Ekstatisch bleibt der Widerspruch zwischen Bewusstsein und Ent-oder Verzückung, ausgelöst durch Liebeswahn. Die widerstrebenden Gefühle sind autodestruktiv: „Freud ist und Schmerz dir, seh ich, gleich verderblich, / Und gleich zum Wahnsinn reißt dich beides hin.“68 In der verfremdeten Welt des Bewusstseins gibt es für die Amazone nur ein Bereitsein zum Tode bzw. wilde Mordlust der Furien, in der sich der Wille zur Selbstvernichtung durch Kontrollverlust bereits entäußert. Dass sich der Autor darin wiederfindet und mit der Figur der Pentesilea identifiziert, verdeutlicht sein Brief über das Drama an Marie von Kleist: „Mein innerstes Wesen liegt darin … der ganze Schmerz zugleich und Glanz meiner Seele.“69
Sprache, Sprachverlust: zwischen Macht und Ohnmacht
Nicht nur der letzte Satz „Ach wie gebrechlich ist die Welt“ beinhaltet eine doppeldeutige Syntax zwischen emotionalem Aufbegehren und stoischer Schicksalshörigkeit, der mit dem Kassandra-Mythos, der sich selbst erfüllenden Prophezeiung, spielt. Wir vernichten, was wir lieben, so hat einst Christa Wolf „Penthesilea“ pointiert. Zernichtet wird in jedem Fall der Austausch, das kultivierte Gespräch oder der Versuch einer wirklichen Annäherung, der Verstehen des Fremden.
Vergleicht man die Redeanteile, so überlagen Monologe Dialoge klar und wenn Figuren miteinander reden, dann meist aneinander vorbei „Du ganzer Schreckenspomp des Kriegs, dich ruf´ ich, / Vernichtender, entsetzlicher, herbei!” Es herrscht auch ein Krieg um Worte, um Sprachgewalt. Das Schlachtfeld des Stückes ist Sprache. Es sind Wortschlachten, die in „Penthesilea” geschlagen werden. Der häufigste, immer wiederkehrende Befehl lautet: „So rede! Sprich!” bzw. „Sprecht! Redet!“ Beispielsweise, als die Jungfrauen von den Griechen wissen wollen, womit man ihnen einen Gefallen bereitet: beide Kulturen verstehen sich nicht; aber auch Penthesileas Verhalten befremdet ihre soziale Gruppe und Achill die seinen. So reagiert die Oberpriesterin auf ihre Königin zunehmend fassungslos. „Sag an: wo? Wann? Wer?“ Versatzstücke, abgebrochene Sätze und Fragegewitter verleihen der Textstruktur gezielte Brüche und Risse. Alles bleibt Fragment und Aufbruchsstimmung. „Du willst? - säumst? – Du willst … Wie, Rasende?“ Dass Pentheselia nicht mehr in die Schlacht ziehen, sondern bleiben will, lässt ihre Mitstreiterinnen glauben: „Sie ist von Sinnen!“ Die gleiche Situation wiederholt sich unter umgekehrten Vorzeichen, als die Königin, kaum von ihren Wunden genesen, gegen Achill ins Feld ziehen will, wo die Kräfte ihrer Armee aufgebraucht sind.
Drei Mauerschauen belegen: der Krieg bildet für beide Parteien und nur phänomenologisch unterschiedlichen gesellschaftlichen Systeme die Existenzgrundlag: Regeln, Gesetze und permanenter Ausnahmezustand, Grenzerfahrungen. stellt die ehernen Gesetze ihres Staates in Frage: ihr widerfährt, wofür es keine Sprache zu geben scheint; das Unerlaubte der Liebe. Dieses unerwünschte und doch herbeigesehnte Gefühl wütet in ihr, Achill wird zum “Störfall“. Der Dialog zwischen den Liebenden ist nicht mehr als ein hastiges Stammeln und Stocken; physisch wie psychisch bringt Achill Penthesilea ins Straucheln.
Beide sind aufeinander fixiert, doch das Begehren zu lieben und zu besitzen erweist sich als unvereinbar, weil besiegen, um zu lieben in sich paradox ist. Kleist belegt seine Heldin mit dem Attribut „unverwüstlich“; doch wie sie physisch nicht nachgibt, so unbeugsam bleibt sie gegenüber dem Gesetz der Libido. Ist in ihrem kriegerischen Matriarchat ist auch Platz für die Liebe vorgesehen und ihr wie allen Amazonen eine Brust zum besseren Umgang mit Pfeil und Bogen amputiert: „Weil doch die Kraft des Bogens nimmermehr Von schwachen Frauen, beengt durch volle Brüste, Leicht wie von Männern, sich regieren würde.“70 So bleibt doch Liebe ein Schlachtfeld wie Pfeil und Bogen Attribute Amors sind. Die Penthesilea verbliebene Brust ist Symbol rudimentärer Weiblichkeit, Makel und Androgynität.
