Wie der Titel andeutet, ist es ein Familiendrama und der Konflikt besteht zum einen in der hermetischen Abriegelung der beiden verfeindeten Dynastien Rossitz und Wyk (Haus Warwand). Sprachlich deuten Sitz und Wand bereits Züge der Klaustrophobie und Horizontverengung der Mitglieder an. Die beiden Familien verkörpern Staaten im Kriegszustand vor dem historischen Hintergrund der Napoleon-Kriege. Individualität ist ihnen nur sehr bedingt beigegeben; sie erinnern an Marionetten.
Der erste Akt besteht aus zwei relativ langen Szenen im Quartier der Pro-und Antagonisten: die Eingangsszene spielt in der Familienkapelle des Familienzweigs Rossitz. Das erste Wort, ein vom Mädchenchor gesungenes, „Niedersteigen“ deutet bereits den Niedergang der Familie an. Die Szene endet mit einem für Kleist charakteristischen Ohnmachtsanfall. Nach Bestattung der verstümmelten Leiche des jüngsten Familiensprosses Peter schwört dem Rossitz-Clan den mutmaßlichen Mördern der verfeindeten Wyk Rache. Die zweite Szene findet auf deren Familiensitz statt, wo das Familienoberhaupt ein reines Gewissen hat; in Ohnmacht fällt auch dort jemand, der erstgeborener Sohn – weshalb, bleibt ungeklärt.
Der zweite Akt besteht aus drei Szenen. Die erste findet in einer Höhle statt, in der sich die sich Kinder der verfeindeten Familien einander annähern. Die folgende Sequenz trägt sich im Haus Warwand zu; der Dialog der Eltern verdeutlicht die aussichtslose Lage der Feindschaft bis auf Blut und das Kima gegenseitigen Misstrauens. Die dritte Szene spielt vor den Toren der Wyks. Durch ein Missverständnis wird der zweite Sohn der Rossitz niedergeschlagen und die Schuld der Wyks vermehrt, denen man die Ermordung des zweiten Sohnes andichtet.
Der dritte Akt hat wie der erste nur zwei Szenen. Die erste Begegnung findet wieder zwischen den sich liebenden Kindern in der Höhle statt, die beiden wollen ihre Familien versöhnen. Die zweite Szene trägt sich im Haus Rossitz zu, wo der Vater vom angeblichen Tod seines zweiten Sohnes aus der Hand eines Wyks erfährt und aufbricht, um Rache zu nehmen.
Der vierte Akt ist mit fünf Szenen der umfangreichste. Er beginnt im Haus Rossitz, mit dem Dialog der Eltern. Die Folge-szene spielt wieder im Haus Warwand, wo man sich gleichfalls zur Schlacht rüstet. Die dritte Szene handelt im Bauernhaus, wo die abergläubische Magd und ihre Mutter einen Zaubertrank rühren, der die Verstümmelung des Rossitz-Sprösslings nach einem Badeunfall erklärt, die der letzte noch verbleibende der drei Söhne enttarnt. Er weiß nun, dass sein Bruder nicht ermordet, sondern seine Leiche geschändet wurde. Die vierte Szene spielt erstmals im Freien, allerdings in bedrückenden Gebirge, die fünfte im Turmkerker der Rossitz-Familie, wo der Vater den letzten ihm verbliebenen Sohn gefangen hält, doch er befreit sich mit einem Sprung. Der fünfte Akt besteht nur aus einer einzigen Szene, die sich im Höhleninneren zuträgt. Nach erfolgtem Kleidertausch der Liebenden und laufen den jeweiligen Vätern zu. Sie werden von diesen nicht erkannt und getötet; erst an ihren Leichen findet die Versöhnung statt. Von Kleist setzt die Gebärde des Verhüllens des eigenen Gesichts in Situationen extremer Affekte ein.
III. 1. 2. Inhalt
Hintergrund der Fehde liefert ein Vertrag, der beim Aussterben eines Familienzweigs dem anderen sämtliche Erbrechte überschreibt. Beide Clans misstrauen sich seitdem und mutmaßen Attentate. Rupert, der Patriarch der Familie Rossitz, schwört seine Söhne und Gefolgschaft ein, den Tod des Sohnes Peter zu rächen, für den er seinen verfeindeten Verwandten, die Sippe der Wyks, verantwortlich macht. Die ihm verbliebenen Söhne, Ottokar und sein illegitimer Halbbruder Johann, lieben im Geheimen die Tochter des Wyk-Clans Agnes. Ottokars Liebe wird auch erwidert, was Johann verbittert; als er Agnes bedrängt, wird er von ihrem Bruder Jeronimus verwundet, womit die Aussöhnung beider Familien endgültig vereitelt wird. Zu spät erfährt der Vater von ihm, dass Agnes ihn gesund gepflegt hat.
