„Ja, na sicher war es das. Das ist aber schon ein paar hundert Jahre her! Mir scheint, das Christentum hat sich größtenteils von der Barbarei entfernt und zu Toleranz und Aufgeklärtheit hin entwickelt, aber jetzt gehen wir einem neuen Mittelalter entgegen.“ Martina wischte mit Zellstofftüchern die Schweinerei auf, stach sich mit einer gemeinen kleinen Scherbe in den Daumen, und warf alles in den Müll.
„Ich habe mal gegoogelt. Es gibt sogar ehemalige Mitglieder dieser Sekte, die davor warnen, dass sich unsere Gesellschaft so verändert, dass hier bald dieser Gott herrschen wird. Und dann dürfen wir gar nichts mehr.“, erwiderte Steffi und wusch die Tomatensoße von den Tischbeinen.
„Das wird auch so kommen, leider. Leute wie Andy gibt es immer mehr. Vor allem junge Leute. Ich wusste allerdings nicht, wie eng Andy das alles sieht. Wir werden wohl auswandern müssen. Aber wohin?“
„Ich weiß nicht. Ich will hier nicht weg“, erklärte Steffi.
„Ich auch nicht. Aber viele Möglichkeiten sehe ich hier nicht mehr für uns. Tu mir einen Gefallen: So schwer es dir auch fällt, mach Abitur und studiere. Du bekommst hier keinen Fuß mehr an die Erde, wenn du keine sehr gute Ausbildung hast. Studiere Betriebswirtschaft oder so. Oder mach eine Ausbildung in einer Bank. Banken wissen immer, wie sie an Geld kommen. Wenn ich sehe, wie unsere Hausbank ausgestattet ist ... überall Marmor. Und wir haben das bezahlt. Oder geh in die Politik! Dann bist du abgesichert, verdienst viel Geld und bekommst später eine dicke Pension. Und das alles nur für Unsinn reden. Viel reden, ohne etwas zu sagen, das könnt ihr Teenager doch gut!“ Martina wrang ein Wischtuch aus, und zog es über ihren Schrubber. Steffi kicherte.
„Ich weiß nicht … Andy sagte, diese Warriors wären weltweit aktiv. Wir können also auch hierbleiben. Vielleicht … vielleicht werde ich Architektin.“
„Auch eine gute Wahl. So, hier ist noch etwas … und da sind auch noch rote Spritzer.“ Steffi sammelte auf, was Andy sonst noch in der Küche verteilt hatte.
„Die Margarine ist undicht«, verkündete sie, „da ist ein Riss in der Packung.“
“Na toll. Ob der denkt, das kostet alles nichts? Ist das etwa keine Verschwendung, das alles wegzuwerfen? Große Sprünge kann ich mit meinem Gehalt auch nicht machen“, schimpfte Martina.
„Mama, ob ich das Abi schaffe, ist aber so eine Frage. Ich übe und übe, aber ich schaffe Englisch einfach nicht. Ich kann mir da nix von merken irgendwie.“
„Ich weiß“, seufzte Martina, „wir müssen dir jemanden für Nachhilfestunden besorgen. Wenn das nur nicht alles so teuer wäre ... und in Chemie bist du auch nicht besonders gut.“
„Andy hat mal gesagt, Murats Bruder wäre richtig gut in Chemie. Der Achmed. Ob der uns helfen würde?“
„Wieso nicht? Murat ist doch ein guter Freund von Andy. Wir rufen den gleich mal an.“
„Ja, gut. Vielleicht kann der es mir so erklären, dass ich das kapiere. Der Kursbauer kann es nämlich nicht.“
Ja, dachte Martina, Lothar Kursbauer ist kein großer Erklärer. Das hatte Daniel ihr auch schon erzählt.
„Wo wollen wir denn Freitag essen gehen? Ich habe da zwar Karate, aber ich kann das ja auch mal ausfallen lassen“, sagte Steffi und spülte den Eimer aus. Rosa Wasser ergoss sich in die Spüle.
„Oh ... ach ja, Freitag ... Hm, wir bestellen heute was, okay? Ich habe keine Lust mehr, Freitag auszugehen. Du musst dein Karate also nicht ausfallen lassen.“
„Ach so“, murmelte Steffi enttäuscht.
„Wir gehen demnächst schick essen, nur wir zwei“, tröstete Martina.
„Das klappt doch eh nicht“, murrte Steffi. Martina nickte schuldbewusst.
„Du hast ja recht. Ich werde mir die Zeit irgendwie nehmen, okay?“ Vielleicht konnte sie ja auch demnächst hier etwas kochen und Steffi dabei behutsam verklickern, dass Daniel mehr als nur ihr Religionslehrer war. Dass er auch ihr Papa war und mit ihnen leben würde, sobald seine Frau ihrer Krankheit erlag.
Martina fühlte sich wegen solcher Gedanken schon lange nicht mehr schuldig. Immerhin verzichtet sie nun schon seit Jahren größtenteils auf Daniel, damit seine Frau nicht alleine war. Nur Daniel kam sich vor wie ein Schuft.
„Betrug ist es trotzdem, egal wie wir es drehen und wenden“, sagte er oft und sah dabei traurig und beschämt aus.
Nun ja, ein Religionslehrer musste wohl so ein Moralapostel sein. Aber deswegen liebe ich ihn wahrscheinlich so, dachte sie, jeder andere hätte seine sterbenskranke Frau wohl in ein Pflegeheim gegeben und sich etwas Neues gesucht. Ich lade ihn am besten einfach mal ein. Steffi, er und ich essen zusammen. Und Freitagabend werden Daniel und ich uns wie immer ins Schlafzimmer zurückziehen. Steffi macht dann ihr Karatetraining. Und Andy ist sowieso nicht da, der geht freitags in seinen Tempel.
Und es ist mir auch egal, was er dazu sagt.
Aus dem Badenburger Tageblatt: Dreizehnter Mord gibt Rätsel auf
Die Badenburgerin Doris Kupfers ist das dreizehnte Opfer in einer mysteriösen Serie von Tötungsdelikten. In den letzten vier Jahren gab es immer wieder Vorkommnisse dieser Art in ganz Deutschland. Die Opfer werden geköpft im Wald aufgefunden.
In die Brust jedes der Opfer wurde ein Kreuz eingebrannt. Die Polizei steht vor einem Rätsel.
„Wir ermitteln in alle Richtungen, können aber noch keine Auskunft über Einzelheiten geben“, erklärt Kommissar Walters auf Nachfrage der Redaktion. Der verzweifelte Ehemann Christian Kupfers erhebt schwere Vorwürfe.
„Die Polizei tut gar nichts! Niemand redet mit uns! Die Ermittlungen gehen nur merkwürdig zäh voran.“
Die Polizei sucht nach Zeugen. Sachdienliche Hinweise werden unter folgender Telefonnummer entgegengenommen: ...
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