbewusst im Gespräch Blickkontakt suchte, senkte er rasch die Augenlider oder fixierte schräg an mir vorbei einen unsichtbaren Punkt an der Wand. Schüchternheit fand ich niedlich. Männliche Verlegenheit erhöht die eigene weibliche Attraktivität! Sie stachelt meine Fantasie an – welche Frau träumt nicht von einem Verehrer, der ihr Gedichte schreibt, weil er zu schüchtern ist, seine Gefühle in Worte zu fassen?

      Ehrhardts Verbeugung zum Abschied fiel tiefer aus als die vorangegangenen. „Ich hoffe, Sie demnächst einmal zum Essen einladen zu dürfen. Vielleicht interessiert Sie das ein oder andere Thema für einen Artikel.“

      Das klang vielversprechend. Gute Geschichten brauchte ich!

      Als ich auf dem Parkplatz in Gedanken bereits bei meinem Text über den Gottesanger weilte, holte mich Ken Winter ein und drückte mir seine Visitenkarte in die Hand. „Wir geben am Wochenende eine kleine interfraktionelle Party bei mir zu Hause. Es wäre nett, wenn Sie auch kämen." Er strahlte. Das runde Grübchen bohrte sich in sein Kinn.

      Seine grünen Augen funkelten. Er fixierte mich, stellte die schwarzen Nackenhaare auf, machte einen Buckel und fauchte, weil ich ihn mit einem Besenstiel von der schwarzen Ledercouch verjagte. In der Mitte prangte ein kreisrundes Loch, aus dem die Füllung quoll. Oscars Tageswerk, während ich bei der Arbeit gewesen war. Die Kratzspuren an der Wand und die Blumenerde auf dem hellen Teppich nicht mitgerechnet! Ich fluchte. Die Möbel gehörten mir nicht. Ich hatte die kleine Einzimmerwohnung mit Kochnische, kombiniertem Wohn- und Schlafbereich sowie einem winzigen Badezimmer möbliert gemietet. Den Schaden würde ich ersetzen müssen. Verdammter Kater!

      Miauend schlich er zum Kühlschrank und kratzte dort. Bevor er mehr anrichtete, öffnete ich eine Dose Katzenfutter und stellte sie vor ihn hin.

      Ich pfefferte meine Stiefel unter den gläsernen Couchtisch, zog den kurzen Rock aus und ließ ihn auf dem Teppich liegen. Dann fischte ich ein Paar dicke Socken neben dem Telefon weg und suchte meine Jogginghose. Sie hing verkehrt herum in einem Buchregal der kackbraunen Schrankwand – echtes Gelsenkirchener Barock. Ächzend warf ich mich auf das Sofa, wo ich auf der Stelle am Leder festklebte. Jetzt ein schönes Wannenbad, das wär‘s – aber leider gab es nur eine winzige Dusche im Bad.

      Ein schrilles Klingeln schreckte mich hoch. Das Telefon. Schlagartig vergaß ich Oscars Taten. Es war Vic, meine geliebte kleine Schwester.

      „He, Kleine, wie geht’s?“

      „Nina, kann ich zu dir kommen?“

      „Am Wochenende oder in den Ferien ...“

      „Ich will weg!“ Ihre Stimme klang energisch. Ich stellte mir vor, wie sie zur Bekräftigung aufstampfte oder trotzig ihre Baseballkappe auf den Boden feuerte.

      „Aber du hast es so gut bei Sophie und Thilo.“

      „Thilo ist nie da, und Sophie will mich loswerden.“ Es schmatzte in der Leitung – Vics unvermeidlicher Kaugummi.

      „Aber Vic, das stimmt nicht.“ Ganz sicher war ich mir nicht, denn Sophie kam mit Vics wildem Temperament und ihrer Eigenschaft, ständig etwas anzustellen, nicht zurecht. Und mein gutmütiger Schwager Thilo befand sich tatsächlich dauernd auf Geschäftsreisen. Währenddessen flogen dann zwischen meinen beiden Schwestern die Fetzen. „Habt ihr euch wieder gestritten?“

      „Ich nicht, nur Sophie.“ Typische Logik von Vic. „Sie hat gesagt, ich würde sie in die Klapsmühle bringen. Von uns beiden sei hier eine zu viel. Habe schon gecheckt, wie sie das meint. Nur, weil ich nicht alt genug bin, um Thilo zu heiraten, bin ich es, die gehen soll.“

      Ich unterdrückte einen heimlichen Lacher. Vic hatte in ihrer altklugen Art manchmal einen komischen Hang zur Dramatik. „Was war denn los?“

      „Ach, nichts Besonderes. Sie ist ausgerastet, weil ich den Küchenboden nicht gefeudelt habe.“ Zu Sophies Erziehungsmethoden gehörte es, Vic regelmäßig Arbeiten im Haushalt zu übertragen. Sie meinte damit, das Temperament unserer kleinen Schwester zu zügeln.

