Rebecca stand nackt vor dem Spiegel ihres Kleiderschranks. Sie war sich unschlüssig darüber, was sie an ihrem ersten Arbeitstag in der neuen Schule anziehen sollte. Schon jetzt roch die Luft nach Funken und Flirren, als drohe ein nahes Gewitter, das die Schwüle hinwegfegen würde.
Rebecca zog ungeduldig ein Kleid nach dem anderen aus dem Schrank, warf es auf das Bett oder presste es gegen ihren schweißdurchnässten Körper. Dann sah sie ihre sommerlich bunten Blusen schimmern, die mit einer Shorts oder einem Rock bestimmt ganz adrett anmuteten. Das kurze Schwarze, das sie kürzlich in der Disco anhatte, als sie Cedric und Linus erstmals traf, dünstete noch im Wäschekorb vor sich hin.
Nach einigem Hin und Her fiel ihre Wahl auf einen eng geschnittenen, kurzen Rock und eine rote Bluse. Damit würde sie zugleich professionell wirken und sexy aussehen. Eine Kombi, mit der sie schon an ihrer alten Schule bevorzugt provoziert hatte. Durch den Spitzenstring schmiegte sich der weiche Stoff des Rocks hautnah an ihren Po an. Ihre Hände konnten gar nicht so schnell gezügelt werden, wie sie neugierig über den Hintern strichen. Die Bluse lag ebenfalls verboten dicht am Körper an und betonte, was es zu akzentuieren gab.
Rebecca neigte den Kopf leicht schräg und begutachtete das Resultat ihrer Entscheidung im Schlafzimmerspiegel. Immer wieder drehte sie sich nach links und nach rechts, glättete den Stoff des Rocks oder zog sich die Bluse gerade. Noch war das Outfit nicht perfekt, denn ohne die passenden Schuhe, ohne ein dezentes Make-up und ohne den richtigen Schmuck war das Ergebnis nur halb ideal. Es musste vom ersten Tag an den richtigen Eindruck vermitteln. Niemand sollte auf die Idee kommen, sie für bieder oder altbacken zu halten.
Es brauchte noch weitere dreißig Minuten, bevor Rebecca ihren hohen Ansprüchen gerecht wurde und zufrieden mit ihrem Aussehen aus ihrer Wohnung stolzierte. Das Treppenhaus stemmte sich eisern gegen die sommerlich drückende Hitze. Die kalten grauen Wände trotzten der Wärme von außen und jagten kleine Schauder über Rebeccas Rücken. Die Absätze ihrer Pumps schlugen hart auf und ließen den Flur erzittern. Um ihren Arm schwang eine Handtasche. Am ersten Tag bedurfte es nicht vieler Utensilien: Kurslisten, Mitschriften aus der Lehrerkonferenz, ihr Federmäppchen. Mehr musste sie nicht einstecken.
Als sie aus dem Haus hinaustrat, rollte ihr ein Schwall knisternder Energie entgegen. Dass sich bereits um kurz nach halb neun eine so gewitterschwere Atmosphäre über die Stadt legte, war ungewöhnlich und verheißungsvoll. Rebecca sehnte sich nach Abkühlung, denn schon nach wenigen Schritten benetzte Schweiß ihre Stirn. Ihre Wangen glühten wie im Fieberwahn. Nicht nur, weil ihr die Hitze zu Kopf stieg. Sie glimmten vor Aufregung und Neugierde. Was würde sie heute erwarten? Während sie Richtung Schule lief, fantasierte sie, wie sie in der Aula vorgestellt wurde: Wie sie sich erhob. Wie sie angegafft und erste Urteile über sie gefällt wurden. Und dann ihre erste Stunde im Kurs. Sie sah eine gesichtslose Masse an Mädchen vor sich sitzen, dazwischen Cedric und Linus. Wie würden die beiden Jungs reagieren, wenn sie feststellten, dass sie mit ihrer neuen Lehrerin und Tutorin bereits Bekanntschaft geschlossen hatten? Würden sie sich überhaupt an sie erinnern oder hatten sie die Begegnung in der Disco längst aus dem Gedächtnis gestrichen?
Rebecca näherte sich dem Sportgymnasium. Als sie noch bei der Zeitung angestellt war, musste sie öfter daran vorbeifahren. Ihre Joggingstrecke führte sie ebenfalls manchmal an dem weißgrauen, klotzartigen Gebäude vorbei. An der großen Turnhalle, an dem Fußballrasen mit dem üppigen Grün und an der orange schimmernden Tartanbahn. Alles sah akkurat gepflegt aus, wie sie es von einer Schule dieser Ausrichtung erwartete. Des Öfteren hatte sie beim Vorbeilaufen Schüler rennen, springen oder spielen gesehen, ohne zu ahnen, dass sie hier irgendwann arbeiten würde. Heute war es soweit. Sie betrat den Eingang als Lehrerin.
Die Nervosität maximierte sich, als sie die Schule erreichte und einige Schüler zeitgleich mit ihr hineinströmten. Noch nahm kaum jemand Notiz von ihr. Rebecca steuerte wie die Schüler der voluminösen Aula zu. Dort verließen gerade die Fünft- bis Achtklässler den Saal. Gleich würden die Klassen 9 bis 12 eine Einführung ins neue Schuljahr erhalten.
Einige Jugendliche saßen bereits auf ihren Plätzen und plauderten. Scheu blickte sich Rebecca im Raum um, als sie nach vorn Richtung Bühne lief. Jeder Schritt fühlte sich wie der Gang zum Schafott an. Mit jedem weiteren, den sie nach vorn absolvierte, glaubte sie, die Blicke der Schüler im Nacken zu spüren.
In der ersten Reihe saßen ihre neuen Kollegen und starrten Löcher in die Luft. Auf ihren Gesichtern ruhte die Entspannung, während Rebeccas Augen von Nervosität gezeichnet waren. Sie hatte gehofft, dass Robert schon da war. Er hätte ihr die Kraft gegeben, die sie jetzt brauchte, und ihren Puls beruhigt. Doch er war nicht da.
Mayer stand auf der Tribüne und fummelte gemeinsam mit einem Kollegen am Mikrofon herum. Rebecca setzte sich neben eine ältere Kollegin und strich nervös über ihren Rock. Ihre klatschnassen Finger rieben angespannt über den Stoff. Ein Blick auf die Uhr. In zehn Minuten würde die Einführung beginnen. Ihre triefenden Hände verkeilten sich ineinander. Rebecca blickte sich erneut um. Eine Wand an Gesprächen drang in ihr Ohr, immer wieder übertönt durch das Rücken von Stühlen oder das Rascheln von Taschen. Zwischen den vielen unbekannten Gesichtern saßen irgendwo Cedric und Linus. Vielleicht wurde sie gerade von ihnen oder von den Mädchen in ihrem Tutorkurs angeschaut. Lächeln, Rebecca. Sie rang sich Freundlichkeit ab, doch die prickelnde Gespanntheit ihrer Nerven übertünchte schlichtweg ihre gut gemeinten Vorsätze. Die Mundwinkel fielen beinah automatisch nach unten zurück. Daher drehte sich Rebecca weg von der Masse der Fremden und richtete ihren Blick starr auf die Bühne, auf der Mayer seine Zettel sortierte.
»Guten Morgen!« Das erste bekannte Lächeln an diesem Montagmorgen. Robert strahlte sie an. Sichtlich erfreut, sein wohltuendes Gesicht mit dem schiefen Mund zu sehen, grinste Rebecca ihm entgegen. »Ich setze mich neben dich, wenn das okay ist«, sagte Robert und nahm den Platz bereits in Anspruch, noch während der Satz seine Lippen verließ.
»Aufgeregt?«,