ENGELSMÖRDER. Kerstin von Schuckmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kerstin von Schuckmann
Издательство: Bookwire
Серия: Kommissar Lopez
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750223653
Скачать книгу
Mir wird es schwarz vor Augen. Ich glaube, mein Kreislauf spielt verrückt“, antwortete sie mit leiser und trauriger Stimme. Die Tränen liefen über die dicken Wangen ihres rot erhitzten Gesichts. „Ich wusste, dass etwas nicht stimmt. Ingrid war immer pünktlich und heute tauchte sie nicht auf. Ich habe versucht sie telefonisch zu erreichen, aber ohne Erfolg. Oh mein Gott, ist das schrecklich.“ Sie weinte plötzlich bitterlich und wischte sich mit einem neben der Kasse liegenden Tuch die Tränen vom Gesicht.

      „Wissen Sie schon, woran sie gestorben sein könnte? War es ein Unfall oder ein natürlicher Tod oder eventuell sogar ein Mord“?

      „Die beiden ersten Optionen leider nicht“, erwiderte der Hauptkommissar. „Ingrid Engel wurde kaltblütig ermordet. Aus diesem Grund muss ich Ihnen ein paar Fragen stellen. Haben Sie mitbekommen, mit wem sie gestern Kontakt hatte? Oder ist Ihnen irgendetwas aufgefallen?“

      „Oh ja, gestern Abend kurz vor Geschäftsschluss kam ein Mann zu uns in das Geschäft.“ „Glück auf“ rief er beim Betreten des leeren Ladens. Direkt danach rief er fast euphorisch „Ingrid, was machst Du denn hier?“ Lange ist es her, dass wir uns gesehen haben. Was für ein Zufall, gell!? Da fährt man längere Zeit mit dem Zug hier her und wen sieht man als Erstes? Die Ingrid.“ „Mir fiel sofort der weiße Anzug unter seinem schwarzen Mantel auf. Etwas, was hier tagsüber nach Freiberg einfach nicht passt. Wir bieten in diversen Regalen neben Engeln zusätzlich Bergmänner aller Art aus Holz an. Meine ermordete Kollegin war an diesem Tag wie immer selbst als Engel verkleidet. Das ist bei uns, wie Sie ja selbst wissen, seit Jahren Brauch. Der Kunde wollte die fünf Engel neben dem Räuchermann-Piloten kaufen und fragte noch, was dieser kosten würde. Meine liebe Kollegin erwiderte nur, dass sie diesen Piloten auch lieben würde. Er erinnere sie an Freiheit und unendliche Weite. 70 Euro war sein Preis.“ „Aber immer daran denken, die Räucherkerze nachzulegen und anzuzünden, sonst hat das Flugzeug kein Kerosin mehr und kann nicht mehr fliegen, haha“, fügte Ingrid noch lachend dazu. Das war ein unechtes Lachen, wie ich es von ihr vorher noch nie gehört hatte. Unser Kunde nahm alle fünf Engel sowie diesen Räuchermann. Als sie weiter ins Gespräch kamen, erzählte er, dass er aktuell Berichte über die schönsten Orte Deutschlands erstelle und Freiberg da eindeutig dazu gehöre. Um einen Image-Report über das Erzgebirge fertigen zu können, fragte er sie, ob sie ihm vielleicht unterstützend zur Seite stehen könnte und ihn später mit nach Zug, einem Stadtteil von Freiberg, begleiten würde. Er wollte sie dort als Dank in das exklusive und für seine Qualität bekannte Ausflugslokal einladen. Sie würde es ja eventuell kennen, denn der Ausblick von dort aus sei einmalig. Vielleicht könne sie sogar das Engels-Kostüm auf die Tour mitnehmen, um die Reportage noch stärker zu untermalen. Ingrid schien regelrecht begeistert von dieser Idee und fügte hinzu, dass sie gleich in dem Ort Zug um die Ecke wohnen würde. Der Mann betonte noch, was für ein erneuter Zufall das sei, nannte sie „Engel“ und versprach ihr den Montagabend gemütlich ausklingen zu lassen. Sie verließen das Geschäft und fuhren gemeinsam nach Zug. Kurz danach schloss ich die Türen des Ladens ab. Das war das letzte Mal, dass ich meine liebe und so sehr geschätzte Kollegin gesehen habe“, fügte sie unter Tränen hinzu.

      Voigt schossen plötzlich diverse Fragen durch den Kopf, ohne deren Antworten er diesen Raum nicht verlassen wollte. Er schaute auf das kitschige Namensschild der Dame. „Frau Winkler, Sie sagten, er habe sechs Erzgebirgs-Schnitzereien gekauft. Könnten Sie sich eventuell trotz der für Sie im Moment schweren Situation daran erinnern, um welche Engel es sich handelte? Dieses könnte für unsere weiteren Ermittlungen sehr wichtig sein.“

      Elisabeth Winkler dachte sichtlich nach, antwortete allerdings nicht, sondern ging zu einer Schublade und holte einen Coupon hervor.

      „An zwei der gekauften Engel kann ich mich sehr gut erinnern, da ich sie schon immer geliebt habe.“ Sie gab Hauptkommissar Voigt den Zettel. Auf diesem stand als Datum der Vortag und die Uhrzeit Viertel vor fünf nachmittags. Gekaufte Artikel waren: 1.Bäckerengel mit Cupcake in der Hand, 2. Kochengel mit Weinflasche, 3. Engel mit goldener Feder und goldenem Buch 4. Engel als Himmelsbote 5. Engelspärchen mit Trennwand 6. Piloten Räuchermann in Holzflugzeug.

