„Ich habe ein Geschenk für Sie“, flüsterte er ihr mit einem Lächeln zu. Dann hob er seine Hand und reichte Milia damit ein kleines geschnitztes Pferd, das an einer Lederschnur wie an einer Kette befestigt war.
Vorsichtig hob sie das Geschenk an der Schnur zu sich hoch. Obwohl sie sicher war, dass er das Holzpferd innerhalb kürzester Zeit geschnitzt haben musste, wirkte es filigran, kraftvoll und erhaben.
„Danke“, hauchte Milia.
„Pferde haben in dem Land meiner Ahnen einen hohen Wert“, erklärte Eero ruhig. „Und ich glaube mich zu erinnern, dass Poseidon, dessen Tempel mitten in Atlantis stand, Pferde heilig waren. Also hoffe ich, dass Ihnen dieser Anhänger Glück, Zuversicht und Mut bringt für Ihren weiteren Weg im Leben. Behaltet damit die Erinnerungen an Euer Zuhause in Eurem Herzen. Und das Wissen um Menschen, denen Ihr viel bedeutet.“ Nach diesen Worten neigte er seinen Kopf und ging zu seinen Mitreisenden.
Sprachlos betrachtete Milia die Kette, lächelte und hängte sie sich um den Hals. Das kleine Pferd aus Holz hing nun auf Höhe ihres Herzens. Um es vor der Sonne zu schützen, verbarg sie es unter ihrem Hemd. Es fühlte sich angenehm auf ihrer Haut an.
Aret schnalzte mit der Zunge, und die fünf Kamele setzten sich in Bewegung. Er selbst ritt voran, hinter ihm Milia, dann die beiden Lastkamele und zum Schluss Ebo. Ihr Weg führte sie direkt in die Wüste.
Die Hitze war für Milia unerträglich. Eintönig zog die Landschaft an ihr vorbei, die nur aus Gestein, dürren Pflanzen und Hitze bestand. Das Kamel schwankte sanft hin und her, wie ein kleines Boot auf einem See. Hin und wieder kam Aret zu ihr und reichte ihr einen Trinkbeutel mit warmem Wasser. Sie selbst hatte keinen, ihr Entführer beschloss, wann sie trinken durfte und wie viel. Immer wenn sie trank, trank auch Ebo, an dessen eigenen Sattel ein Beutel befestigt war. Aret achtete peinlich genau darauf, dass sie nicht zu viel Wasser verbrauchten.
Mittags rastete die kleine Karawane, meist unter einem knochigen Baum oder an Felsen gelehnt. In dieser Zeit fiel Milia sogar das Atmen schwer. Ihre Mund war trocken, die Sonne brannte erbarmungslos und kein Lufthauch kühlte ihre Glieder. Wenn es Stunden später kaum merklich kühler wurde, reisten sie weiter.
Die Nacht brach sehr schnell über die Wüste herein, doch Aret hatte dann schon immer ein kleines Lager mit Ebo errichtet. Dann saßen sie an einem mickrigen Feuer, Aret teilte etwas Trockenfleisch, Brot und Milch zum Essen aus. Sie sprachen kaum ein Wort, und wenn, dann nur sehr leise. Es schien Milia so, als würde die Wüste keine lauten Geräusche dulden.
So ging es, bis sie nach sechs Tagen eine Oase erreichten.
Sie war unvermittelt hinter einer Düne vor Milias Augen erschienen. Und obwohl sie nur aus einem kleinen See und einigen Bäumen darum bestand, schien es ihr, als hätten sie inmitten der staubigen Wüste ein Paradies gefunden.
Aret stieg elegant von seinem großen Kamel ab und half danach Milia zurück auf den Boden. An das Schwanken des Tieres gewöhnt, fiel es ihr erst einmal schwer, auf festem, unbeweglichem Untergrund gerade zu stehen. Sorgsam führte Aret die Kamele zu dem See, um sie zu tränken. Als er die Wasserbeutel auffüllte, erkannte Milia, dass kaum noch ein Tropfen darin gewesen war. Deswegen hatte Aret peinlich genau darauf geachtet, wie viel sie trank! Das Wasser hatte gerade ausgereicht, um zu dieser Oase zu kommen. Was wäre gewesen, wenn es Verzögerungen gegeben hätte? Wenn Milia oder Ebo mehr getrunken hätten? Oder sie die Oase nicht gefunden hätten in dieser eintönig gleichen Landschaft? Doch Aret hatte auf Milia niemals nervös, unsicher oder orientierungslos gewirkt. Sicher hatte er die kleine Karawane durch die trockene Wüste geführt. Er musste sich bestens auskennen.
