Und du bist nicht da. Kerstin Teschnigg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kerstin Teschnigg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752929393
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Zimmer. Ich atme durch und richte mich auf. Mein Handy liegt am Schreibtisch. Schlechtes Gewissen. Toll. Wie kann man nur so ein Mensch sein? Mit seinem Verhalten hat er schon meine Brüder aus dem Haus vertrieben, wie kann es sein, dass man so ignorant ist? Mama sagt, er war nicht immer so. Es hat mit dem Trinken angefangen. Dann fing er an zu spielen. Wir haben darum fast den Hof verloren. Früher hatten wir einen großen Weinbetrieb mit viel Grundbesitz. Es ist alles drauf gegangen. Zum Glück konnten wir das Haus behalten. Ich habe von all dem nicht viel mitbekommen, weil ich noch zu klein war, aber ich kann mich immer nur an den autoritären Vater erinnern, wobei das noch freundlich ausgedrückt ist. Er hat mich noch nie liebevoll angesehen, oder in den Arm genommen. Da war kein nettes Wort oder gar ein Lob aus seinem Mund. Es ist schrecklich, aber ich hasse ihn. Wie kann ich Hilfe von Gott erwarten, wenn ich meinen eigenen Vater hasse?

      Mühsam krabble ich aus dem Bett und stecke mein Handy an das Ladekabel. Es ist schon fast fünf Uhr geworden. Ich brauche dringend eine Dusche. Wehmütig schaue ich aus dem Fester. Wofür das alles? Ich sehe meinen Vater wegfahren. Es ist wie ein schwerer Stein der von mir abfällt. Er muss auf eine Baustelle in der Nähe von Wien. Das bedeutet, dass er erst Ende der Woche wieder zurückkommt. Ein paar Tage Ruhe. Ich gehe ins Badezimmer und putze ohne in den Spiegel zu sehen meine Zähne. Dann steige ich unter die Dusche. Mir tut alles weh, mein Gesicht brennt. Das warme Wasser tut trotzdem gut. Ich wickle mich in ein großes Badetuch und mache einen Handtuchturban auf meinem Kopf. Dann nehme ich allen Mut zusammen und schaue in den etwas beschlagengen Spiegel. Ich halte die Luft an. Meine Nase ist aufgeschlagen und unter dem rechten Auge bin ich ein bisschen blau, sonst nur rot. Meine Schulter verfärbt sich auch bläulich. Ich senke meinen Blick. Diese Woche werde ich also nicht aus dem Haus gehen. So nicht. Es ist nicht der Schmerz der mich demütigt, es ist mein Anblick.

      „Du weinst jetzt nicht mehr“, sage ich meinem Spiegelbild und versuche alles wie immer zu machen. Ich creme mich ein und trockne meine Haare. Dann ziehe ich mich an. Mama sitzt in der Küche. Sie sieht mich kurz an, ihre Augen füllen sich sofort mit Tränen.

      „Anna…Ich…“, stammelt sie, ich unterbreche sie sofort.

      „Nein Mama…Hör auf…Du kannst nichts dafür. Es ist ja nicht so schlimm.“

      „Nicht so schlimm?“ Mama schüttelt den Kopf. „Es ist schrecklich, fürchterlich. Nicht im Worte zu fassen und ich kann dir nicht helfen. Mir bricht es das Herz Anna. Ich kann dich gar nicht ansehen.“

      Ich setze mich neben sie und lege meinen Kopf auf ihre Schulter. Sagen tue ich nichts mehr.

      „Es geht so nicht weiter. Ich will, dass du einen Internatsplatz in Graz bekommst, damit du zumindest unter der Woche ein normales Leben führen kannst. Ich kann nicht für dich sorgen, so wie ich das tun sollte.“

      Ich sehe auf und schüttle den Kopf. „Natürlich kannst du das, das darfst du nicht sagen. Du kannst nichts dafür! Ich will nicht ohne dich sein. Außerdem würde er es gar nicht erlauben, das weißt du doch.“

      Sie seufzt und drückt mich wieder an sich. „Du hast nichts gegessen. Ich mach dir schnell etwas warm.“ Sie streicht sanft über meine schmerzende Wange.

      Ich löffle ein bisschen Suppe und Mama erzählt mir, dass Sebastian angerufen hat. Lilly, seine Tochter hat angefangen zu laufen. Ganz stolz erzählt sie mir alles.

      „Ich werde sehen, dass du nach der Matura zu ihm fliegen kannst“, meint sie wehmütig.

      Ich nicke nur. Ja das wäre toll. Amerika. New York. Vielleicht. Träumen kann man ja. Aber heute habe ich einfach keine Kraft darüber nachzudenken. Ich habe ewig nicht mehr ferngesehen und nachdem Mama und ich allein sind, lege ich mich aufs Sofa und zappe ein bisschen herum. Es tut fast nicht mehr weh, nur noch mein Herz schmerzt. Seufzend wickle ich mich in die Kuscheldecke. Mama hat mich vorhin gefragt was war, aber ich will nicht darüber sprechen. Bald ist er sowieso weg.

