IXXI. Doug Mechthild. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Doug Mechthild
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753195421
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haben?“

      “Keine Ahnung. Aber deswegen muss er mich doch nicht so ansehen, als wolle er mir den Kopf abreißen!“

      „Nimm‘s nicht so tragisch. Dass du dich so kleidest, mögen so welche wie der eben nicht. Du kannst es dir ja auch leisten, bei deiner Figur. Und so ein tolles Dekolleté muss man einfach zeigen!“

      „Danke, Süße.“

      „Weißt du, ich habe jemanden kennengelernt ...“

      Martinas Gesicht erhellte sich.

      „Echt? Das wurde aber auch mal Zeit! Wie alt ist er denn?“

      „Dreiunddreißig. Ja, okay, ich weiß ... Ich bin sieben Jahre älter. Aber das ist ja nicht so viel. Und das Alter ist auch nur eine Zahl. Er findet mich toll. Ich habe die schönsten Augen der Welt.“ Gila kicherte albern.

      „Hast du den im Urlaub aufgegabelt?«

      „Nein. Über das Internet.“

      „Na, das klingt ja nett.“

      „Mal sehen. Hey! Willst du nicht mit mir nach Malle?“

      Martina winkte ab. „Solange Andy hier noch wohnt, ist das schlecht. Da reicht das Geld kaum. Er spart doch auf eine eigene Wohnung mit Jana und kann hier nicht viel beisteuern. Der frisst wie ein Scheunendrescher. Aber wenn er nächstes Jahr die Ausbildung beendet ... und ausgezogen ist ... dann komme ich gern mit.“

      „Bis dahin ist es zu spät.“

      „So?“

      „Ja, mein Schatz ... er ist nicht so ein Fan vom Verreisen. Und … er zieht bald zu mir.“ Gilas Gesicht glühte und sie wirkte recht unbehaglich.

      „Was? Jetzt schon?.“

      „Na ja, ich wusste nicht, was du dazu sagen würdest. Ich wollte es eigentlich für mich behalten, bis ...“

      „Bis es zu spät ist?“

      „Bis es konkreter ist. Wer weiß, vielleicht bin ich ja doch bloß ein Flirt für ihn.“

      „Klingt aber nicht so.“

      „Ich glaube auch nicht, dass er nur mit mir spielt.“

      „Hoffentlich klappt das alles.“ Martina beugte sich vor, und tätschelte Gilas rundlichen Arm. Sie war eigentlich sehr hübsch, hatte aber wenig Selbstbewusstsein. Sie sah eben zu viel fern. Wenn eine Frau ein paar Kilos zu viel auf den Rippen hatte, galt sie sofort als fett, hässlich und unvermittelbar. Gila versuchte gar nicht erst, einen Mann zu finden. Aber nun hatte wohl jemand sie gefunden und den eisernen Ring um ihr Herz gesprengt. Martina war froh darüber. Gila kam nur deswegen so oft vorbei, weil sie einsam war.

      „Wie heißt er denn?“

      „Kevin.“

      „Na, dann auf Kevin!“ Martina hob ihr Glas.

      Wie soll das noch enden?

      Drei Monate sind seit den Attentaten vergangen. Ein Jahr, in dem die Betroffenen mit ihren gesundheitlichen Schäden, dem Trauma und dem Verlust Angehöriger umgehen lernen mussten. Detlef B., der in Berlin einen Arm verlor und auf einem Auge blind ist, will von Weihnachten nichts mehr wissen. „Es ist kein Fest mehr“, sagt er. „Die Fanatiker haben uns für immer die Freude genommen.“ Seine Tochter Franziska starb, als Andreas Ganziger seine Bombe zündete. Seine Frau erlitt einen schweren Schock, bekam nach dem Attentat Depressionen und beging vor drei Monaten Selbstmord.

      „Sie konnte nie verkraften, dass sie als Einzige in unserer Familie unverletzt blieb. Und Franziskas Tod natürlich auch nicht“, so Detlef B.

      Susanne P. aus Berlin feiert Weihnachten ganz groß. „Ich werde nicht zulassen, dass diese Schweine auch noch unsere Lebensfreude zerstören.“ Sie gibt sich kämpferisch. Die ganze Wohnung ist dekoriert, über jeder Tür hängt ein Kruzifix. „Früher war ich nicht besonders religiös, aber jetzt bin ich eine sehr gläubige Christin. Ich will ein Zeichen setzen, gehe jeden Sonntag in die Kirche, engagiere mich ehrenamtlich - soweit das möglich ist.“ Dabei sieht sie auf ihr verkürztes linkes Bein. Der Unterschenkel wurde abgerissen, die Milz musste entfernt und ihr Gesicht auf der linken Seite rekonstruiert werden.

      „Das Glasauge fällt kaum auf, zum Glück. Und draußen trage ich immer eine Prothese. Ich lege Wert darauf, dass man mir möglichst wenig ansieht.“ Man sieht es ihr trotzdem an. In ihrem Gesicht gibt es Narben. Auf ihrer Seele noch mehr.

      „Natürlich ist es schwer. Ich habe damals auch mein ungeborenes Kind verloren. Mein Mann war nicht mit dabei. Er fand es immer heuchlerisch, nur Weihnachten in die Kirche zu gehen. Da hatte er wohl recht. Er ... er verließ mich.“ Selbst wenn er jetzt zurückkäme, würde sie ihn nicht wiederhaben wollen. „Ich brauche niemanden mehr“, sagt sie. Aber es klingt verbittert.

      „Meine Eltern waren herzensgute Menschen“, erklärt Rudolf D., „die haben nie jemandem etwas getan. Sie waren mit unseren Nachbarn auf dem Weihnachtsmarkt in Düsseldorf. Ich ging früher nach Hause. Und lebe noch. Sonst sind alle tot. Jeder, den ich kannte, ist tot. Meine ganze Familie. Meine Freundin lag zwei Monate im Koma. Und starb dann auch. Eine Bratwurst, das war alles. Sie wollten nur noch eine einzige Bratwurst essen und dann auch nach Hause gehen. Ich bin nur früher gegangen, weil ich noch das Geschenk für Silvia abholen wollte, das ich bei einem Kollegen gelagert hatte. Jetzt steht das Mountainbike hier herum ... Sie wird nie damit fahren.“

      Rudolf D. weiß nicht mehr, wofür er noch leben soll.

      „Zurzeit habe ich Kontakt mit einem anderen Überlebenden. Markus ist vierzehn und hat ebenfalls seine Eltern verloren. Er kommt damit überhaupt nicht klar. Er stand nur ein paar Hundert Meter weiter für eine Portion Pommes an, als es knallte. Er ist jetzt ganz allein auf der Welt. So wie ich. Aber in seinem Alter ist das natürlich sehr viel schwieriger. Ich helfe ihm da durch, so gut ich kann. Aber sonst weiß ich auch nicht, wofür ich noch da bin. Wenn Markus älter ist und mich nicht mehr braucht ...“

      Die Schäden in den Kirchen sind so gut wie repariert, genauso wie an den Gebäuden, die durch den Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Mitleidenschaft gezogen wurden. Auch das Emere Center wurde renoviert. Die Moschee steht jedoch leer. Die Menschen leiden weiter.

      Andreas Ganziger, Jan Ludreit, Lars Mölter, Achmed G., Yussuf Ö, Ibrahim H., Markus Müller, Lukas Völker und Johannes Schmidt sind zu trauriger Berühmtheit gelangt. Zum Schrecken der Überlebenden und ihrer Angehörigen gibt es im Internet Seiten, die die Attentäter als leuchtende Beispiele und Märtyrer verehren. Es ist schwierig, den Inhabern dieser Seiten auf die Spur zu kommen. „Die Server stehen im Ausland. Da haben wir kaum eine Chance“, erklärt der Sprecher des BKA. Den Angehörigen bleibt nichts anderes übrig, als den Computer auszumachen.

      „Man wird so wütend. Da stehen Kommentare wie ‚die widerlichen Ungläubigen schmoren jetzt in der Hölle! Gott lebt!‘"

      Margot S. verlor ihren Sohn und ihre Schwiegertochter, als Lars Mölter seine Bombe zündete.

      "Mit welchem Recht meinen diese Extremisten uns auf so feige Weise ihren Glauben aufzwingen zu können? Gegenkommentare werden einfach gelöscht. Die sind an unserer Meinung gar nicht interessiert. Da kommen höchstens übelste Beleidigungen und Verhöhnungen von uns, unseren Werten, unserer Religion und unserer Lebensweise. Und dann löscht der Admin unsere Kommentare, lässt aber die dieser Hetzer stehen."

      Auf meine Frage wird sie noch wütender. "Natürlich sind das Hetzer! Sie hacken auf uns herum und setzen uns herab! Haben Sie mal die Kommentare gelesen?"

      Die Herabwürdigung und Verhöhnung der Opfer auf beiden Seiten ist tatsächlich besorgniserregend. Allerdings sind es nur vereinzelte Fanatiker, die Deutschland so etwas angetan haben.

      "Das ist doch Quatsch“, schnaubt Kerstin Ludreit, die Schwester eines der Attentäter und nunmehr leider Verschwörungstheoretikerin. „Finden Sie es nicht merkwürdig, dass es in Deutschland auf einmal so brodelt? Dass in dem Center einem