Augen wie Gras und Meer. M.T.W. Mayer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: M.T.W. Mayer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738036176
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werden: an jeder freien Stelle standen auffallen hübsche und junge Sklaven, in so wenig durchsichtigen Stoff wie nur möglich gehüllt, in den Händen Weinamphoren oder kleine Köstlichkeiten haltend, um sowohl das Auge als auch den Gaumen zu entzücken. Musik kam aus dem Garten, überall waren Kerzen und Lampen verteilt, die die Räume wie Traumlandschaften erscheinen ließen und die Malereien an den Wänden lebendig machten. Die Sagen, verewigt auf dem Stein, begannen ihre Geschichten zu erzählen, Helden kämpften tapfer, Seeungeheuer verlangten nach ihrer Beute oder Götter spielten ihre Spiele mit den Sterblichen.

      Plötzlich stand Charis in seiner ganzen Pracht vor ihnen. Man sah ihm seine griechischen Vorfahren deutlich an mit seinem markanten Kinn, der stolzen Nase und den dunklen Locken, die sich elegant um sein Gesicht rankten. Seine Gestalt hielt alles, was sich die Dichter von einem wahren und edlen Griechen versprachen. „Oh geliebte Freunde – ach nein! – vielmehr geliebte Familie! Was sind schon zwei Wochen gegen die Ewigkeit, die ich mit euch an meiner Seite verbringen darf!“ Er begrüßte Peris und Akis überschwänglich, bevor er sich Dora und letztendlich seiner Verlobten zuwandte. „Mir scheint, du wirst mit jedem Tag schöner und liebreizender, geliebte Milia.“

      Kurz drückte er ihre Hand, bevor sie durch sein Haus geführt wurden. Milia fühlte, wie ihre Brust vor Stolz anschwoll, dass diese Pracht bald ihr Heim sein würde und Charis an ihrer Seite.

      Er führte sie in sein großzügiges Triclinium und platzierte sie auf Ehrenplätzen. Sogar Dora durfte, obwohl sie eigentlich zu jung war, auf einer Liege Platz nehmen. Die Speisen und Getränke waren vorzüglich. Peris, Akis und Charis unterhielten sich viel über geschäftliche Angelegenheiten, während Milia entspannt mit den anwesenden Damen plauderte. Dora hörte aufmerksam zu und versuchte, in dieser für sie ungewohnten Körperhaltung so elegant wie möglich zu essen. Regelmäßig wurden Trinksprüche gegeben, meist auf Charis‘ Wohl und sein Glück, mit Milia verlobt zu sein. Je mehr Wein jedoch floss, desto öfter wurden auch anzüglichere Witze gemacht, die Dora die Schamesröte ins Gesicht trieben, worüber sich wiederum die Sprecher köstlich amüsierten.

      Zwischen all dem Gelächter, Essen und Gesprächen wandte sich ein guter Freund von Charis an Milia. „Wie ihr hörte, schöne Aimilia, seid Ihr nicht nur begabt im Umgang mit der Lyra, sondern besitzt dazu noch eine liebreizende Stimme, die Eurer Anmut in nichts nachsteht.“ Dies war der Anfang vieler Schmeicheleien und Bitten der Anwesenden, Milia möge doch ihre Lyra holen und für die Gäste und zu Ehren ihres Verlobten etwas vortragen.

      „Bitte Geliebte, tu es für mich“, hofierte ihr auch Charis. Da Milia nur auf die Aussprache seines Wunsches gewartet hatte, ließ sie von einer Sklavin ihre Lyra aus der Sänfte holen. Im Triclinium wurde es überraschend still als sie ihre Finger über die Saiten gleiten ließ und ein Lied über eine Frau sang, die von ihrer Sehnsucht verzehrt auf ihren Mann wartete, der über die Meere zog, um Schätze zu finden und sie ihr vor die Füße zu legen. Als sie geendet hatte, gab Charis ihr voller Überschwang einen Kuss auf die Wange und prahlte vor seinen jubelnden Gästen damit, die talentierteste Sängerin und Lyraspielerin zu heiraten. Und obwohl Milia scheinbar bescheiden auf die Lobpreisungen reagierte, die noch den ganzen Abend folgen sollten, führte jede weitere Zustimmung dazu, dass sie sich selbst in einem noch glorreicherem Licht sah als sonst.

      Nach vielen vergnüglichen Stunden verabschiedeten sich Milia und Dora. Die jungen Herren wollten sie zwar zum Bleiben bewegen, doch war es nicht angebracht, dass Dora noch länger auf dem Fest blieb. Auch wenn ihre jüngere Schwester heftig protestierte, war sie noch zu jung, um mitzuerleben, wie ausgelassen Wein erwachsene Menschen machte. Obwohl Milia noch hätte bleiben können, bat Peris sie, Dora zu begleiten, damit diese nicht alleine nach Hause müsste. Dabei verwies er auch auf ihre Unschuld und Tugend, die nicht durch das nächtliche Treiben der jungen Herren in Verruf gebracht werden sollte. Lieber verließ sie das Fest, bevor es zu anrüchigen Szenen kam, die sie beschämen mochten.

