Jana sah Martina verzweifelt an.
„Das wird nichts nützen. Du hättest ihn sehen müssen. Das ... das ist nicht mehr der Andy, den ich kenne.“
„Scheinbar ist er nicht mehr der Andy, den wir alle mal kannten“, sagte Gila. Martina und Jana tauschten einen unbehaglichen Blick.
Sophias Geschöpf
„Bedroom ... bathroom ... attic ... hall ...“ Steffi zog die Stirn kraus. Schon wieder hatte sie „bathroom“ und „bedroom“ verwechselt. Blöde Sprache! Sie zuckte heftig zusammen, als sie ein Geräusch an der Tür hörte. Ein Kratzen und Schaben. Dann öffnete sich ihre Zimmertür, und Andy kam rein, ohne zu klopfen. Er hatte etwas in der Hand. Eine Rolle aus dickem Papier. Noch ehe Steffi erkannte, dass es ihr „One Direction“ Poster war, das außen an der Tür hing, war Andy schon zu ihrem Bett gegangen, hinaufgeklettert und nun zerrte er entschlossen ihr Poster mit dem Robbenbaby von der Wand!
„Hey! Was machst du denn da!“ Entsetzt sprang Steffi ebenfalls auf ihr Bett, und packte ihn am Arm. Aber Andy achtet nicht auf sie. Er riss beide Poster in Fetzen und machte mit den kleineren Bildern von Pia Lindemann und Zayn Malik weiter.
„Andy! Was soll denn das! Hör auf! Hey!“ Mit beiden Händen versuchte Steffi, ihn am Zerreißen ihrer Fotos zu hindern. Andy hatte sich ihrer Pinnwand zugewandt und verwandelte die Urlaubsbilder von Luke, ihrer ersten Liebe aus Wales, zu Konfetti. Gegen Andy hatte die zarte Steffi keine Chance. Er machte einfach weiter, ohne auf ihren Protest zu achten. Er hörte nicht mal auf, als er seiner Schwester versehentlich auf den Fuß trat. Selbst ihr erschrockenes “Aua“ störte ihn nicht.
Steffi sprang zurück auf den Boden und sank schluchzend auf den mit Krümeln übersäten Teppich. Klagend strich sie über die zerstörten Poster und Fotos.
Sie ließen sich nicht ersetzen. Denn Luke hatte sie seit Jahren nicht mehr gesehen und der Kontakt war abgebrochen.
„Hey, meine Kleine, weine nicht“, sagte Andy mit weicher Stimme und setzte sich neben sie. „Ich kann dir das erklären. Ich habe es nur zu deinem Besten gemacht.“
„Hä? So ein Quatsch!«, rief Steffi. „Was soll das denn!“
„Du darfst dir nicht Bilder von irgendwelchen Jungs ansehen. Du wirst dich verlieben und an unmoralische Dinge denken. Das macht dich anfällig für Gleichaltrige, die sowieso nur das Eine von dir wollen.“, erklärte Andy und riss die Poster sorgfältig in kleine Stücke. „Und so entstehen Babys.“
„Ach, so ein Scheiß!“, rief Steffi. Andys mitleidiges Gesicht verfinsterte sich und er schlug seiner kleinen Schwester über den Mund. Nicht sehr fest, aber spürbar.
Steffi stieß einen entsetzten Schrei aus und wich zurück.
„Ich kann es nicht dulden, dass du so über Gottes Gesetze redest“, erklärte Andy ruhig. »Die sind Gottes größtes Geschenk an die Menschheit, und wir müssen seine Worte befolgen, um diesen Planeten zu retten. Ich könnte es nicht ertragen, dass du zur Hölle fährst. Du kannst dich noch retten.“
„Hölle ... hä ... was ...?“
„Ich war auch erst so verwirrt.« Andy lachte. »Hör zu, Kleines. Ich weiß ja, dass du dich nur schwer auf etwas konzentrieren kannst. Also erzähle ich dir das
Wichtigste. ‚Guidelines for a new World‘ ist eine sehr schöne Sicht der Dinge. Wusstest du, dass Tierquälerei darin verboten ist?“
Steffi schaute ihren Bruder verdutzt an. „Echt? Das ist ja cool!“
„Ja. Es steht darin geschrieben, dass Tierquäler von Gott verflucht sind. Du siehst also, dass diese Ansicht gut ist. Der Katholizismus, der Tieren keine Seele zugesteht und zum Thema Tierquälerei gar nichts sagt, könnte sich da mal eine Scheibe von abschneiden, oder? Du weißt, wie schlimm es beispielsweise in Spanien ist. Deswegen machen wir doch nie Urlaub da. Weil du das nicht willst.“ Andy legte Steffi behutsam den Arm um die Schultern. Sie wehrte sich nicht.