Mit zunehmender Liebe (präziser Begehren oder libidinöses Verlangen) versinkt die Sprache, verkommt zu Interjektionen wie „Ach“. Daher scheint auch das leichte Homonym Küsse Bisse nicht einem komödiantischen Effekt geschuldet. „Wenn Penthesilea zuletzt Küsse und Bisse verwechselt, ist dies die Ineinssetzung von Sprache und Schweigen, die als Mysterium körperlicher Vermählung gefeiert wird: das Einssein durch Verschlingen des Körpers.“71 Man muss von einem Modell der Eskalation sprechen, für das Worte fehlen.
Auch Achill findet kaum Zugang zur Sprache. Anstelle der natürlichen Frage, die man gewöhnlich an den Geliebten richtet, willst du mit mir leben, fragt er: willst Du mit mir sterben? Die Erfüllung des Eros liegt für ihn stets im Thanatos. Mit Stendhals Kristallisationstheorie: Liebt Penthesilea Achill oder nur das Bild, das sie sich von ihm gemacht hat, ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen nach masochistischer Unterwerfung, denn dass Achill der mächtigste aller Kriegsgegner ist, macht ihn für sie begehrenswert und keineswegs ein individueller Zug. Ihre Fixierung erfolgt vor dem ersten Wort-, sogar vor dem ersten Blickwechsel mit ihm. Kleist legt sogar Spuren, wie er über die Sprache, um deren wahrhaftigen Ausdruck er stets ringt, täuscht: „Die Hand verwünsch ich,… und das verräterische Wort.“72 Und: Seht, wenn, auf euer übereiltes Wort.“ In Variation, aber metaphorisch umso listreicher: „Ich habe mich, bei Diana, bloß versprochen / Weil ich der raschen Lippe Herr nicht bin.“ Sie hat ihn aus Versehen getötet „und weiter nichts“
Geschlechterkampf oder höhere Theologie
„Entseelt ist sie“73. Kleist invertiert Leib und Psyche. Im antiken Urmythos tötet Achill Penthesilea; bei Kleist trifft ihn ihr Blick ins Mark und verhindert den tödlichen Stoß, als sie wehrlos ist. Die Gewalt, zentrales Thema für Kleist, erfährt bis zum Ende kontinuierliche Steigerung; ein klar erkennbarer Kulminations-oder Wendepunkt indes fehlt. „Penthesilea“ weist eine dreifache Umkehr auf: von der Kampf-zur Liebesgier, von ihr zur furienhaften Rache nach dem vermeintlichen Liebesverrat Achills und zuletzt zum Selbstvernichtungswillen nach der Erkenntnis der begangenen Untat. Durch den zerbrochenen Glauben an die Vernunft kann Wirklichkeit nur aus dem Selbst heraus erzeugt werden mittels „metaphysischem Realismus“74.
Die entstehende Gefühlsverwirrung ist Folge der illusorischen Sicherheit des Gefühls die alle weiblichen Protagonisten Alkmene, Käthchen und Penthesilea in ihrem Rollenverständnis erschüttert. „Höhere Theologie“ (Korff) herrscht in den Prophezeiungen vor, in Penthesileas Fall die der Mutter, wobei sie deren Traum missdeutet. Sie offenbart in ihrer Verrücktheit eine tiefere Form der Vernunft, denn sie sucht Achill im Kampf besiegen, aber zugleich als Weib seine Liebe erringen; es liegt also ein Liebesparadox vor. „Wenn du mich liebst, so sprichst du nicht davon.“
Die Frau fordert Anerkennung ihres Selbst durch den Anderen, was widersinnig ist. Penthesilea ahnt um das Unbewusste, ihre heimliche Libido: „Wie manches regt sich in der Brust der Frauen, Das für das Licht des Tages nicht gemacht.“
Im Triumph der Leidenschaft befreit sie sich von der Widernatürlichkeit des ihr aufgezwungenen Amazonentums. Anstelle der Gebärmaschine wird sie Tötungsmaschine. Denn im Unterschied zu den Griechen töten die Amazonen ihren Gegner nicht, sondern unterwerfen ihn, um sich über die Gefangenen ihre Nachkommenschaft zu sichern. Allerdings ist eine individuelle Partnerwahl nicht vorgesehen, das Rosenfest ist ein religiös kollektiver Ritus.
Im Augenblick höchster Unvernunft, als sie den Geliebten wie eine Hündin zerfleischt, gelangt die absolute Liebe Penthesileas ans Ziel: Nicht im romantischen Liebesbund, sondern der antike Liebestod stellt die höchste Erfüllung ihrer Liebe dar. Insofern handelt Penthesilea nicht verrückt, sondern nach den Gesetzen