Und du bist nicht da. Kerstin Teschnigg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kerstin Teschnigg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752929393
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„Wie denn dann? Wie willst du es haben?“

      Ich reiße mich von ihm los und sehe ihn geschockt an, dabei schnappe ich nach Luft. „Spinnst du?!“

      Er zieht die Augenbrauchen hoch und schmunzelt. Ich senke mit gekränktem Blick mein Gesicht und schüttle enttäuscht den Kopf. Dann gehe ich ohne ein weiteres Wort zu sagen zu meinem Fahrrad.

      „Sorry Anna! Komm schon…Bleib stehen! “, ruft er mir noch nach, doch ich reagiere nicht mehr darauf. Alles fühlt sich ganz falsch an. Schmerzlich und falsch. Ich schnappe nach Luft. So habe ich mir das nicht vorgestellt. Nachdem ich ein Stück gefahren bin, bleibe ich an der Hofausfahrt stehen und versuche mich zu sammeln. Doch es gelingt nicht. Tränen laufen über meine Wangen. Habe ich mich wirklich so getäuscht? Warum? Mein Magen dreht sich fast um, als mich das Krachen eines lauten Blitzes, gefolgt von einem mächtigen Donner zusammenschrecken lässt. Der Wind nimmt zu, die Blätter der angrenzenden Bäume beginnen zu rascheln, als ich auch schon große Tropfen spüre. Mist. Ich steige schnell wieder auf und radle im immer weiter zunehmenden Gewitterregen los. Es blitzt und donnert und ich bekomme Angst, weil ich mitten in diesem Inferno unterwegs bin. Aber es ist nicht mehr weit, darum trete ich einfach weiter. Als ich unsere Einfahrt hinuntertrete, schrecke ich erneut zusammen, weil die Sirene lautstark losheult. Vermutlich hat irgendwo der Blitz eingeschlagen. Ich stelle mein Fahrrad ein und kann immer noch keinen klaren Gedanken fassen, ich bin einfach nur froh wieder zu Hause zu sein. Alles in meinem Kopf ist wirr und durcheinander. Gerade als ich den Schlüssel unter der Matte vor der Tür hochheben will, öffnet sich diese. Mein Vater stoppt ab und sieht mich an. Die Sirene. Fuck. Ein Feuerwehreinsatz. Ich schließe kurz meine Augen. Oh mein Gott…

      „Anna! Bist du wahnsinnig? Was macht du denn?“, schreit er mich an und packt mich am Arm.

      Ich kann nichts sagen, reiße mich los und laufe panisch an ihm vorbei, die Stiege hinauf in mein Zimmer. Atemlos lehne ich mich an die Tür und höre wie er wegfährt. Ich reibe mir die Schläfen, wieder laufen Tränen über meine Wangen. Ich muss nachdenken. Shit.

      „Anna?“ Mama klopft an die Tür.

      Ich öffne diese langsam. „Entschuldige…Er hat mich gesehenen…“

      „Keine Angst, ich mach das schon“, beruhigt sie mich.

      Ich nicke schluchzend, auch wenn ich ihr glauben will, weiß ich jetzt schon, dass es nichts helfen wird. Sanft streicht sie über meine Wange. „War es denn schön?“

      Schön? Es hätte schön sein können. Ich hätte besser zu Hause bleiben sollen. Wortlos lege ich meine Hände vors Gesicht und kann nicht aufhören zu weinen.

      „Ach Anna…“, beruhigt mich Mama und hilft mir aus dem nassen Kleid zu schlüpfen. „Schlaf jetzt, morgen sieht die Welt ganz anders aus.“

      Auch das glaube ich nicht. Denn ich weiß, was auf mich zukommt. Ich schlüpfe kraftlos unter meine Decke, sie bleibt noch ein bisschen bei mir dann geht sie aus dem Zimmer. Mein ganzer Körper zittert und ich kann mich nicht beruhigen. Ich weiß, dass mein Vater ausrasten wird, wenn er wieder zurück ist, Mama wird das nicht verhindern können. Außerdem geht mir Julians Verhalten nicht aus dem Kopf. Er war doch nie so. Geht es ihm wirklich nur darum? Will er nur Sex? Mich ausnutzen und dann wieder abhauen? Ich denke lange darüber nach, kann es aber einfach nicht verstehen.

      Laute Worte reißen mich auf. Ich bin eingeschlafen. Irgendwann. Es wird schon hell. Ich habe so viel geweint, dass ich meine Augen kaum aufmachen kann. Sie sind ganz zugeschwollen. Mein Wecker zeigt kurz nach fünf.

      „Lass sie jetzt schlafen und leg dich auch noch hin“, höre ich Mama ruhig aber bestimmt sagen.

