Die verriegelte Tür hinter dem Paradies. Ein Roman frei nach Heinrich von Kleist. Karis Ziegler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karis Ziegler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742703859
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und -stühle mithilfe blühender Stauden in blau-weiß gemusterten Kübeln zu fast intim wirkenden Laubenplätzen arrangiert. Das Schönste aber war sicherlich die Beleuchtung, die mit Hilfe zwischen die Pflanzen und an die Deckenstreben gehängter Lampions den Raum zwar nicht richtig hell machte, ihn dafür aber in eine wunderbar verwunschene Atmosphäre tauchte; aus dem vorherrschenden Dämmer hob sie Lichtinseln heraus, wo maskierte Gesichter, Teile farbenfroher Kostüme und ein paar blütenbesetzte Zweige sich zu hübschen Tableaus zusammenfanden. Hier unterhielten sich die Gäste in zurückhaltendem Ton miteinander; wo hie und da nur zwei beisammen waren, wurde auch wohl gar nicht geredet sondern bloß still und eng aneinandergeschmiegt dagesessen.

      Fenster und Terrassentüren, deren weiße Sprossen vom Boden bis zur Decke reichten, schlossen den Raum zum Park hin ab. Hier war Johannes stehen geblieben und schaute hinaus in den Park; auch hier draußen, verteilt in den Zweigen der am nächsten stehenden Bäume, hingen Laternen; so hatte man den Lichtzauber des Interieurs noch ins Freie hinein fortzusetzen und den Übergang zur Wirklichkeit der kalten Winternacht sanft abzufedern gewusst. Sein Blick folgte von Lampion zu Lampion, bis er sich an der undurchdringlichen Schwärze im Hintergrund stieß. Er seufzte tief auf und wollte sich losreißen und umwenden, da zuckte er zusammen: keine fünf Schritte von ihm entfernt, ebenfalls vor einem der Fenster mit dem Blick nach draußen, stand die blaue Gestalt, die er vorhin so gesucht hatte.

      Ein Vogelkopf, ein langer weißer, schmal und spitzer Schnabel statt der Menschennase, unbewegt dem Fenster zugewandt, ins Freie starrend. Und ja - oder nein - getäuscht hatte er sich da nicht: dieses Blau gab es nicht, konnte es nicht geben, war völlig ausgeschlossen. Das war ja goldenes Nachtblau! Ein tief dunkles Blau, in dem der Blick hängen blieb wie dort draußen hinter den ferneren Bäumen des Parks; und doch aus Falten und Bauschungen einen warmen samtig-seidigen Glanz sendend - es war wie eine Sommernacht, die alles Licht des Universums oder das Leuchten der Sonne von der anderen Seite der Erde vollständig in sich aufgenommen hatte und nun hier verhalten und geheimnisvoll ausgab. In diesen unwirklichen Farbton war die Gestalt von Kopf bis Fuß gekleidet; ein stoffreiches Cape mit großzügigem Faltenwurf verhüllte den Körper und machte Umfang und Konturen und damit auch das Geschlecht des darunter verborgenen Menschen völlig unkenntlich; das Vogelgesicht war eingefasst von einer ausladenden turbanähnlichen Draperie; und, um dem Ganzen die bizarre Krone aufzusetzen, überragte diese noch eine Art Diadem mit einem Fächer aus prächtigen, zwischen Blau, Grün und Gold changierenden Pfauenfedern, die im leichten Luftzug nickten.

      Unvermittelt wandte sich das eindrucksvolle Wesen um, nahm dabei gleichzeitig die Vogelmaske ab, die es, wie sich jetzt erst zeigte, nur an einem Stiel sich vorgehalten hatte, und brachte darunter ein weiteres Maskenantlitz zu Tage: ein makelloses weißes Oval, das Abstraktum eines Menschengesichts, sah den Jungen an - wie ihm schien, mit nur eben der Andeutung eines unveränderlich auf dem Gesicht eingefrorenen Ausdrucks seltsamster Freundlichkeit - ein fein lächelndes Verziehen der Lippen, eine bestimmte Wangenwölbung... Sicher war es ein bloßes Spiel des schwachen Kerzenlichts, wenn sich dies lächelnde Wohlwollen noch flüchtig zu vertiefen schien, als sich die Gestalt nun vollends umwandte und zügig, aber ohne Eile in Richtung des Ausgangs zur Galerie schritt.

      Als Johannes wenig später in die Küche zurückkam, standen die Kinder ratlos und betreten um eine vollkommen hysterische Frieda herum. Die rieb und wischte unter Schluchzen und unverständlichem Schimpfen mit einem Lappen von zweifelhafter Reinheit in ihrem Gesicht herum, das von rotgeheulten Augen, rotgerubbelten Backen und roter Lippenstiftschmiere, die sich hartnäckig eher verteilte als wegwischen ließ, schlimm verunstaltet war.

      „So eine Gemeinheit!“ und „Ekelhafter, widerlicher Kerl!“ hörte man sie fluchen.