      „Und?“

      „Dann ist sie ausgerastet, weil ich den Boden gefeudelt habe.“

      „Wie bitte?“

      „Jaaa.“ Vic klang genervt. „Ich habe keine Lappen genommen.“

      „Sondern?“

      „Überm Küchenstuhl hing so’n Teil. Das war schön breit, weich und lang auch. Damit konnte man gut den Boden wischen. Der glänzte hinterher echt toll. Aber diese blöde Kuh hat ihn überhaupt nicht angesehen, die hatte nur ihren komischen Schal im Kopf. Hat rumgebrüllt, ich hätte ihren teuren Paaschiena – oder wie das Ding heißt – versaut.“

      Ich biss mir auf die Zähne, um ernst zu bleiben. Ich stellte mir vor, wie Vic mit Sophies kostbarem Pashminaschal den Fußboden feudelte.

      Es gelang mir schließlich, meine aufgebrachte kleine Schwester zu besänftigen. Wenn Vic sich ungerecht behandelt fühlte, war das nicht einfach. Zumal ich mir nichts mehr wünschte, als sie tatsächlich zu mir holen zu können. Ich beschloss, ein Sparbuch für sie anzulegen – war selbst gerührt von dem Gedanken.

      „Tschüss Kleine, schlaf gut! Du kommst mich bald besuchen.“ Dann fiel mir etwas ein. „Frage Sophie, ob sie einen Teil meiner Erbschaft haben will! Er hat vier Beine und faucht!“

      Kapitel 5

      Ich lief über den kopfsteingepflasterten Marktplatz zur Fußgängerzone. Wenn man ein Herz für so was hatte, wirkten die alten Häuser und das Rathaus drum herum idyllisch. Eng schmiegten sie sich aneinander. Manche sahen ein wenig schief aus, als würden sie jeden Moment absacken. Aber so hielten sie dem Lauf der Geschichte seit vielen Jahrzehnten stand und überlebten zig menschliche Generationen.

      Die eingravierte Jahreszahl 1891 über einer Haustür stach mir ins Auge. Die meisten Gebäude der Stadt stammten aus dieser Zeit. In den letzten Jahren waren offensichtlich viele der roten Backsteinfassaden erneuert worden. Man hatte sich mit Accessoires wie weißen Stuckornamenten und Sprossenfenstern Mühe gegeben, die ursprünglichen Gesichter der Häuser zu erhalten. Dazwischen wurden sie gestützt von neueren Gebäuden aus der Nachkriegszeit, die durch ihre Kastenformen neben den schlanken alten Häusern plump und derb wirkten. Sie beherbergten rund um den Marktplatz einen Blumenladen, einen Bäcker, eine Boutique, einen Bastelladen und ein Schuhgeschäft. An der Ecke zur Fußgängerzone lag ein weißes Café mit geschwungenen hohen Bogenfenstern in leuchtendem Türkis und mit einer gläsernen Fassade. Marktcafé leuchteten die Neonbuchstaben über dem Eingang. Ein bisschen Stilbruch – genau wie der Supermarkt gegenüber und die weißen Drahtbänke unter den Platanen.

      Am Brunnen trafen sich Hausfrauen und Rentner zum Klönen. Aus gusseisernen Fischköpfen plätscherte das Wasser in das gemauerte achteckige Rondell. In der Mitte des Beckens stand eine Säule, auf der ein schmiedeeisernes Mädchen mit Zöpfen thronte. Im Arm trug sie eine Ente. Es sah so aus, als bewache sie das dahinterstehende weiße Rathaus.

      Die weißen Säulen am Portal unter dem goldfarbenen Wort ‚Rathaus‘ erinnerten an eine Südstaatenvilla. Auch der zierliche, von Säulen eingerahmte Balkon und die Stuckformen der Jahrhundertwende versetzten mich in Erwartung, gleich Scarlett O’Hara heraustreten zu sehen. Nur die kleine Rathausuhr und das schwarze Dach passten nicht recht dazu.

      Plötzlich wurde die Idylle gestört. Kreischend wichen die Passanten, die eben ein gemütliches Schwätzchen neben dem Brunnen hielten, zurück. Ein struppiger, schwarzer Mischlingshund war in das Wasser gesprungen, sodass es nach allen Seiten spritzte. Genießerisch ließ er sich nun mit hechelnder Zunge von den gusseisernen Fischköpfen besprengen. Nach dem Bad schüttelte er sein nasses Fell ausgiebig. Im hohen Bogen flogen die Tropfen dabei nach links und rechts.

      Sein Herrchen nahm ihm diese Rücksichtslosigkeit nicht übel. „Bobby, du Drecksack!“, sagte er und tätschelte ihn zärtlich. Er trug einen schwarzen Schlapphut, von dem eine lange grüne Perlenkette herunterbaumelte. Er verdeckte das Gesicht des Mannes beinahe, nur der gezwirbelte