„Lassen Sie uns jetzt bitte arbeiten“ sagte ein Kollege mit unfreundlicher Stimme zu ihm. Wir werden Sie später auf dem Polizeipräsidium mit den Details versorgen.“
„Okay“ sagte Holz und verließ den Fundort. Er ging den leichten Anstieg vom Seeufer hoch und bog danach rechts auf den Weg ab. So wie die Leiche aussah, war der Mord erst ein paar Stunden her, dachte er sich. Ein gutes, bekanntes und direkt am Wasser liegendes Restaurant, lag auf seinem Rückweg. Holz hoffte innerlich, dass es dort vielleicht einen Zeugen geben könnte, der die Tat beobachtet hatte.
„Guten Morgen die Damen, Mordkommission Berlin, Holz mein Name. Es gab in der vergangenen Nacht einen Mord, nicht weit weg von hier. Von Ihrer Terrasse aus gesehen mit frontalem Blick auf das Wasser circa vierhundert Meter nach rechts entfernt. Können Sie sich eventuell an einen weiblichen Gast mit kurzen blonden Haaren, circa vierzig Jahre alt, gekleidet in einem pinkfarbenen Mantel erinnern?“
„Sie sind lustig“, sagte eine der beiden Angestellten.
„Blonde kurze Haare sind nicht gerade selten. Bei den vielen Gästen, die hier täglich ein und ausgehen, gucken wir bestimmt nicht auf jeden Mantel oder jede Jacke, die jemand anhat. Es gibt hier in der Ecke so viele kreative und individuelle Leute, dass selbst ein pinkfarbener Mantel nicht auffällt.“
„Danke für das freundliche Feedback“ sagte Holz. „Ich komme eventuell noch einmal in Ihr Restaurant, wenn es voller ist. Vielleicht habe ich ja dann mehr Glück. Schönen Tag noch.“
Holz fuhr weiter zum Präsidium in der Hoffnung, so schnell wie möglich weitere mit dem Mord in Verbindung stehende Informationen erhalten zu können. Da dieses aber noch etwas Zeit in Anspruch nehmen würde, nutzte er sie vor Ort, um in das Datenanalysesystem der Morddelikte zu schauen. Laut diesem System hatte auch die in Freiberg vor einigen Tagen ermordete Person einen Engel am Hals und einen Zettel im Mund.
„Guten Tag sehr geehrter Kollege Voigt. Ich bin Hauptkommissar Holz von der Mordkommission Berlin. Heute Morgen wurde in unserer Stadt eine Leiche am schönen Lietzensee in Charlottenburg gefunden. Ich erinnerte mich sofort daran, dass Sie diese Woche einen ähnlichen Mordfall in Freiberg hatten. Daraufhin habe ich, um einen ersten Anhaltspunkt zu bekommen, in das System der Tötungsdelikte reingeschaut, um festzustellen, ob eine gewisse Ähnlichkeit vorliegen könnte. Leider ist das Ganze noch zu frisch, aber tendenziell könnte es passen. Ich werde Ihnen schnellstmöglich die ermittelten Erkenntnisse weitergeben. Auf gute Zusammenarbeit!“
Voigt war erfreut, endlich einmal Kontakt zu einer etwas entfernter liegenden Mordkommission zu bekommen. Er arbeitete normal fast ausschließlich mit den Kollegen in Dresden zusammen. „Sehr gerne Herr Holz. Vielen Dank! Vielleicht kann der Mörder durch unsere gemeinsame Zusammenarbeit schneller gefunden werden. Ich wünsche Ihnen bis zu unserem nächsten Kontakt erst einmal einen erfolgreichen Tag.“
Holz schaute aus dem Fenster und sah aus der Ferne, dass die Kollegen vom Lietzensee zurückkamen. Auch sie sahen ihn bereits am Fenster und wussten genau, dass er sie, pedantisch wie er war, gleich anrufen würde. Der Leiter der Spurensicherung bevorzugte es daher, lieber direkt in seinem Büro vorbeizukommen.
„Da sind wir wieder und haben bisher schon einige Erkenntnisse dazugewinnen können. Die Leiche wird jetzt obduziert und die Ergebnisse sowie die der Kriminaltechnischen Untersuchungen (KTU) liegen am späten Nachmittag vor, also keine Panik. Die tote Dame ist circa vierzig Jahre alt. Wie Sie selbst sehen konnten, lag der Bäcker-Engel mit dem Cup Cake in der Hand, an ihrem blutigen Hals. Die Einstichstelle wurde mit einem Messer vollzogen. Der im Mund zusammengerollte Zettel enthielt die Aufschrift „Dieses war der zweite Streich und der dritte folgt sogleich.“ Tatort des Mordes ist der Fundort. Die Tatwaffe war nicht am Tatort. Papiere, Geld und so weiter wurden entwendet. Tatzeit und Todeszeitpunkt circa elf Uhr nachts. Das Opfer war auf jeden Fall bereits länger als sechs Stunden tot. Das konnte man mithilfe des auch Ihnen bekannten Drucktests feststellen.“
Holz war sich nicht ganz sicher, ob er den Inhalt noch wusste und guckte seinen Kollegen absichtlich fragend an.
