Mordsschock!. Gaby Hoffmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gaby Hoffmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847656647
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ein!“

      „Die Frau wird wirklich von ihrem Vermieter schikaniert. Sie sagt, er habe sogar versucht, einen ihrer Hunde zu vergiften.“

      „Können Sie das beweisen? Ich will keinen Disput mit Anwälten. Das wird teuer und schadet unserem Ansehen!“ Er klaubte die Reste seiner matschigen Banane auf. „Haben Sie das endlich kapiert?“

      Ich hatte und schlich mit hängenden Schultern an meinen Arbeitsplatz zurück.

      Gundula schenkte mir ein barmherziges Schwesternlächeln. „Der Alte spinnt manchmal. Den muss man nicht so ernst nehmen!“

      Am Abend zeigte mir Herbie die Technik im Keller, wo unsere Texte und Fotos von einem Metteur nach den Umbruchvorlagen auf die Seiten montiert wurden. So was hatte ich noch nie gesehen. Willkommen in den Fünfzigerjahren! Ein richtiges Zeitungsmuseum!

      Metteur Willy im blaugestreiften T-Shirt hantierte wie ein Chirurg mit dem Messer in unseren Textausdrucken herum, um sie anschließend Absatz für Absatz sauber auf die Seiten zu kleben. Dazwischen platzierte er Fotos. Fasziniert betrachtete ich Willys Bierwampe, die sich der Tischschräge perfekt angepasst hatte. Vier andere Kollegen waren damit beschäftigt, Anzeigen zusammenzubasteln.

      Barbara, die Laborantin, wirbelte hier wie eine Unterirdische umher. Von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, war sie an ihrem dunklen Arbeitsplatz gut getarnt. Für ihre Zukunft sah ich tatsächlich schwarz. In meinem früheren Verlag existierten weder Fotolaboranten noch Techniker. Alles lief auf digitalem Weg direkt ins Druckzentrum.

      „Mensch, Herbie, jetzt is‘ es soweit: Bald sitzt der alte Willy auf seinem eigenen Bootssteg und angelt.“ Willy haute Herbie kräftig auf die Schulter, aber der ging nicht in die Knie. Anscheinend war er robuster, als er aussah.

      „Willy träumt von einem Grundstück auf dem Gottesanger. Er will dort mit seiner ganzen Familie bauen“, erklärte Herbie mir, als wir wieder nach oben gingen.

      „Was ist der Gottesanger?“

      „Ein riesiges Gelände hinter dem alten Friedhof, zentral gelegen und gleichzeitig im Grünen. Die Tale fließt unmittelbar vorbei. Bis vor Kurzem gehörte es einer Sekte. Jahrelang hat der Stadtrat versucht, die Glaubensgemeinschaft zu vertreiben und zum Verkauf zu zwingen. Das Grundstück ist nun städtisches Eigentum, wird in mehrere Parzellen unterteilt und als Bauland an die Rosenhagener Bürger verkauft. Jeder Interessent soll die Chance bekommen, ein Gebot für sein gewünschtes Stück Land abzugeben. Das ist momentan unser Topthema, sozusagen der Dreh- und Angelpunkt des öffentlichen Interesses.“

      „Wollen da viele Leute bauen?“

      „Natürlich, gutes Bauland ist rar. Außerdem ist die Lage optimal. Nur fünf Minuten zur Fußgängerzone mit sämtlichen Geschäften entfernt und trotzdem mitten in der Natur am Ufer der Tale gelegen. Das sind Sahnegrundstücke, nach denen sich viele die Finger lecken. Kein Wunder, dass unsere Abgeordneten jahrelang gegen die Sekte prozessiert haben, um das Land in den Besitz der Stadt zu bringen.“

      „Wie haben sie die Sekte weggekriegt?“

      Herbie lachte. „Gar nicht! Die Sekte ist auseinandergebrochen, weil der Guru nach Neuseeland auswanderte. Man sagt, er hätte irgendwelchen Dreck am Stecken, weswegen er Rosenhagen überstürzt den Rücken kehrte. Also haben er und seine Anhänger der Stadt das Land zu einem Spottpreis hinterlassen. Und nun können die Quadratmeterpreise in die Höhe getrieben und die leeren Stadtkassen aufgefüllt werden.“ Herbie verzog sein gutmütiges Gesicht wieder zu einem Schmunzeln. „Die offizielle Version lautet anders. Da mimen unsere Politiker die Helden, die die Ungeheuer vertrieben haben. Das wirst du heute Abend live erleben.“ Mein Kollege spielte auf die Stadtratssitzung an, die ich gleich besuchen sollte. Edfried Wagner hatte gemeint, so könne ich mich am schnellsten mit den wichtigen Themen und Leuten der Stadt vertraut machen.