„Schon ... das ist toll, ... aber ... Also, ich finde, ich muss mich nicht vor den Männern verstecken.“
Andys Gesicht verhärtete sich unmerklich, aber seine Stimme blieb liebevoll.
„Das schützt dich und bewahrt dir deine Würde. Im Buch steht, dass eine Frau sich vorsehen soll, nicht die Aufmerksamkeit eines Mannes zu erwecken.“
„Ich will mich auch nicht verstecken. Wieso soll ich auch? Die Männer könnten ja weggucken, wenn ich die so antörne.“
Andy presste kurz die Lippen zusammen.
„Nun, fangen wir erst einmal klein an, okay? Keine Bilder von Jungs mehr, kein Fleisch und keine tiefen Ausschnitte, keine kurzen Röcke.“
„Äh, ich mag kein Fleisch. Schon vergessen? Ich esse keine Tiere. Aber konvertieren will ich nicht, davon habe ich nichts gesagt.“ Ihr Blick fiel auf ein weiteres Häufchen Papier, und sie brach wieder in Tränen aus.
„Du hast ja auch unsere Bilder aus Dänemark zerrissen!“
„Keine Fotos mehr mit Jungs darauf!«
„Da ist doch nur Strand drauf!“
„Da sind ein paar männliche Gestalten im Hintergrund, siehst du?“
„Aber ...«
„Nein, Steffi. Wenn du irgendetwas aufhängst, auf dem Männer abgebildet sind, werde ich es kaputtmachen. Fertig, Punkt. Verstanden?“
„Du hast gar kein Recht ...“
„Ich bin dein großer Bruder. Ich trage Verantwortung für dich.“
„Und Mama?“
„Ha!“ Andy schnaubte verächtlich, „die hat von Verantwortung ja noch nie etwas gehört!“
„Es ist mir egal, ob du mein großer Bruder bist, ich kann machen, was ich will!«, rief Steffi.
„Ja, genau das ist es, was in diesem Land falsch läuft!“, brüllte Andy. Steffi zuckte zusammen.
„Jeder denkt, er könne machen, was er will! Es ist aber nicht so! Gott hat uns sehr genau gesagt, was wir machen dürfen und was nicht! Und ich werde nicht zusehen, wie du Gottes Willen mit Füßen trittst, hörst du? Glaubst du denn, ich würde dich eines Tages in der Hölle schmoren sehen wollen?“
„Hölle ...? Das ist doch alles Quatsch! Himmel! Hölle! So etwas gibt es nicht!“, schrie Steffi zurück.
Andy zog sie heftig in seine Arme und hielt sie fest, obwohl sie sich wehrte.
„Nein, Steffi, nicht doch, nein ... schhh ... beruhige dich. Du bist verwirrt ... niemand hat sich um deine geistigen Bedürfnisse gekümmert ... es ist nur natürlich, dass das alles für dich neu ist ... klar, dass du Angst hast ... das ist zu viel auf einmal ...“
Steffis Widerstand erlahmte. In den Überresten ihrer Bilder kniend, weinte sie in den Armen ihres völlig veränderten Bruders. Sie verstand überhaupt nichts mehr.
„Deine Religion ist doch voll rückständig! So will ich nicht leben“, jammerte sie.
Andreas streichelte beruhigend ihren Kopf.
„Das ist nicht rückständig, im Gegenteil. Du hast Verpflichtungen in deinem Leben. Denen du gerecht werden musst. Dein Leben wurde dir nicht als endlose Party geschenkt.“
„Was soll das denn heißen?“, schniefte Steffi.
„Gott hat uns gesagt, dass wir diesen Planeten nicht erhalten haben, um ihn zu vernichten. Und wir wurden nicht darauf platziert, um unserem eigenen Willen zu gehorchen. Wir sind spirituell nur Kinder und brauchen Anleitung. Sieh doch, was Ma… Menschen tun. Sie fressen, vermehren sich und zerstören