Mordsschock!. Gaby Hoffmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gaby Hoffmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847656647
Скачать книгу
kennen. „Das ist ja für die Rosenhagener Presse eine attraktive Bereicherung. Ich freue mich.“ Worüber er sich freute, blieb offen, aber seine Gestik signalisierte großes Interesse. Nachdem bisher bei mir wenig glatt gelaufen war, schmeichelte es mir. Während der belanglosen Redeschwälle, die seine Kollegen auf dem Podium abfeuerten, lächelte er später ständig in meine Richtung und zwinkerte mir unauffällig zu. Ein Flirt mit einem konservativen Politiker in einer zugigen Schulaula war allerdings das Letzte, das ich erwartet hatte!

      Einer von den Grünen schlurfte auf Holzlatschen zum Rednerpult. Als wandelnde Schlaftablette und in ein ausgeleiertes Sweatshirt in verwaschenen Regenbogenfarben sowie eine schlabberige lila Stoffhose gehüllt, faselte er langatmig in breiter Aussprache davon, dass man nun im Allgemeininteresse handle, wenn die Grundstücke ausgeschrieben würden. Endlich hätten auch Randgruppen und sozial Benachteiligte faire Chancen. Wieso, leuchtete mir zwar nicht ein, denn Geld musste ja bezahlt werden, aber Huber gab dem Öko nach einer Weile einen Wink, jetzt endlich das Maul zu halten. Die Grünen hatten wohl nicht viel zu melden. Wenn sie weiter mit Huber regieren wollten, mussten sie sich seinen Genossen unterordnen. Müde sank der Öko wieder auf seinen Stuhl, wo er verstohlen ein herzhaftes Gähnen unterdrückte.

      In der abschließenden Einwohnerfragestunde erkundigten sich aufgeregte Bürger nach dem Bewerbungsprozedere. „Gleiche Chancen für alle Rosenhagener“, versicherte ihnen Huber ständig und erntete jedes Mal viel Applaus.

      Als er sich zum fünften Mal gnädig lächelnd verbeugte, sprang eine Frau mit kurzen roten Haaren, Anorak und Jeans auf. „Warum müssen wir alles zubetonieren?“, kreischte sie schrill.

      Huber und die anderen schauten sie verdutzt an. Mit Kritik hatten sie nicht gerechnet.

      „Am Ufer der Tale sind Brut- und Nistplätze des Flussregenpfeifers und der Wasseramsel. Hier gibt es viele Kleinbiotope für Amphibien und Insekten. Wollen Sie diesen Lebewesen ihren letzten Lebensraum wegnehmen?“

      „Wir möchten selbstverständlich die Natur erhalten. Es wird eine Zone am Uferrand der Tale ausgewiesen, die nicht bebaut werden darf. Sie können also ganz beruhigt sein, dass die Tiere nicht vertrieben werden.“ Huber sprach sanft, als könne er auf diese Weise die lästige Bürgerin zum Schweigen bringen.

      „Ha!“, schrie die Frau. „Haben Sie das gehört? Das können Sie niemandem weismachen. Die Grundstücke werden bis zum Fluss runtergehen, dann machen die Besitzer dort, was sie wollen.“

      War Huber ärgerlich, so hatte er sich so gut in der Gewalt, dass man es ihm nicht ansah. „Jeder erhält die Auflage, bis unten heran weder zu bauen noch etwas zu verändern, was der Natur schaden könnte.“

      „Sobald da unten erst mal die vielen Leute herumtrampeln, gibt’s für die Tiere keine ruhige Minute mehr. Ich verlange die Ausweisung des Gottesangers zum Naturschutzgebiet! Mein Name ist Hanselmann. Sie werden von mir hören!“ Die militante Frau ließ sich nicht beschwichtigen.

      Huber bekam Hilfe von anderer Seite. Mit lauten Buhrufen und Grummeln kommentierten die Bürger Frau Hanselmanns Forderung. „In der Kieskuhle ist genügend Platz für die Vögel!“, rief einer.

      „Genau! Und wo bleiben wir Menschen?“, krakeelte ein anderer.

      „Eben! Die Großstädter haben unsere Dörfer ringsum zugebaut. Jetzt sind wir Rosenhagener mal am Zug!“, ereiferte sich wieder einer.

      Eine Glocke bimmelte, um die erregten Gemüter zu beruhigen. „Ruhe bitte!“, mahnte der Sitzungsvorsitzende.

      Frau Hanselmann schlug eine Welle der Feindseligkeit entgegen. Sie stand auf verlorenem Posten. Offensichtlich waren die anderen Einwohner zu heiß auf die begehrten Grundstücke, um sich Gedanken über Naturschutz zu machen. Mit geballter Faust in Richtung Huber und Restpolitiker verließ sie wütend die Aula.

      Ich beschloss, ihren kurzen Auftritt in meinem Artikel zu ignorieren, da es sich um eine einzelne Meinung handelte. Der Tenor einer Zeitung sollte die Stimme der Mehrheit sein, so viel war mir klar.

      Ken Winter betrat das Podium. Forsch marschierte er zum Rednerpult. Minutenlang sagte er gar nichts, sondern starrte auf das aufgeregt murmelnde Publikum herab. Aber es reichte, dass er einfach nur dastand. Der Tumult, den Frau Hanselmann hinterlassen hatte, flaute ab. Die Leute verstummten. Gespannt schauten sie nach vorne, als erwarteten sie von Ken Winter neue Informationen. Die lieferte er nicht, er wiederholte die positiven Aspekte der Grundstücksbebauung seiner Vorredner. Trotzdem war es etwas anderes! Er stach alle mühelos aus. Endlich verstand ich die Bedeutung des Begriffs ‚Charisma‘. Es war die Art, wie er den Kopf hielt. So hoch, so stolz, als wollte er sagen: Was kostet die Welt? Ich kaufe sie! Oh, leichte Fältchen um Mund und Augen erzählten davon, dass sein Weg nicht immer einfach gewesen war, aber sie verliehen seinem Gesicht genau die richtige Prise von Seriosität. Lachfältchen, weil er versuchte, auch die leichten Seiten des Lebens mitzunehmen? Egal, so wie er den Rücken durchdrückte und dabei jeden Muskel seines Körpers anspannte, glaubte man ihm, über genügend Selbstdisziplin zu verfügen, um jegliche Probleme zu meistern. Und was für eine Stimme! Tiefe, Energie, Weichheit und Erotik klangen in jedem seiner Worte mit. Sie verselbstständigten sich zu Emotionen. Es prickelte. Seine Stimme füllte den Raum, schubste – ohne dass es sich rücksichtslos anfühlte – alle anderen menschlichen Laute weg. Niemand stellte eine Frage oder wagte gar einen Zwischenruf. Auf dem Inhalt lag kein Gewicht.

      Ken Winter strahlte diese heitere Gelassenheit aus, die sich die meisten Menschen wünschen. Ob sie angeboren war oder ob er hart dafür trainiert hatte? Seine Augen funkelten, signalisierten Wachheit, was die anderen Politiker abgestumpft erscheinen ließ. Die Hände setzte er beim Reden sparsam ein, nur um ein Anliegen zu nuancieren. Als bildliche Pointe des Gesagten. Ganz anders Huber, der die ganze Zeit wie wild mit den Händen fuchtelte, bis gar nichts mehr wichtig wirkte – er wedelte seine Worte selbst weg. Oder der Grüne, dessen Arme schlaff wie ein welkes Bund Suppenkraut an den Seiten herunterhingen.

      In regelmäßigen Abständen huschte ein verschmitzter, lausbübischer Ausdruck über Ken Winters Gesicht, dann lockerte er seine Rede mit einer Anekdote auf. Das Publikum lachte, wenn er es wünschte. Krauste er ernst die Stirn und sprach mahnend, blickten sie ihn betroffen an. Er spielte mit ihren Gefühlen wie ein Zauberer. Ohne dass auf dem Podium Kaninchen aus dem Hut hüpften oder weiße Elefanten durch brennende Reifen sprangen, hingen alle in der Aula an seinen Lippen. Mit Siegerlächeln verließ Ken Winter das Podium. Jeder, der irgendwelche Zweifel an der Bebauung des Gottesangers gehegt hatte oder die Kritik der Hanselmann teilte, war bekehrt!

      Nach der Sitzung suchte ein dritter Mann meine Bekanntschaft. Er gehörte ebenfalls zu den Konservativen, war aber jünger als von Stetten und Winter. Eher in meinem Alter. Er verneigte sich leicht. „Meine Verehrung. Wie angenehm, Sie kennenzulernen! Ich heiße Matthias Ehrhardt und freue mich auf eine prospektive Zusammenarbeit.“ Was um Himmels willen meinte er damit? Er sprach langsam, betonte jede Silbe, wählte seine Worte sorgfältig aus – wenn mir der Sinn auch manchmal schleierhaft blieb. Seine Stimme besaß einen angenehmen melodischen Klang – sicher verfügte er über Musikalität. Zuvorkommend holte er mir einen Kaffee, den eine der weiblichen Abgeordneten aus Thermoskannen ausschenkte.

      Ehrhardt ging ein wenig vornübergebeugt, als blase ihm eine unsichtbare Windböe hinten ins Genick und er wolle ihr rasch entfliehen. Mit dem Plastikbecher in der Hand verbeugte er sich wieder so höflich vor mir, dass ich mir einbildete, wir befänden uns auf einem adeligen Landsitz und er würde mir eine Tasse Mokka aus Hutschenreuther-Porzellan kredenzen. Vorsichtig blinzelte ich in die Runde, um zu erkunden, ob ich mich in der zugigen Aula aufhielt oder mittlerweile in der Kulisse eines Kitschfilmes aus dem vorigen Jahrhundert. Nur der Handkuss fehlte. Zwar gewöhnungsbedürftig, aber mir gefiel diese Kavaliers- und Gentlemantour auch im 21. Jahrhundert.

      Ehrhardt, einen Kopf größer als ich und etwas pummelig, drehte öfter den Kopf in Richtung rechte Schulter. Er besaß offensichtlich nicht wie seine Parteikollegen ein Dauerabo fürs Sonnenstudio. Seine Haut schimmerte normal mitteleuropäisch blass für diese Jahreszeit. Die dunkelblonden Haare trug er zu einem exakten Seitenscheitel aus dem Gesicht gekämmt. Augen, Nase und Mund saßen in perfektem Abstand und Größe zueinander, als hätte Ehrhardt sie extra