„Also bei Leichen, die länger als sechs Stunden tot sind, lassen sich die Flecken nur durch kräftigen Druck geringfügig ändern. Sie kehren in den nächsten Sekunden nicht zurück. Dieser Zustand war bei der Dame der Fall. Bekleidet war sie mit einem pinkfarbenen Mantel, gelben Sneakers, orangefarbener Hose und blauer Bluse. Verzeihen Sie lieber Kollege, aber sie sah so bunt aus wie der Cup Cake den der Engel in der Hand hielt.“ Er lachte, fügte aber beschämt hinzu, dass das Ganze ja eigentlich nicht zum Lachen sei. Holz bedankte sich und ging in die Kantine zum Essen. Er saß allein am Tisch und genoss die leckere, typische Berliner Curry Wurst, die seiner Meinung nach die beste in diesem Stadtteil war. Beeindruckt von der bisherigen Übereinstimmung des Falls in Freiberg mit dem hier in Berlin, konnte er den Anruf des Pathologen kaum erwarten. Holz wusste, dass seine Kollegen immer unter Hochdruck arbeiteten, sodass er bereits gegen Abend die ersten Ergebnisse haben dürfte. Seine langjährige Erfahrung bestätigte seine Vermutung. Gegen sechs Uhr abends meldete sich zuverlässig die Pathologie. „Warten Sie“, sagte Holz. „Ich bin sofort bei Ihnen, dann können Sie mir alles direkt vor Ort persönlich mitteilen.“ Am Autopsie-Tisch stehend, zeigte ihm der Pathologe zunächst den Arm der Toten. „Diese Verletzung entstand post mortem als der Rentner, Herr Bulle, auf den Arm des Opfers getreten ist. Es handelt sich hierbei nicht um eine Gewalteinwirkung durch den Täter. Die Tat selbst ist natürlich eine Gewalteinwirkung durch die drei gezielten Stiche in den Hals mit einem alten Messer. Meine neue Kollegin hat parallel zu meiner Arbeit herausfinden können, dass es sich um ein altes Militärmesser handelt. Dem Tatvorgang nach könnte es sich um Hass gehandelt haben. Kein Sexualdelikt. Größe des Opfers, ein Meter siebzig, Schuhgröße achtunddreißig, Gewicht siebenundsiebzig Kilogramm, also etwas kräftiger gebaut. Kein Blut des Täters vorhanden. Keine Fingerabdrücke, aber Speichelreste an der rechten Wange, die vom Täter sein müssten. Dieselben Speichelreste fanden wir an den Krümeln der Reste eines Gebäckstücks. Auf diesen Krümeln fanden wir allerdings auch Speichelspuren der Ermordeten. Beide müssen also vorher gemeinsam in etwas Süßes reingebissen haben. Mehr dürfte unseren Kenntnissen nach zu urteilen nicht zwischen den beiden gewesen sein.“ Holz bemerkte einen größeren Bluterguss am Schienbein.
„Hierbei handelt es sich um eine prämortale Wunde, die bereits vor dem Tode existierte. Vielleicht hat sie sich an einem Sofatisch gestoßen.“
Kommissar Holz gab ihm die Daten der Haare, Hautschuppen, des Mantels und des Anzugs. Bis auf die Fasern des Anzugs stimmte alles mit den Daten des Mordes in Freiberg überein.
„Jetzt sagen Sie bloß noch, dass im Blut des Opfers Schlafmittel nachgewiesen werden konnte.“
„Ja. Schlafmittel und leider auch noch Alkohol. Interessant ist auch, dass die Dame auf ihrem Rücken ein schon ein paar Jahre altes Tattoo hat. Ein Flugzeug.“
„Danke Ihnen und später wünsche ich Ihnen noch einen erholsamen Abend.“ Kommissar Holz war sich sicher, dass es sich um denselben Täter handeln musste. Sollte die Speicheluntersuchung keine Ergebnisse bringen, dachte er sogar über eine DNA Reihenuntersuchung mit Speicheltest nach. Allerdings konnte der Täterkreis noch nicht eng genug eingekreist werden, sodass das Ganze noch zu aufwendig war. Er beschloss erneut zum Lokal am Lietzensee zu fahren, um dort zu Abend zu essen. Eine Bedienung wurde bereits durch eine andere ersetzt. Das war die Chance für Holz dieselbe Frage nach dem Opfer während seiner Bestellung noch einmal zu stellen. Sichtlich freundlicher als die Angestellte morgens setzte sie sich, kurz nachdem sie sein Getränk auf den Tisch gestellt hatte, neben ihn.
„Ich erinnere mich an die farbige Bonbon-Kundin. Ihren Namen kenne ich nicht, könnte ich aber von Gabi Saft, einer Kollegin und Freundin, die im Restaurant eine Straße weiter an der Ecke arbeitet, erfahren. Dort tauchte sie auch öfter auf. Ich selbst kenne sie nur vom Sehen. Gabi Saft arbeitet in dem beliebten vegetarischen Lokal „Aubergine.“
„Wenn wir den Namen von ihr erfahren könnten, würde uns das einen enormen Schritt weiterbringen. Erinnern Sie sich zufällig auch daran, ob sie allein hier war, oder mit Begleitung?“
„Eindeutig