Neoland. H.W. Jenssen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: H.W. Jenssen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847668138
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Rauchsäulen, die von unzähligen Lagerfeuern und Brandrodungen aufstiegen, vernebelten den Morgenhimmel. Am Heliport wurde Olsen von einem Beamten mit katzenhaften Bewegungen in einem schlichten grauen Anzug und dem Parteiabzeichen am Revers empfangen. Er führte Cato in einen großen dämmrigen Raum, in dem ein Aquarium Catos Aufmerksamkeit beanspruchte, da es die gesamte Rückwand einnahm. Olsen war allein und ließ sich in einen der drei dunkelbraunen altmodischen Ledersessel sinken. Er wartete. Träge döste ein kolossaler Wels auf dem schottrigem Grund des Aquariums und ein Krebs klappte mit seinen Scheren. Ein Katzenhai schubberte sein lippenloses Maul an einem Goldbarren, der aus einer Art Schatztruhe am Grunde des Aquariums hervorlugte.

      'Kitschig', dachte Olsen, dem der Tand, mit dem seine Landsleute sich ständig ausstaffierten, auf die Nerven ging. Wozu brauchte man steinerne Putten im Garten, marmorne Sarkophage als Blumenschüssel oder Statuetten der Götter als Garderobenhalter?

      „Salve Cato!“ begrüßte ihn eine wohlbekannte warme einnehmende Stimme, der, so hatte Cato schon beim ersten Zusammentreffen dank seiner medizinischen Ausbildung und Erfahrung sofort erkannt, etwas Psychopathisches anhaftete.

      „Professor, schön Dich zu sehen“ wandte Olsen sich seinerseits an den Gastgeber, der unmerklich wie ein Gespenst durch eine schwere mit rotem Leder bespannte Tür hereingekommen war.

      „Ich bin gespannt, was Du für mich hast, junger Freund.“ fragte Globzon in flüssigem Latein. Statt einer Antwort schaute Olsen den Professor vielsagend an. Dann drehte er den metallenen Aktenkoffer auf seinen Knien mit der Öffnung zu Globzon und ließ die Schlösser aufschnappen. Er klappte den Deckel hoch. Globzon blickte verzückt.

      „Darf ich?“ Er langte in den Koffer.

      „Allerfeinste Terrafranca-Technik, Professor, diese Wärmebildkameras kommen direkt aus unserem modernsten Werk.“

      Globzon strich anerkennend mit der Hand über das schwarze Kameragehäuse nahm die Kamera heraus und betrachtete sie eingehend. Cato beobachtete ihn. Globzon war ein typischer Vertreter der herrschenden Klasse von Neoland. Er war in seinen Fünfzigern.

      Vor mehreren Jahren war er vom 'Gütigen' zum Erzieher und Vormund Belials eingesetzt worden und war nun 'Erster Sekretär der Partei und des Landes'.

      Globzons dürre große Gestalt steckte in einer grauen Ausgehuniform mit rundem heruntergeklapptem Kragen und vier aufgesetzten gefältelten Taschen, die mit spargelförmigen Knöpfen verschlossen waren. Auf der linken Brusttasche in Höhe des Herzens trug er wie alle Parteimitglieder und Soldaten das Doppelporträt des verblichenen Vorsitzenden und seines Sprosses, die beide auf unheimliche Weise zugleich väterlich und durchdringend dreinblickten.

      Um die Hüfte gürtete Globzon ein ledernes Koppel mit dem eingestanzten Staatswappen, der aufgehenden Sonne über zwei gekreuzten Spargeln.

      Die Partei benutzte weder Orden noch Schulterstücke, um ein hohes Mitglied der Partei als solches auszuweisen, kultivierte in Wahrheit allerdings dutzende Unterscheidungsmerkmale für die Trachten der Partei und des Militärs, die die Rangunterschiede auf subtile Weise unterstrichen.

      Globzons Parteiuniform war in Schnitt und Farbe mit der eines einfachen Rekruten identisch, jedoch im Gegensatz zu den Kunstfaseruniformen der Soldaten, die spätestens nach einer halben Stunde Marschieren übel nach Schweiß rochen, von erlesenster Qualität. Diese wurde aber erst aus der Nähe betrachtet sichtbar, und wenn man den feinen Stoff mit den Händen prüfte, auch fühlbar.

      Auch das Koppelschloss der Parteimitglieder war nicht etwa wie bei den einfachen Parteimitgliedern aus billigem Aluminiumguss, sondern aus vernickeltem Edelstahl gefertigt. Statt grober Stiefel oder Fußlappen trugen die höheren Parteileute elegante halbhohe spitzzulaufende Stiefelletten aus grauem Straußenleder.

      Globzons eulenhafter Blick hinter einem randlosen Kneifer hatte etwas Irritierendes. Während sein linkes Auge hellblau strahlte, schimmerte sein rechtes Auge smaragdgrün. Eine Laune der Natur und nicht etwa ein durch eine Operation herbeigeführter Effekt, wie er gelegentlich in Terrafranca gewünscht und durch sogenannte Körpermodulation erzielt wurde, registrierte Olsen fachmännisch.