      So rührend Milia diese Sorgen ihres Vaters auch empfand, so sehr schüttelte sie innerlich den Kopf. Sie war schon oft mit Akis auf Festen gewesen, bei denen sich zu später Stunde die Herren und auch einige Damen entweder mit den jungen Sklaven oder miteinander vergnügten, während der Wein in Strömen floss und die Musiker unanständige Verse zum Besten gaben. Milia selbst hatte selbstverständlich nie aktiv an diesen Ausschweifungen teilgenommen, doch das Gelächter und die Geräusche aus den dunklen Räumen waren eindeutig genug gewesen.

      Doch um ihren Vater zu beruhigen, lächelte sie nur und stieg mit Dora in die Sänfte. Sobald sie verheiratet war, würde niemand mehr von ihr verlangen können, ein Fest vorzeitig zu verlassen.

      Kapitel 2

      Den nächsten Tag begingen die Männer des Hauses etwas später als sonst. Milia hatte nicht gehört, wann sie vom Charis‘ Feier zurückgekommen waren. So kam es, dass sie ihren Vater erst am Nachmittag sah, als sie von der Therme zurückkehrte. Akis war wohl geschäftlich in Atlantis unterwegs, während Peris in Gedanken versunken in seinem Schlafzimmer saß.

      „Vater?“ Milia näherte sich vorsichtig, um ihn nicht zu erschrecken. Er wirkte auf einmal so alt und gebrechlich, obwohl er kaum über vierzig Jahre alt war. „Ist alles in Ordnung?“

      „Oh ja … ja natürlich.“ Er rang sich ein Lächeln ab. Erst jetzt sah Milia, dass er einen filigran verzierten Goldreif in der Hand hielt. Sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Als Peris bemerkte, worauf der Blick seiner Tochter gefallen war, deutete er ihr, sich neben ihn auf das Bett zu setzen.

      Sie schwiegen einem Moment. „Sag mir Milia, weißt du, wem dieser Armreif gehörte?“ Mit diesen Worten reichte Peris seiner Tochter das Schmuckstück. Dem Gewicht nach musste er aus reinem Gold bestehen.

      Langsam schüttelte sie den Kopf. „Nein Vater. Ich sehe ihn zum ersten Mal.“ Obwohl die Verzierungen äußerst fein waren, erkannte Milia eine Braut, die für ihre Hochzeit geschmückt wurde. Sie begann zu ahnen, wessen Schmuck sie in ihren Händen hielt.

      „Er gehörte deiner Mutter“, bestätigte Peris sanft. „Ich schenkte ihn ihr am Abend vor unserer Hochzeit. Sie trug ihn den ganzen Tag.“ Kurz versank Milias Vater in Gedanken und es war ihm, als wäre er wieder Fünfundzwanzig und vermählte sich mit der schönsten Frau, die er je gesehen hatte.

      „Es ist ein sehr schöner Armreif, Vater. Er muss sehr wertvoll sein.“

      „In der Tat, ja, in der Tat das ist er“, er nahm ihn wieder an sich, als hätte er Angst, ihn schon zu lange aus den Händen gegeben zu haben. „Aber mein Herz hängt mehr daran als meine Geldbörse.“

      Milia lächelte. „Das glaube ich dir gerne.“

      Wieder schwiegen sie eine Weile.

      „Ich vermisse Philomena jeden Tag“, gestand Peris nach einiger Zeit. „Und nun, da ich dich als junge Braut vor mir sehe … es ist wie damals, nur dass nicht ich heirate, sondern du.“ Er drückte liebevoll Milias Hand und versuchte, einige Tränen wegzublinzeln, was ihm nur schwerlich gelang.

      Milia bekam Mitleid mit ihrem Vater. Auch sie vermisste ihre Mutter, doch hatte ihr Tod Peris härter getroffen als jedes andere Familienmitglied. „Ich hätte sie auch gerne an meiner Seite, besonders in diesen Tagen.“

      „Ja, besonders in diesen Tagen“, pflichtete Peris seiner Tochter bei. „Eigentlich bräuchtest du eine Mutter, aber du bist so stark und anmutig und weißt, was gut und schlecht ist … aber trotzdem … ich frage mich, ob alles noch besser hätte werden können, wenn Philomena noch ein Auge auf deine Erziehung gehabt hätte.“ Milia fühlte sich geschmeichelt von den Komplimenten ihres Vaters. Dass er ihre Talente derart lobte, erfüllte sie mit Stolz.

      „Vater, du hast dein Bestes getan und es mangelte uns an nichts, also mach dir keine Vorwürfe“, beruhigte sie Peris. Dieser blickte wieder gedankenverloren auf den Goldreif in seinen Fingern.

      „Ich habe ihn für dich gesucht … vielleicht möchtest du ihn tragen? Eingestaubt in einer Kiste nützt er niemandem etwas.“

      Milia wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihr