Und du bist nicht da. Kerstin Teschnigg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kerstin Teschnigg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752929393
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Ich könnte noch ewig mit ihm über den Feldweg cruisen. Ich nehme den Helm ab und steige von der Vespa. Er stellt den Motor ab und nimmt auch seinen Helm ab.

      „Treffen wir uns morgen hier. So um zehn?“

      „Ja. Um zehn“, nicke ich.

      „Machen wir ein Picknick? Ich kann etwas mitbringen?“, schlägt er vor.

      „Klingt gut. Ich packe auch ein paar Sachen ein“, stimme ich zu.

      Er greift nach meiner Hand und sieht mich ein paar Augenblicke an. Jetzt bin ich es, die einen Schritt auf ihn zugeht. Eine Handbreite vor ihm stehend senke ich nervös meinen Blick. Doch er zieht mich schnell dicht an sich, hebt mein Kinn mit seinem Zeigefinger an und nähert sich langsam meinem Gesicht. Jetzt sage ich nichts mehr. Sanft schließen sich seine Lippen um meine. Ich kann nicht atmen. Es ist anders als alles was ich bisher erlebt habe. Kurz habe ich das Gefühl umzufallen. Er legt seine Hände um meine Hüften und ich instinktiv meinen Kopf ein wenig zur Seite. Der Kuss dauert nicht besonders lang, aber es ist unglaublich. Seine Lippen sind weich und feucht, seine Zunge ist heiß. Er schmeckt himmlisch. Ich bin wie elektrisiert als er sich von meinem Mund löst. Benommen sehe ich in seine Augen, die plötzlich anders aussehen. Dunkler. Intensiver. Meine Hände schwitzen ein bisschen.

      „Du musst jetzt gehen, ich will nicht, dass du zu spät kommst“, haucht er und küsst mich noch einmal kurz.

      Ich kann nichts mehr sagen. Nur noch ein kurzes, kehliges „Bis morgen“, schaffe ich. Dann gehe ich los, er fährt. Ich bin froh über den restlichen Fußmarsch, weil ich total durcheinander bin. Vorsichtig greife ich an meine Lippen. Irgendwie muss ich es schaffen nicht komplett durchzudrehen, auch wenn ich mich gerade fühle als würde ich gleich vor Freude aus allen Nähten platzen. Ich bin so zappelig und aufgedreht, dass ich mich kaum selbst bremsen kann. Mama sitzt auf der Bank vor dem Haus und putzt Bohnen. Heute bin ich nicht zu spät, sondern sogar eine Viertelstunde zu früh.

      „Hallo Anna. Hast du noch Hunger?“ Mama sieht mich an, ich habe das Gefühl kaum verbergen zu können, dass ich gerade geküsst wurde.

      Ich schüttle den Kopf. „Nein. Ich mag nichts mehr.“

      „Gut“, lächelt sie.

      Ich gehe auf mein Zimmer und lasse mich auf mein Bett fallen. Langsam schließe ich meine Augen und fahre noch einmal meine Lippen mit dem Zeigefinger nach. Ich blicke auf meine Badetasche und ziehe das Handtuch mit dem er sich abgetrocknet hat heraus. Es ist ein bisschen krank, aber ich muss einfach meine Nase darin versenken. OH MEIN GOTT. Ich sauge den Duft intensiv ein und atme genüsslich wieder aus. Mein Herz klopft. Ich lasse mich zurückfallen, schließe meine Augen und kuschle mich in das Handtuch.

      Kapitel 4

       Anna

      Julian. Das war mein erster Gedanke als ich heute früh meine Augen öffnete, und es hat sich bis jetzt nicht geändert. Es ist schon bald zehn und ich bin mir immer noch nicht sicher ob mein Outfit stimmt. Normalerweise mache ich da nicht so ein Drama, aber heute will ich einfach gut aussehen. Meinen Bikini habe ich schon an, ich schlüpfe in meine kurze weiße Jeansshorts und das pink-weiße Tanktop. Ich überlege noch ob diese Kombi nicht doch zu knapp ist, als ich meinen Vater von unten rufen höre.

      „Anna!“

      Ich zucke kurz zusammen. Was will er denn genau jetzt? Ich muss gleich los, Julian warten zu lassen kommt nicht in Frage. Ich öffne meine Zimmertüre.

      „Ja?“

      „Komm runter, wir fahren in den Ort, dein Fahrrad ist fertig!“, ruft er herauf.

      Ich atme kurz ein. Dafür habe ich jetzt absolut keine Zeit mehr.

      „Jetzt? Ähmmm...Ich kann auch selbst vorbeischauen, wenn ich zum See gehe“, rufe ich hinunter.