Ebo hatte begonnen, das kleine Lager aufzubauen, das eigentlich nur aus einer Feuerstelle und einem Zelt bestand. Milia fühlte sich nutzlos zwischen der Geschäftigkeit der beiden Männer. Unsicher ging sie hin und her, während sie den Holzanhänger von Eero zwischen ihren Fingern drehte. Diese Bewegung hatte sie sich angewöhnt, während sie lange Nächte damit verbrachte, den überwältigenden Sternenhimmel zu betrachten. In der Wüste schien er noch beeindruckender und gewaltiger zu sein als in Atlantis. Aus Angst, sich in ihm und der trostlosen Landschaft um sich herum zu verlieren, griff sie jedes Mal nach dem Pferd als Holz, als wäre es ein Anker.
Nach einiger Zeit nahm Aret sein Kopftuch ab, legte die lange Stoffbahn sorgfältig zusammen und tauchte seine Unterarme in den See. Langsam ließ er das Wasser von seiner Haut tropfen, bis er mit den Händen über sein Gesicht fuhr. Dabei interessierte er sich nicht für die Kamele, die zufrieden neben ihm lagen und immer wieder aus dem gleichen See tranken, mit dessen Wasser er sich wusch. Ebo trat an ihn heran und tat es ihm gleich, wobei Aret ihn anwies, sparsam mit dem kostbaren Gut umzugehen. Schließlich blickte er fordernd zu Milia und bedeutete ihr, zu ihnen zu kommen.
Zögerlich näherte sie sich ihren Entführern und nahm dabei ihren Turban ab. Es war befreiend, den leichten Wind auf dem gesamten Kopf zu spüren, auch wenn die Sonne nun direkt auf ihre Haut brannte. Als sie sich neben Aret setzte, schützte sie der Schatten eines trockenen Baumes. Obwohl sie sich davor graute, sich mit dem Wasser zu waschen, von dem die Kamele getrunken hatten, war sie dankbar für das kühle Gefühl auf ihrem Gesicht. Erst jetzt bemerkte sie, dass sich eine feine Schicht aus Sand auf ihrem ganzen Körper abgelagert hatte.
Aret hatte längst wieder das lange Tuch um seinen Kopf gewickelt und bewegte sich damit beeindruckend selbstverständlich. Er hatte damit begonnen, die verschiedenen Säcke und das Gepäck von den Kamelen zu nehmen und half Ebo nun mit dem Aufbau des Lagers. Milia blickte sich schüchtern um. Keiner schien auf sie zu achten. Als sie die gefüllten Wasserbeutel ganz in ihrer Nähe sah, kam ihr kurzentschlossen ein Gedanke.
Ohne weiter darüber nachzudenken, sprang sie auf, griff nach einem der Beutel und rannte so schnell sie konnte. Das Leder schlug hart gegen ihren Körper und der Sand unter ihren Füßen schien wie Wasser zerfließen zu wollen. Die Sonne brannte wie Feuer auf ihrer Haut, mit jedem Atemzug war Milia, als wären Kohlen in ihrer Lunge, die sie von innen verbrennen wollten.
Plötzlich wurde sie am Arm gepackt und fiel zu Boden. Der Sand war hart und der Sturz drückte alle Luft aus ihren Lungen.
Aret stand wie ein gewaltiger Schatten über ihr, die Sonne im Rücken. Unsanft zog er sie auf die Beine und zerrte sie weiter weg vom Lager auf einen kleinen Felsen. Milia hatte Todesangst. Würde er sie nun ermorden? In der Wüste würde sie niemand finden, keiner würde ihr zur Hilfe kommen.
„Sieh dich um!“ Die Worte waren äußerst langsam, aber mit Nachdruck von Aret ausgesprochen wurden. Ängstlich blickte Milia auf die trostlose Umgebung: überall nur Sand, Gestein und endlose Trockenheit.
„Hast du wirklich geglaubt, du könntest hier fliehen“, fragte Aret sie. Seine Stimme war hinter den Stoffbahnen seines Turbans, der auch sein Gesicht bis auf die Augen verdeckte, gedämpft und leise. „Du würdest keine Oase finden, kein Wasser, keine Rettung. Innerhalb eines Tages und einer Nacht wärst du tot.“
Beim Anblick der unendlich scheinenden Wüste wurde Milia der Wahnsinn ihres unbedachten Fluchtversuches klar. Sie sah nicht einmal ihr Lager, obwohl es nur wenige Meter hinter einer Düne oder einem Felsen verborgen sein musste. Sie hätte niemals die geringste Chance gehabt, lebend durch die Ödnis zu wandern und Hilfe zu finden.
„Auch wenn du es nicht glaubst, aber ich bin deine einzige Rettung in der Wüste.“ Mit diesen Worten drehte Aret sich um und ging zurück zum Lager.
Mutlos folgte Milia ihm.
Kapitel 7
Die Tage schienen nicht vergehen zu wollen. Milias ganzer Körper schmerzte von der ungewohnten