Ottokar findet heraus, dass sein jüngerer Bruder eines natürlichen Todes durch Ertrinken starb, seine Leiche allerdings verstümmelt wurde, so dass der Verdacht auf Mord genährt wurde. Die Parallelhandlung wird erst zur Gänze im Schlussakt erklärt: Die Totengräberwitwe Ursula hat den beim Spielen ertrunkenen toten Sohn einem Finger als Totem für einen Zaubertrank abgeschnitten. Seine Familie aber glaubt, was sie glauben will. Während die Familien zur Schlacht rüsten, entkommt Ottokar durch gewagten Sprung aus dem Verlies seiner Burg, in das er von seinem Vater zu seinem eigenen Schutz gesperrt wurde. Um die Familien zu versöhnen, tauscht er mit Agnes die Kleider, sie wollen als Geißeln ihnen gegenübertreten, doch beide werden von ihren Vätern ermordet, die erst nach ihrem Tod ihren Irrtum erkennen. Die geborgte Identität kostet ihnen das Leben.
Das Tragisch-Komische besteht äußerlich in dem Versuch sich durch Tarnung, Identitäts-und Rollentausch, einen Vorteil zu verschaffen, der mit dem Tod endet. Tiefer liegt der Gedanke, den die indirekt Verantwortliche ausspricht, die als Hexe bezeichnete Ursula: „s ist abgetan, mein Püppchen. / Wenn ihr euch totschlagt, ist es ein Versehen.“54
III. 1. 3. Interpretation
Versehen oder Misstrauen
Der Tod ein Versehen? Missgunst und Aberglauben haben das Unheil in Gang gesetzt, das die Frau aus dem Volk für unabwendbar hält. Sie ist damit eine Schicksalsleiterin. Das Stück endet mit dem Satz aus dem Munde des Johannes zu Füßen der Leichen. „Das ist ein Spaß zum Totlachen.“ Ein Versehen, das der Zufall, im Grunde mehrere, die mit der Verwechslung enden, begünstigt, doch der Ananke, dem Zwang geschuldet ist.
Das erste augenscheinliche Motiv ist sicherlich Rache aus verletztem Rechtsgefühl heraus. Alle Handlungsimpulse gehen von der Gestalt des Rächers Rupert aus, der wie die Kleist'schen Gestalten Michael Kohlhaas und Cheruskerfürst Hermann eine durch ein ungeheuerliches Verbrechen gestörte natürliche, ursprüngliche Ordnung wieder herstellen will, indem er mit gleicher Radikalität den Verursacher des Unrechts vernichtet. Zerstört werden aufgrund der Vergangenheit aber Gegenwart – die unschuldige Liebe der Kinder und das Leben die Zukunft – das Leben der Erben.
Die Zwietracht besteht nicht nur zwischen den Familien, sondern auch innerhalb, denn Johannes ist bereit, sich mit seinem Bruder Ottokar zu duellieren, als er sieht, dass ihm die Gunst von Agnes zufällt. Die Kinder vereinen sich in einer gegenläufigen Handlung: Dem Paar gelingt in der Höhle als Ort der Idylle und der Utopie Glück und Versöhnung; dagegen bleibt die menschliche Behausung der Ort des Irrtums und Unrechts. In dem (erotischen) Schutzraum einer Höhle bringt irrtümlich jeder der Väter sein eigenes Kind um, womit Kleist das platonische Gleichnis umkehrt. Nicht selten sühnen die Jungen mit ihrem Blut für die Sünden der Alten. Erobern, Besitzen und Verfügen (Kinder als Lehen) bilden die Trinität des Dramas.55
Kleider als auch Höhle deuten die Verletzlichkeit an, aber auch dunkles Verirren und Tasten nach Wahrheit und Erkenntnis. Gerungen wird um das Gefühl des Vertrauens und Vertrautseins. Agnes´ Frage „Soll ich dir traun´, wenn du nicht mir?“ findet die Antwort Ottokars: „Tu es. Auf die Gefahr.56 Zweifel und Verdacht (suspense) ist ein klassisches Motiv bei Shakespeare, das Tragödien in Gang setzt. Kleist operiert bevorzugt mit der Dramaturgie des Misstrauens.57
Die konvergierenden Metaphern für das mühsame und vorsichtige Abtasten mit vorgezeichneter Enttäuschung liefern „offenes Buch“ und „verschlossener Brief“ im dritten Akt: „Deine Seele / Lag offen vor mir, wie ein schönes Buch“ sagt Ottokar, zu Agnes und wenig später. „Nun bist / Du ein verschloßner Brief“. Ihr Schweigen erscheint weniger verräterisch als das oft gebrochene, undeutliche oder missverstandene Wort bei Kleist. In ihrem gemeinsamen Schweigen finden die Kinder zueinander, was die Ambivalenz des Vertrauens, Wagnis und Rettung zugleich zu sein, verstärkt. Zwischen Gott und Teufel ist nichts, bestenfalls das Wort und das lügt, absichtlich oder aus Versehen, beständig, nicht nur in „Die Familie Schroffenstein.“
Anti-Aufklärung contra Lessing
Ein Ansatz, das Stück zu verstehen, liefert das Gleichnis von Kleist, das er Rupert in den Mund legt: „Die Stämme sind zu nah gepflanzet, sie / Zerschlagen sich die Äste.“58 Für die Hermeneutik sind drei Alternativen geboten. Zunächst die Erschließung durch eigene Textstellen. Für Kleist steht fest, „Traum kann nicht Sehnsucht nach Glück sein, da dieses doch das bewusste Streben aller ist.“