      Kapitel 4

      Ich ging mit einem Sack voller Ermahnungen und Ratschlägen von Gundula im Gepäck. Einen wichtigen Tipp hatte sie mir verschwiegen: Nämlich eine lange Unterhose und einen dicken Wollpulli anzuziehen! Die Sitzung wurde in der Aula des hiesigen Gymnasiums abgehalten. Große Bäume und Büsche vor den Fenstern sorgten dafür, dass es hier das ganze Jahr über schattig blieb. Außerdem zog es aus undichten Ritzen wie an der Nordsee. Fröstelnd kauerte ich mich auf dem viel zu kleinen Holzstühlchen zusammen. So mancher Pennäler hatte sich verewigt. ‚Guschi ist ein Arsch, weil er ...‘, stand da zum Beispiel. Ich versuchte, während einer Rede des Bürgerworthalters, der so was wie der Boss der Stadtverordneten war, zu entziffern, warum Guschi ein Arsch war. Es gelang mir nicht.

      Ich merkte schnell, dass die heutige Sitzung vor allem dazu diente, die Stadtabgeordneten zu feiern. Gemeinsam durch alle Fraktionen hindurch huldigte und lobte man sich, den Gottesanger aus den Klauen der Sekte befreit und nun der Vaterstadt mit ihren braven Bürgern zur Verfügung gestellt zu haben. Das Publikum, das aus jenen braven Bürgern bestand, jubelte seinen gewählten Vertretern zu. Klar, viele hofften auf ein schönes Grundstück!

      Der Bürgermeister Horst Huber rollte wie eine Billardkugel, die von einem unsichtbaren Stoß getrieben wurde, zielsicher zum Rednerpult. Ein dunkler Anzug schmiegte sich als Wurstpelle um seine gedrungenen Figur. Wie eine Wassermelone thronte sein runder Kopf auf dem kurzen Hals. Das Vollponytoupet und der Schnauzbart ließen nur die kleinen braunen Augen frei, um die sich leichte Fältchen ringelten. Ich schätzte Huber auf fünfzig. Offensichtlich ein Mann, der gutes Essen liebte. Seine Bassstimme tönte vollmundig durch die Aula: „Der Bürgermeister selbst war hoch erfreut, als er die freudige Botschaft über das freudige Ereignis zugetragen bekam ...“ Er sprach tatsächlich von sich in der dritten Person! „Schlussendlich siegt immer das Gute – so ist es auch in diesem Fall! Ein jahrelanger Kampf, in dem wir Sozialdemokraten stets im Sinne von Aufrichtigkeit und Tugend gehandelt haben, ist beendet. Sie sehen hier die Sieger zum Wohle unserer Stadt ...“ In diesem Stil palaverte er geschlagene zwanzig Minuten weiter.

      Hubers Gegner von der Opposition, Ludwig von Stetten, dürfte innerlich kochen. Er ließ sich nichts anmerken und beschrieb blumig die große gemeinsame Idee aller Fraktionen. Von Herbie wusste ich, dass dieser Ludwig von Stetten seit Jahren vergeblich versuchte, Bürgermeister zu werden. Er scheiterte jedes Mal an den Mehrheitsverhältnissen, die in Rosenhagen stets zuungunsten der Konservativen ausfielen. Repräsentativer wäre von Stetten: schlank, 1,80 Meter groß, blonde Locken, braun gebrannt, dunkelblauer, perfekt sitzender Anzug und mindestens zehn Jahre jünger als Huber. Ein frisches, sympathisches Gesicht mit humorvollen Augen, das die Wähler reihenweise in seinen Bann ziehen müsste.

      Jetzt stand wieder einer von Hubers Partei auf, um in den allgemeinen Salmon einzustimmen. Die hagere Gestalt mit dem rötlichen Vollbart hatte ich schon einmal gesehen ... Während er redete, wanderte seine Hand Richtung Hosenschlitz, als überprüfe er, ob sein Stall ordnungsgemäß verschlossen war. Erschrocken stoppte er auf halber Höhe ab, weil ihm offensichtlich eben einfiel, dass er sich nicht vor den Augen des Publikums an den Schritt fassen durfte.

      Meine Güte! Ein heftiger Schreck fuhr mir durch die Glieder. Der Stacheldrahtvermieter! Hatte Gundula nicht ständig „Herr Prange“ am Telefon gesäuselt? Daher kannte sie ihn also! Das Glück war mal wieder voll auf meiner Seite!

      In der Pause wurde mir ungeahnte Aufmerksamkeit zuteil. Charmant begrüßte mich Ludwig von Stetten. Er machte einen angenehmen Eindruck, wirkte unkompliziert. Anscheinend war es für die hiesigen Politiker wichtig, jeden Journalisten persönlich zu kennen. Nachdem von Stetten auf elegante Weise – „Ich sehe da gerade Herrn Sowieso ...“ – unseren Smalltalk beendet hatte, stand der Nächste aus seinem Gefolge vor meinem Tisch.

      „Ken Winter, ich bin der stellvertretende Fraktionsvorsitzende.“ Wieder so ein sonnenbankgebräunter Charming-Boy im konservativem Einheitsanzug, Anfang vierzig, jungenhafter Typ, braune Haare. Wenn er lächelte, bildete sich ein entzückendes Grübchen im Kinn. Er wirkte ein bisschen wie der Barbiepuppen-Mann – seinen für hiesige Verhältnisse extravaganten Vornamen trug er zu Recht! Ich sah lebhafte schwarze Punkte in seinen blauen Augen funkeln, weil sie sich mit meinen genau in einer Höhe befanden. Winter