      „Sag mal spinnst du? Was ist denn los mit euch Weibern?“, schreit mein Vater. „Sie führt sich auf wie eine Schlampe! Ich dulde das nicht! Nicht unter meinem Dach!“

      Ich kenne die Tonlage seiner Stimme. Nach dem Feuerwehreinsatz ist es nicht bei einem Bier geblieben. Das kann ich deutlich hören. Ich liege regungslos da, aber mein Herz klopft. Ich höre ihn die Stufen heraufpoltern. Jetzt bin ich auf alles eingestellt. Ich weiß was passieren wird.

      „Nein habe ich gesagt! Lass sie!“, schreit Mama ihn an. Er ist schon fast vor meiner Tür.

      „Nein…Nein…Bitte nicht“, bettle ich in Gedanken. „Bitte lieber Gott, wenn es dich gibt, dann hilf mir jetzt.“

      Meine Tür öffnet sich schwungvoll. Mama zerrt an seinem Arm und ich habe Angst, er wird sie gleich wegschubsen. Ich springe aus dem Bett und schüttle hysterisch den Kopf.

      „Lass bitte Mama!“, flehe ich und sehe in seine geröteten Augen. Ich kann den Alkohol riechen und seine Wut auf mich spüren. Die Ader an seinem Hals ist hervorgetreten, ich sehe wie sie pumpt. Ich will noch etwas zu meiner Verteidigung sagen, doch da habe ich seine flache Hand schon im Gesicht. Einmal. Zweimal. Dreimal. Ich schnappe nach Luft. Meine Wangen beginnen zu glühen, so fest hat er zugeschlagen. Mama schreit ihn an.

      „Sei ruhig!“, schreit er zurück und stößt sie kraftvoll aus dem Zimmer.

      „Lass Mama“, wiederhole ich. Während dieser Worte schlägt er wieder auf mich ein.

      „Wo warst du denn? Am Herzoghof? Willst so werden wie die Flittchen aus dem Dorf? Schau dich an wie du aussiehst in deinen knappen Hosen! Das ekelt mich an!“, schreit er nahe an meinem Gesicht.

      „Was weißt du schon!“, schreie ich emotionslos zurück und bereue meine Worte sofort. Wieder schlägt er mir direkt ins Gesicht.

      „Was ich weiß?! Ich weiß das du mit irgendwelchen Typen im Café im Nachbarort herummachst! Die Frau vom Pichler Franz hat dich gesehen! Geschmust hast du mit ihm, in aller Öffentlichkeit! Bist du total übergeschnappt?!“

      Erneut trifft mich seine Hand kraftvoll an der Wange, ich kann nichts mehr sagen, denn jetzt hört er nicht mehr auf. Immer wieder schlägt er auf mich ein. Mama weint laut und versucht ihn davon abzuhalten. Ich mache es wie immer. Ich schalte ab. Irgendwann ist es vorbei, ich versuche mich gedanklich wegzubeamen. Da ist nur noch mein Körper auf den er einschlägt, ich bin eine leere Hülle. Es ist als würde ich aus mir herausschlüpfen und alles aus sicherer Entfernung beobachten. Es tut nicht weh, ich lasse den Schmerz nicht an mich heran. Ich halte das aus, Mama nicht. Sie ist zu schwach dafür. Ich bin stark. Genau jetzt. Ein Schlag trifft mich noch an der Schulter, einer neben der Nase. Dann ist es vorbei. Auf Knien kauernd stütze ich mich mit meinen Händen am Holzboden ab und sehe ihm nach wie er das Zimmer verlässt und Mama und mich zurücklässt. Die Tür fliegt schwungvoll ins Schloss. Etwas Blut aus meiner Nase tropft auf den Boden. Mama lässt sich auf den Boden sinken und zieht mich in ihre Arme. Sie weint laut, ihr ganzer Körper bebt.

      „Mama…“, murmle ich mit erstickter Stimme. „Bitte nicht weinen…“

      Kapitel 7

       Anna

      Ich liege im Bett und sehe zu wie der Minutenzeiger sich unaufhörlich im Kreis bewegt. Es ist kurz nach zwölf. Mein Gesicht fühlt sich heiß an, in meiner Nase pocht es. Mein Kissen ist ein wenig blutig. Mama hat mir vorhin eine Suppe auf den Tisch gestellt, aber ich mag nichts. Irgendwie würde ich gerne duschen, aber ich habe Angst mich im Spiegel anzusehen. Darum bleibe ich liegen. Kurz denke ich an Julian. War es nur der Alkohol, oder macht er sich wirklich nichts aus mir? Bin ich wirklich das Flittchen für das mich mein Vater hält? Ich drehe mich auf die Seite, meine Schulter tut weh. Dann schließe ich meine Augen.

      Schritte in meinem Zimmer wecken mich. Ich öffne ganz vorsichtig meine Augen, als ich sehe, dass es mein Vater ist, schließe ich sie schnell wieder und stelle mich weiterschlafend. Er legt etwas auf meinen Schreibtisch. Dann kommt er zum Bett und bleibt neben mir stehen.