      Nach und nach erfuhren die anderen, was geschehen war: Irgendwann hatte Frieda doch noch unter all den Besuchern ihre Schwester entdeckt in einer größeren Gesellschaft aus maskierten und verkleideten Damen und Herren, zu dieser vorgerückten Stunde in ausgelassenster Laune. Trotzdem war Luise nicht entgangen, dass Frieda unerlaubterweise sich an ihrem Lippenrouge vergriffen hatte, und sie hatte sie entsprechend scharf zurechtgewiesen. Das hatte aber die Aufmerksamkeit der ganzen Tischrunde auf Frieda und ihren ungeschickten Versuch gezogen, sich ebenfalls „fein“ zu machen, und die Arme war umgehend das Ziel von Spottreden und Gelächter geworden. Das war zwar schlimm genug und setzte ihrem Selbstbewusstsein schon gehörig zu. Dann aber stand einer der Freunde von Luises Begleiter auf und nahm sie laut und mit verschusselter Aussprache vermeintlich in Schutz: „Lasstse doch, die Kleine! Sie haddoch recht. Je f...f...früher se zu üben anfängt, um so bälder sitse s...s...selber hier und amüsiert sich, anstatt euch die Sachen beizusch...sch...leppen undsu schuften. Un ich... übrigens, ich will mich dann schoma auf die Liste sch...sch...reiben, hihihi. Gell, meine Hübsche, ich darf der Erste sein?“ Und mit diesen Worten zog er das erschrockene Mädchen an sich, schob ein rotes, verschwitztes, unrasiertes Gesicht dicht vor ihres und drückte ihr einen lauten, scheußlich nach Schnaps, Bier und Bratfett riechenden Kuss mitten auf den Mund. Helles Gelächter erntete die Tat am ganzen Tisch, in das der Kerl selbst am grölendsten einstimmte. Frieda aber rannte heulend, voller Ekel und Entsetzen weg, um sich den abstoßenden Geschmack nach Suff und Ausschweifung aus dem Mund zu spülen und endlich die leidige Schminke, die ihr das alles überhaupt erst eingebrockt hatte, wie besessen abzuwischen.

      Das Mädchen schluchzte immer noch, als die schneemannförmige Einsatzleiterin hereinkam und befahl: „So, Schluss jetzt, alles was unter sechzehn ist, geht heim!“ Von manchen Seiten hörte man Protest, aber sie war unerbittlich. „Nix da, keine Widerrede. Ihr seid lang genug da gewesen, habt eure Sache auch anständig gemacht, aber jetzt ist Feierabend. Wir wollen schließlich nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten.“ Und wenn sie ehrlich waren, kam ihnen das auch nicht ganz so ungelegen. Manche konnten die Augen kaum noch offen halten, bewegten sich mehr wie in Trance, ein Mädchen hatte sich vor lauter müder Unkonzentriertheit sogar übel geschnitten, kurz, man wehrte sich nicht lange, stand an, um seine Arbeitsbescheinigung zu erhalten, gab seine Schürze ab und trat durch den Hintereingang in die wohltuend kalte Nachtluft hinaus. Nur Rudolph fehlte noch, aber Fritz hatte gesehen, dass er inzwischen vorne am Haupteingang einer trinkgeldträchtigen Aufgabe nachging: er besorgte Gästen, die das Fest verlassen wollten, Droschken und Taxen, half ihnen mit ihren Sachen hinein und bekam so einen ordentlichen Zusatzverdienst zusammen. Nur widerstrebend und erst aufgrund der Drohung, dass man ihm später seinen Einsatzschein nicht mehr abzeichnen würde, ließ er sich überzeugen, das lukrative Geschäft aufzugeben und sich den Gefährten anzuschließen.

      „Eins sag’ ich euch“, verkündete er entschieden, als sie durch die im Tiefschlaf liegenden Straßen gingen, „wenn ich groß bin, gehör ich mal zu denen, die hier im feinen Anzug und Zylinderhut Champagner bestellen, im Pelzmantel rauskommen und Trinkgelder verteilen. Das hab ich mir heute Abend fest vorgenommen. Jetzt - gut und schön, brav Diener machen und fleißig zutragen und wegtragen und hoffen, dass der Herr sich großzügig zeigt, von mir aus. Aber das mach ich nicht das ganze Leben lang mit!“

      „Wisst ihr denn schon, was ihr mit dem Geld macht, das ihr heute Abend verdient habt?“ fragte Elsa.

      „Kann eigentlich ein Kind ein Konto haben?“ erkundigte sich Agnes. „Ich würde mein Geld am liebsten auf die Bank bringen, damit der Vater es nicht findet und mir abnimmt.“

      „Warum kaufst du nicht einfach Sachen dafür, dann kann er’s dir schon nicht mehr wegnehmen. Bei mir ist bestimmt nichts mehr übrig für die Bank, wenn ich erst mal einkaufen war! - Vielleicht reicht’s ja für ein Grammophon mit ein paar Platten, das wär’ so klasse! Und Suse wünscht sich so sehr einen Gürtel, den sie im Laden gesehen hat, Otto ein Taschenmesser, Hänschen braucht neue Schuhe, für Mutter und Vater will ich natürlich auch was...“ - „Ja, und für dich selbst? Du hast doch die ganzen Stunden geschafft, willst du für dich denn gar nichts?“ fragte Karl ganz erstaunt. „Klar, für mich find ich sicher auch was, keine Bange!“ grinste Elsa.

      „Also, ich möchte meins am liebsten nicht gleich ausgeben“, meinte Agnes, „man weiß doch nicht, was noch alles passiert...“

      „Aber das Fest! - Das war doch wirklich eine tolle Sache, findet ihr nicht?“ wechselte Elsa das Thema. „So schön war alles hergerichtet; und was für Kostüme die Leute anhatten, ich