Augen wie Gras und Meer. M.T.W. Mayer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: M.T.W. Mayer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738036176
Скачать книгу
einiger Zeit kam eine alte Frau zu ihnen ans Feuer. Ihre Haut war von der Sonne gezeichnet und ihr Haar schlohweiß. Ezra stellte sie als seine Mutter vor, Hanna. Skeptisch betrachtete sie Milia, Aret und Ebo. Nach einiger Zeit näherte sie sich den Sklaven, begutachtete schweigend ihre Wunden und schickte Rebekka mit einer Geste weg. Kurz darauf kam diese mit Verbandsmaterial und Tiegeln mit Salben zurück, die die alte Frau fachkundig auf die Verletzungen der Männer auftrug. Milia beobachtete das Geschehen schüchtern. Sie selbst hatte – vor allem dank der Hilfe von Aret und Ebo – lediglich kleine Abschürfungen davongetragen. Ihre ehemaligen Sklaven hatten alles getan, um sie zu beschützen.

      Sie hatten die Nacht gemeinsam in einer der Kutschen verbracht. Es war wohl eigentlich der Schlafplatz von Ezra und Rebekka, doch die sind ohne Umschweife in eine andere Kutsche umgezogen. Milia hatte zwischen Aret und Ebo gelegen, das erste Mal, dass sie einem fremden Mann nachts so nah gewesen war. Bis vor wenigen Tagen hatte sie gedacht, Charis wäre der erste, mit dem sie – sowohl räumlich als auch ehelich – das Bett teilen würde. Das sie jedoch mit zwei ehemaligen Sklaven auf dem Boden einer Kutsche, unter Fellen und Decken, ihre Ruhe finden würde, hätte sie niemals erwartet.

      Ihr Schlaf war unruhig gewesen, ständig drangen unzusammenhängende Bilder in ihren Kopf ein. Menschen schrien, tosender Lärm, das Gesicht ihrer Schwester Dora. Arets Drohung, sie sofort umzubringen, sollte sie Fluchtversuche wagen oder sich einer anderen Person anvertrauen, sorgten zudem dafür, dass sie früh am nächsten Morgen wie gerädert erwachte. Ebo schlief noch ruhig neben ihr, Arets Schlafplatz hingegen war leer. Vorsichtig versuchte sie, sich aufzusetzen, weckte aber dennoch den dunklen Hünen auf. Ohne Worte stand auch er auf und begleitete Milia nach draußen.

      Das Lagerfeuer brannte, darum saßen neben Aret und der alten Hanna noch weitere Personen, die wohl auch zum Lager gehörten: eine junge Frau, wohl nur einige Jahre älter als Milia sowie drei Männer. Die Unbekannte trug eine ähnlich bunte Tracht wie die anderen Gaukler, die Männer jedoch waren in schlichte helle Hosen und Hemden gekleidet.

      Ebo führte Milia zu Aret, neben den sie sich setzten. Dankend nahmen sie Schüsseln mit etwas Reis und Gemüse an, die ihnen von Hanna gereicht wurden. Die Stimmen von Rebekka und Ezra waren bei den Pferden zu hören, die offensichtlich von ihnen versorgt wurden. Schüchtern betrachtete Milia die ihr unbekannten Personen, die ihr wiederum kaum Beachtung schenkten.

      Die junge Frau hatte pechschwarzes Haar und aus ihrem Benehmen schloss Milia, dass sie ihre Schönheit und ihren Körper einzusetzen wusste. Immer wieder blickte sie herausfordernd zu Aret, der sie jedoch keines Blickes würdigte. Nach kurzer Zeit stand sie auf und ging zu einer der Kutschen, die wohl sie bewohnte. Ihre Hüften schwangen dabei aufreizend bei jedem Schritt.

      Der älteste der drei Männer hatte bereits graues Haar und strahlte Ruhe und Würde aus. Trotz seiner schlichten Kleidung vermutete Milia, dass er eine gute Bildung genossen haben musste. Die beiden anderen waren jünger. Der eine hatte eine olivfarbene Haut und war eher klein und schmächtig, der andere groß, hatte blondes gewelltes Haar und einen Bart, der rötlich schimmerte. Als der Älteste bemerkte, dass Milia sie musterte, stand er auf und ging zu ihnen herüber.

      „Verzeihen sie, wir wurden uns noch nicht vorgestellt.“ In seiner Stimme schwang ein fremder Akzent mit, den Milia nicht einordnen konnte. Er sprach sanft und bedächtig. „Mein Name ist Amin. Mit mir Reisen meine Freunde Eero und Manuél. Wir sind im Auftrag unseres Herrn unterwegs, um die Länder zu kartographieren. Als Schutz vor Wegelagerern und wilden Tieren schlossen wir uns Ezra ben Simon und seinen Leuten an. Und welches Schicksal trieb euch zu den Gauklern?“

      „Wir waren Sklaven. In Atlantis.“ Arets Stimme war eiskalt und sein Blick verriet, dass er keine Gegenfrage wünschte. Amin nickte lächelnd.

      „Es war mir eine Freude, eure Bekanntschaft gemacht zu haben.“ Mit diesen Worten ging er zu seinen Gefährten zurück. Milias Herz hatte ihr bis zum Hals geschlagen und aus Angst, sich durch einen Blick zu verraten und damit Arets Zorn auf sich zu ziehen, hatte sie nur auf ihre Hände geblickt.