      „Wie alt war Ihres Erachtens der Kunde?“

      „So plus minus 50 Jahre alt.“ Voigt dachte nach.

      „Sprach er Hochdeutsch oder hatte er einen Dialekt?“ Elisabeth Winklers Antwort kam verzögert.

      „Je länger ich darüber nachdenke, bilde ich mir ein, dass er tendenzmäßig etwas Hessisch sprach. Ich kenne den Dialekt von den Touristengruppen, die regelmäßig aus unserer Partnerstadt Darmstadt zu uns kommen. Sie besuchen nach Besichtigung der Höhepunkte unseres Städtchens oft noch einmal unseren Laden, um Souvenirs wie Erzgebirgsengel oder andere typische Erinnerungen zu kaufen. Das Wort „gell“ fällt bei ihren Einkäufen relativ häufig. Nach dem Motto ist das nicht ein wunderschöner Engel, gell? Ein Wort, das meines Erachtens in keinem anderen Bundesland gesagt wird. Es entspricht unserem Sächsischen „noor“, also „nicht wahr“?“ Eines stand fest. Der Mann, der mit Ingrid Engel zuletzt den Laden verlassen hatte, um mit ihr in die Natur und zum Essen nach Zug ins Restaurant zu fahren, stand unter dringendstem Mordverdacht. Der Himmelsboten-Engel, der auf ihrem blutverschmierten Hals lag, das Engelskostüm, das sie anhatte, und die Tatsache, dass er sie noch zum Essen einladen wollte, sprachen zumindest dafür. Weitere Beweise, wie zum Beispiel Haarspuren oder das Blut des Täters könnten dafür sorgen, ihn möglichst schnell zu überführen. Da es sich um einen potenziellen Serienmörder zu handeln schien, war größte Eile angesagt. Voigt wusste, dass ihm die Zeit davonlief und drängte daher darauf, weitere Beweise zu erhalten.

      „Ist Ihnen sonst noch irgendetwas in der letzten Zeit aufgefallen oder gestern an dem Mann selbst? Denken Sie bitte intensiv darüber nach und melden sich dann bei mir. Hier ist meine Karte. Wir müssen jetzt leider Ihren Laden schließen lassen. Die Spurensicherung wird nach weiteren Hinweisen wie Haarproben oder genetischen Fingerabdrücken suchen und diese sicherstellen. Gehen Sie am besten nach Hause und ruhen sich aus. Man sieht Ihnen an, wie sehr Sie diese schreckliche Nachricht mitgenommen hat. Aber noch eine kurze Frage. Seit wann arbeitete Ingrid in diesem Laden?“ Elisabeth Winkler verzog das Gesicht.

      „Soweit ich weiß, kommt sie zwar aus Freiberg, war aber nicht immer hier. Ingrid war jahrelang nicht vor Ort. Ich weiß nur, dass sie früher geschäftlich sehr viel von Deutschland und auch von Spanien gesehen hat. Mehr leider nicht. Darüber haben wir komischerweise nie gesprochen. Ich weiß außerdem noch, dass ihr Urgroßvater in der alten Lederfabrik oben in Zug gearbeitet hat. Das verband sie von klein auf immer mit Freiberg und deshalb verbrachte sie hier, in diesem schönen Städtchen bis auf die Jahre dazwischen auch den größten Teil ihres Lebens. Sie war so eine liebe Frau.“

      Hauptkommissar Voigt stand unter Druck und fragte erneut nach. „Das war leider keine Antwort auf meine Frage, liebe Frau Winkler. Ich möchte wissen, seit wann Ihre Kollegin in diesem Laden gearbeitet hat.“

      „Lassen Sie mich es kurz anhand des Todesdatums meines Mannes nachrechnen. Es müssten etwas weniger als zehn Jahre gewesen sein.“

      Voigt bedankte sich bei ihr und wünschte gleichzeitig der eingetroffenen Spurensicherung viel Erfolg. Er lief zurück zur Tiefgarage, um seinen Wagen zu holen, um anschließend sofort in sein Büro zu fahren. Ihm war bewusst, dass der Mörder seine nächste Tat vorbereiten könnte und kontaktierte direkt die Gerichtsmedizin. Seine Hoffnung bestand darin, anhand molekulargenetisch auswertbaren Spurenmaterials neue Erkenntnisse gewinnen zu können. Sein zuverlässiger Kollege, Professor der Forensischen Pathologie in Dresden, arbeitete unter Hochdruck. Er wies ihn allerdings darauf hin, dass er ihm erst in ein paar Stunden wichtige Informationen überbringen könnte. Voigt wurde von Minute zu Minute ungeduldiger und empfand es geradezu als Erlösung, als bereits nach einer Stunde sein Telefon klingelte. Allerdings war sein Kollege am Apparat, der mit seinem Team den Wagen vom Opfer suchte.

      „Kommissar Voigt, das Suchen hat sich gelohnt. Wir haben den PKW direkt am Bahnhof von Freiberg gefunden und sofort die Spurensicherung angefordert.“

      Er war erleichtert, wusste allerdings, dass die Ergebnisse dadurch erneut verzögert würden. Voigt beschloss die Zeit zu überbrücken, indem er gemeinsam mit zwei Kollegen und auch seiner Assistentin eine Art kreatives Brainstorming