      Globzon legte die Kamera zurück, klappte den Deckel zufrieden zu und nahm den Koffer an sich.

      „Cato, wir haben auch etwas für Euch“ sagte er und überreichte ihm eine rote schweinslederne Mappe.

      „Darf ich?“ fragte Cato. Globzon nickte ihm aufmunternd zu. Olsen nahm die Mappe und blätterte konzentriert darin, während der Professor ihn aufmerksam betrachtete. Olsen entfaltete etwas umständlich einen Plan, den er der Ledermappe entnommen hatte. Ungläubig fuhr er mit dem Finger über den Plan und blickt den Professor an.

      „Olsen“, sagte dieser, schau nicht so entgeistert. Ihr werdet an der Küste alles vorfinden, was Ihr braucht. Wir liefern subito!“

      „Ach, noch etwas Professor, was heißt eigentlich 'DB' auf diesem großen Gebäude mitten in der Stadt?“

      „Ich werde mich erkundigen, antwortete Globzon.“

      Wochenschau

      Die Kinos von Neoland – 'Lichtburgen' genannt – bildeten eine der seltenen Zerstreuungen, bei denen die Neoländer im Schutze der Dunkelheit ein Gefühl von Freiheit genossen. Die meisten Lichtburgen waren in entweihten Kirchen eingerichtet worden, deren Fenster man mit Brettern zugenagelt hatte, damit auch am Tage Vorführungen stattfinden konnten. Aus Propagandafilmen erfuhren die Menschen, dass in den Kirchen das Volk früher massenhaft verdummt worden sei. Die schlimmsten Demagogen 'der Popen' seien die 'Katholen' gewesen, die außer dem Verblöden des Volkes, dem Missbrauchen von Kindern und dem Zusammenraffen von Schätzen in ihren Kirchen für viele weitere Übel des alten Systems verantwortlich gewesen sein sollten.

      Den Menschen, die gekommen waren, um sich abzulenken, war es gleich. Sie gaben weder etwas auf die Religion, von der sie nicht wussten, ob sie gut oder schlecht sein sollte, noch auf die Sprüche der Partei. Alles, was sie wussten, war, dass im Winter ein mächtiger Kanonenofen einheizte, während im Sommer die Kirchengemäuer für angenehme Kühle sorgten. Es war recht gemütlich dort. Niemand ging allerdings davon aus, dass die Partei nicht auch hier herumschnüffeln wollte.

      Landesweit lief in allen Kinos die 'Nationale Wochenschau'. Eine vielköpfige Menge hatte es sich im Saal des Gaus 'Schwarzried', so gut es ging, gemütlich gemacht. Es roch nach alten Kleidern, Schnaps - dem billigen 'Neoländer', einem Fusel, der in der Kehle so brannte, dass es einem die Tränen in die Augen trieb - und nach menschlichen Ausdünstungen. Dafür war es warm, und man kam hierher, weil man in der sicheren Dunkelheit flüstern und die Blicke unbeobachtet schweifen lassen wollte.

      Die Vorstellung begann. Je nach Jahreszeit präsentierten stramme, ansehnliche junge Frauen in ihren rosafarbenen Jungmaidenblusen Woche für Woche entweder die kolossalen Ernte- oder Produktionsergebnisse, die die Erwartungen einmal mehr um ein Vielfaches übertroffen hatten, oder es wurden die heldenhaften Gefechte zwischen der 'tapferen Neoländer Armee' einerseits und der 'Terrafranca-Weltverschwörung' andererseits gezeigt.

      Archivaufnahmen flackerten über die Leinwand, die Grenztruppen von Neoland in dem zwei Kilometer breiten säuberlich geharkten Sandstreifen mit Sperrgräben, Panzersperren und Wachtürmen zeigten, der die Nordgrenze zu Terrafranca bildete. Große hölzerne mit weißen Totenköpfen bemalte Tafeln kamen ins Bild, die vor dem 'Angriff auf das friedliche Neoland' warnten. Dazu schmetterte ein Kinderchor das 'Lied vom freundlichen Soldaten Peter'.

      Dann wechselte die Musik. Untermalt von dramatischen Celli und der schnarrenden Stimme eines Wochenschausprechers tauchten von links auf der Leinwand feuernde Raketenwerfer, dröhnende Panzer und Infanterie der Terrafranca-Armee auf, die sich durch den Sperrgürtel kämpfte und eine Schneise in die Reihen der Feinde schlug.

      Als Augenblicke später Terrafranca-Soldaten durchs Bild marschierten, die höhnisch lachend Frauen und Kinder mit Bajonetten vor sich her stießen, ging ein empörtes Raunen durch die Reihen der Zuschauer. Man sah, wie ein Trupp Soldaten Dutzende Frauen und Kinder mit roher Gewalt hinter einen hohen Stacheldrahtverhau pferchte. In