      „Komm jetzt runter, wir fahren hin, oder willst du mit mir diskutieren?“ Seine Stimme klingt genervt über meinen Einwand.

      Shit. Wenn ich jetzt mit ihm zum Fahrradgeschäft fahren muss, komme ich mit Sicherheit zu spät zu meiner Verabredung. Ich kann Julian nicht einmal Bescheid sagen, ich weiß gar nicht wie ich ihn erreichen kann. Mist – Mist – Mist. Ich schnappe meine Badetasche und laufe die Stiege hinunter. Mein Vater sieht mich mit einem Blick an, der mir kurz den Atem stocken lässt.

      „Wie schaust du denn aus? Was hast du vor?“, meint er musternd.

      „Nichts…Warum? Ich gehe baden… Wie immer“, stammle ich.

      Er schüttelt den Kopf. „Keine Ahnung wie deine Mutter einverstanden sein kann, dass du dich so anziehst. Kürzer und enger geht nicht mehr?“

      Bevor ich etwas dazu sagen kann, schaut Mama aus der Küche.

      „Geh Heinrich…Es ist Sommer und sie ist ein junges Mädchen. Schau doch wie hübsch sie ist“, meint sie mit weicher Stimme.

      Mein Vater zieht schnaufend die Augenbrauen hoch. „Ich kann dir genau sagen was mit den Mädchen passiert, die so rumlaufen.“

      Ich sage nichts darauf und blicke zu Boden.

      „Gar nichts passiert Heinrich“, verteidigt mich Mama immer noch, aber er lässt nicht locker.

      „Und ich muss diesen Aufzug auch noch finanzieren.“ Er schüttelt abwertend den Kopf. „Los. Fahren wir.“

      „Kann ich das Fahrrad nicht allein abholen? Ich muss sowieso in die Richtung…“

      Er unterbricht mich. Die Tonlage seiner Worte ist jetzt ein bisschen erhoben. „Du fährst jetzt mit mir. Was ist denn heute los mit dir? Und was ist das für ein grauslicher Lippenstift?“

      Ich versuche ruhig zu blieben. Kein Streit. Nur Lipgloss, es ist nur Lipgloss. Wortlos schlüpfe ich in meine Flip-Flops und wische meinen Mund in ein Taschentuch. Mama lächelt und streicht über meine Schulter. Immer noch wortlos folge ich ihm zum Auto und steige ein. Es ist fünf Minuten vor zehn. Ich schaffe es niemals mehr pünktlich mit dem Fahrrad vom Dorf zurück an die Stelle an der wir uns treffen wollen. Er wird denken ich komme nicht. Mein Magen fühlt sich komisch an. Mein Herz auch. Meine Knie sind ein wenig weich.

      „Angurten Anna“, blafft mich mein Vater an.

      Ich lege den Gurt an und versuche mir nichts anmerken zu lassen, auch wenn ich am liebsten schreien würde. Er fährt hoch und verlässt unsere Einfahrtsstraße. Ich schaue vorsichtig auf. Mein Herz klopft. Scheiße. Julian steht bereits an dem Platz wie ausgemacht. Ich bekomme kaum Luft.

      „Was macht denn der da?“, murmelt mein Vater.

      Ich sage nichts, könnte ich gar nicht, mein Puls pumpt unregelmäßig im Hals. Ich senke meinen Blick. Im letzten Moment bevor wir an ihm vorbeifahren, hebe ich meinen Kopf und sehe ihn an. Unsere Blicke treffen sich kurz. „Mach jetzt nichts… Bitte mach nichts…“, flehe ich wortlos in meinen Gedanken. Schnell senke ich meinen Blick wieder. Er steht nur da. Keine Reaktion. Ich riskiere einen Blick in den Seitenspiegel, er sieht uns nach. Ich bekomme kaum Luft.

      „Kennst du den?“, fragt mein Vater und sieht dabei mit verengtem Blick in den Rückspielgel.

      Ich schüttle den Kopf. Meine Hände schwitzen und zittern.

      „Sprichst du heute nicht?“

      „Doch…Sicher…“, murmle ich uns sehe wieder kurz in den Seitenspiegel. Langsam verschwindet er in der Ferne. Scheiße. Keine Ahnung was er jetzt denkt.

      „Solltest du nicht besser mit dem Mathe lernen anfangen, statt jeden Tag am See herumzuhängen? Wir hatten doch eine Abmachung?“

      Ich nicke ohne ihn anzusehen. Eine Abmachung. Mein Zeugnis war sehr gut. Ich bin eine der besten Schülerinnen meiner Klasse. In Mathematik habe ich allerdings das Gut knapp verfehlt. Der Stoff