      Kapitel 8

       Julian

      Shit. Mein Kopf tut weh und mir ist schlecht. Langsam drehe ich mich zur Seite. Das Licht ist erbarmungslos grell. Oh Fuck... Ich schließe meine Augen schnell, mache sie dann langsam wieder auf und hoffe das Bild, das sich mir offenbart ändert sich, aber sie ist immer noch da. Vorsichtig sehe ich unter die Decke und halte kurz die Luft an. Ich bin nackt. Nein… Habe ich das wirklich getan? Janine rekelt sich und grinst mich triumphierend an. Ich weiß nicht ob es Absicht ist, dass sie mir ihren nackten Busen schonungslos präsentiert. Mir ist unglaublich schlecht und alles beginnt sich zu drehen. Ich springe aus dem Bett und übergebe mich im angrenzenden Badezimmer. Krampfend würge ich alles Mögliche herauf. Was zur Hölle ist passiert? Ich hänge noch über dem Klo, als Janine ihren Kopf zur Tür hereinsteckt.

      „Alles ok? Klingt nicht gut?“, meint sie und verzieht dabei ihr Gesicht.

      „Raus…“, blaffe ich sie an. Sie verdreht die Augen und schließt die Tür wieder. Ich stehe auf und lasse kaltes Wasser über meine Pulsadern laufen. Mühevoll versuche ich mich zu erinnern. In meinen Schläfen pocht es. Ich wasche mein Gesicht und schaue in den Spiegel. Anna. Ich erinnere mich an Anna. Lächelnd schließe ich meine Augen. Sie war so schön und sie roch so gut. Wie immer.

      „Kommst du jetzt mal raus?“, beschwert sich Janine und klopft dabei für meinen Schädel zu laut an die Tür. Ich ignoriere es.

      Anna…Warum ist sie gegangen? Ich denke angestrengt nach. Shit. Weil ich Mist gebaut habe. Und jetzt steht Janine vor der Tür. Fuck. Fuck. Fuck. Anna hätte neben mir im Bett liegen sollen, nicht sie. Ich wickle mir ein Handtuch um. Zögerlich öffne ich die Tür. Janine sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

      „Haben wir…“, frage ich vorsichtig, weil ich mich absolut an nichts erinnere.

      „Was?“, fragt sie mit einem spitzen Ton, der mir im Kopf wehtut. „Sicher haben wir. Was ist denn los mit dir?“

      Ich lasse mich aufs Bett sinken. „Scheiße…“, murmle ich.

      „Was SCHEISSE?“, schreit sie mich an.

      Ich sehe auf und atme durch. „Keine Ahnung warum und wie das passierte, aber das wollte ich nicht. Ich war betrunken und erinnere mich an nichts.“

      „Du wollteste es nicht? Das fühlte sich aber ganz anders an. Und jetzt?“

      Ich zucke mit den Schultern. „Du hast doch mitbekommen, dass ich und Anna…“

      Sie unterbricht mich und gibt mir einen ordentlichen Stoß an die Schulter. „Anna?! Ernsthaft?! Vor ein paar Stunden, da hast du nicht an deine Anna gedacht. Im Gegenteil! Ich kann dir gern erzählen was du alles mit mir gemacht hast! Sag mal tickst du noch richtig?“

      Ich schüttle den Kopf. „Bitte hör auf. Es tut mir leid…“

      Wieder unterbricht sie mich. „Leid? Mir tut es leid! Du bist echt ein Arschloch!“

      Dann packt sie wutentbrannt ihre Sachen und verlässt das Zimmer. Ich amte durch und lasse mich aufs Bett zurückfallen. Scheiße. Was mache ich denn jetzt? In meinem Kopf sticht es dermaßen, dass ich kaum klar denken kann. Doch eines ist ganz klar, wenn ich an Anna denke, zieht es in meinem Bauch und das halte ich fast nicht aus. Was soll ich ihr denn jetzt sagen? Ich schließe meine Augen. Wie sie lächelt…Ihre Lippen…Wie sie küsst…Wie sich ihre Haut anfühlt. Was genau ist heute Nacht passiert? Ich habe sie geküsst, aber sie wollte es nicht. Angestrengt denke ich nach. Warum habe ich nur so viel getrunken, ich mache das doch sonst nie? Ich drehe meinen Kopf ins Kissen, dabei wird mir wieder schlecht. Es riecht nach Janines Parfum. Schwer und bestimmerisch. So wie sie ist. Wie konnte ich mich nur auf sie einlassen? Ich springe auf, kurz dreht sich alles, doch ich nehme mich zusammen und ziehe das Bettzeug vom Polster und der Decke, außerdem reiße ich das Laken fast panisch von der Matratze. Danach bin ich so fertig, dass sich Schweißperlen auf meiner Stirn gebildet haben. Ich werfe die Schmutzwäsche vor meine Tür und stelle