      Bald darauf wanderten sie Richtung Westen. Eine der Kutschen war Ebo, Aret und Milia zugeteilt. Die anderen beiden teilten sich Ezra, seine Familie und Zinaida, die aufreizende junge Frau. Die Zelte sowie einige Pferde gehörten zu den Kartographen. Sie ritten zwischen den Kutschen. Die Hunde der Gaukler trotteten zwischen den Rädern der Kutschen und Hufen der Pferde umher.

      Durch Arets abweisendes Verhalten wurden sie nur angesprochen, wenn es unbedingt nötig war. Milia konnte sich nicht erklären, wie er es geschafft hatte, dass auch Ezra sich ihm gegenüber derart gehorsam verhielt. Immerhin benutzten sie seine Kutsche, gezogen von seinen Pferden, trugen die Kleidung seiner Familie und aßen sein Essen. Entweder gehörte er auch zu ihren Entführern und versteckte dies bloß geschickt mit seiner Höflichkeit oder er wurde großzügig bezahlt. Aber wie sollte Aret ihn bezahlen? Auf ihrem Fluchtboot hatte Milia keinerlei Geld oder Wertgegenstände gesehen.

      Immer wenn sie an einer Stadt oder größeren Siedlung vorbeikamen, machten die Gaukler halt und das Lager wurde aufgeschlagen. Rebekka, Ezra und Zinaida gingen dann zum Markt, kauften ein und verdienten Geld mit ihren Kunststücken. Ezra lockte dabei die Menschen an, während Zinaida tanzte oder ihre akrobatischen Fähigkeiten zeigte. Rebekka trat als Wahrsagerin und Seherin auf. Die alte Hanna blieb im Lager, doch die Bevölkerung wusste um ihre Fähigkeiten als Heilerin, weshalb auch sie oft aufgesucht wurde, um gegen einige Münzen den Menschen zu helfen.

      Die drei Kartographen nutzten die Gelegenheit, um ihre Vorräte aufzufüllen, sei es an Lebensmitteln oder Papier, sofern sich ein Händler hierfür fand. Ansonsten saßen sie meist zusammen, Amin bediente dabei fremdartige und komplizierte Geräte, der Mann mit dem roten Bart – Eero – notierte die Beobachtungen und Manuél verrichtete Hilfstätigkeiten. Sie schienen ein gut eingespieltes Team zu sein.

      Aret und Ebo wichen nicht von Milias Seite. Hin und wieder verschwand Aret für einige Zeit. Wohin, wusste niemand. Und niemand fragte ihn danach. Er kümmerte sich nicht darum, ihnen Nahrung oder Kleidung zu kaufen. Milia hätte auch nicht gewusst, von welchem Geld das hätte bezahlt werden können. Alles was sie brauchten, bekamen sie ohne Umschweife von Ezra und seiner Familie.

      Nach etwa einer Woche bei den Gauklern veranstalteten sie ein Fest. Sie lagerten in der Nähe einer größeren Stadt, die Milia nicht kannte. Offensichtlich hatten sie hier Freunde oder Verwandte, denn bei Einbruch der Dunkelheit kamen immer mehr Personen, die von Ezra freudig empfangen wurden. Das Lagerfeuer wurde größer aufgeschichtet und die Frauen hatten den ganzen Tag Essen vorbereitet. Einige der Besucher brachten ihrerseits einen Beitrag zu dem Mahl mit, andere ihre Musikinstrumente.

      Aret schien wenig erfreut über das Zusammenkommen so vieler Menschen. Als sich alle um das Feuer versammelten um zu essen, zu tanzen und zu scherzen, bedeutete Aret Milia und Ebo, sich etwas abseits niederzulassen. Er konnte der Feier nicht fern bleiben, auch wenn er gerne wollte.

      Milia war verängstigt. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Aret wirkte mit jedem Tag unruhiger und nervöser und sie wollte ihn nicht unnötig aufregen. Sie war sich sicher, er könnte und würde sie sofort töten, und dann würde ihre Familie niemals erfahren, was mit ihr geschehen war. Hilflos blickte sie auf ihre Hände, damit keiner der Besucher auf ihre zweifarbigen Augen aufmerksam wurde und damit womöglich ein Unglück heraufbeschwor. Eigenartig, wie schnell aus einem stolz präsentierten Merkmal etwas wurde, dessen Anblick nun gefährlich werden konnte.

      Das Fest war ausgelassen. Essen wurde umhergereicht, das herrlich stark nach Gewürzen schmeckte. Alle Angebote für Wein lehnte Aret jedoch ab, weshalb auch Ebo und Milia nur Wasser oder Milch tranken. Es wurde getanzt und gelacht und Zinaida zeigte voller Stolz ihr Können. Immer wieder blickte sie auffordernd zu Aret, der sie jedoch immer noch nicht beachtete. Nach einiger Zeit tänzelte sie durch die Reihen zu ihm.

      „Komm tanz‘ mit mir, du stummer Krieger.“ Dabei kicherte sie verführerisch und legte einen fast durchsichtigen Schal, der um ihre Hüfte gebunden war, um Arets Hals.

      Milia hielt den Atem an. Sie konnte nicht einschätzen, wie ihr Entführer darauf reagieren würde, traute ihm jedoch alles zu.

      Aret