IXXI. Doug Mechthild. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Doug Mechthild
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753195421
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Martinas Flaschen mit Cognac, Whisky, Likören, dem teuren Sherry ... und alle mit Bier.

      Auf dem Boden lagen in einem Faltkorb leere Flaschen. Viele leere Flaschen.

      „Bist du jetzt völlig bekloppt?“, schrie Martina außer

      sich und ließ ihre Taschen fallen. Etwas klirrte. Langsam drehte Andy sich um. Vorne auf seinem Shirt stand: The Prince is Coming. Seine verächtliche Miene war düster, angeekelt.

      „Zieh dir gefälligst was an!“, brüllte er zurück. Martina zuckte zusammen. Noch nie hatte Andy sie angeschrien.

      „Was redest du da!? Ich habe doch was an! Meinst du etwa, ich renne nackt zum Einkaufen?“

      „Nackt! Ja, nackt, allerdings!“ Er warf die Flasche Blue Curaçao so heftig ins Spülbecken, dass sie zerbrach, und kam drohend auf seine Mutter zu. Die wich in eine Ecke zurück und starrte ihren Sohn mit hervorquellenden Augen an.

      „Du rennst da draußen `rum wie eine Nutte! Hast du keinen Respekt vor dir? Oder mir? Was sollen die Leute denn denken!“ Seine Hand schoss vor. Es klatschte.

      Martina fühlte ihren Kopf mit einem Ruck nach hinten schnellen und den scharfen Schmerz in der Wange.

      Ihr Sohn hatte sie tatsächlich geschlagen.

      „Andy! Hey! Bist du verrückt geworden! Mama! Alles okay?“ Steffi wirbelte zur Tür herein und stürzte sich auf ihren Bruder. Der wehrte sie zärtlich und ohne Mühe ab.

      „Lass das“, sagte er ruhig, „Pack die Taschen aus. Und du“, er wandte sich Martina zu, „du ziehst dir jetzt etwas an. Der Rock ist viel zu kurz. Und ich will nie wieder ein so tief ausgeschnittenes, enges Top an dir sehen, verstanden?“

      „Wie redest du denn mit mir? Du bist mein Sohn! Nicht mein Mann! Und nicht mal mein Mann hätte das Recht, mir zu sagen, was ich anziehen soll!“

      „Dein Mann«, spottete Andy, »du hast keinen Mann! Und so wirst du auch nie einen anständigen Kerl finden! Meinen Papa hast du aus dem Haus gegrault und zwei Kinder ohne Vater aufwachsen lassen!“

      „Das ist nur eine Seite der Geschichte, und zwar die deines Vaters“, erklärte Martina ruhig, obwohl ihr Herz raste. „Die Wahrheit ist, dass er spielsüchtig war und uns fast ruiniert hätte. Ich habe dir das nie gesagt, weil du an ihm hängst, und ... weil man das Kindern ganz einfach nicht erzählt. Aber jetzt bist du alt genug.“

      „Du hast ihn damals doch rausgeworfen!“

      „Er hatte Geld gestohlen, um es zu verzocken. Auch das, was ich für dich zurücklegen wollte. Ja, er hat dein Geld gestohlen, Andy. Er wusste, dass es auf dein Sparbuch sollte. Das hat Tante Angela kurz nach deiner Geburt für dich angelegt, und ich habe immer so viel darauf eingezahlt, wie ich abknapsen konnte. Fünf Jahre hatte ich eingezahlt, da nahm dein Vater es sich, ging zur Bank und hob alles ab. Drei Tage später kam er wieder. Dein Geld aber nicht. Das war futsch. Ich habe seitdem wieder etwas eingezahlt, aber dass du dir deine eigene Wohnung noch nicht leisten konntest, - die, die du mit Jana beziehen wolltest, – das hast du deinem Vater zu verdanken.“

      Andys Gesicht verzerrte sich. „Das lügst du, weil du Papa in Misskredit bringen willst!“

      „Nein, das tue ich nicht. Wenn du es nicht glauben willst, dann eben nicht. Aber das ist die reine Wahrheit.“

      Andy stieß die Luft aus den Lungen und sah auf einmal sehr traurig aus.

      „Es ist eine Schande. Meine Familie besteht nur aus Ungläubigen, Huren und Lügnern. Und Verschwendern. Wastern.“ Er sah kurz zu Steffi herüber. Die Angst vor ihm stand ihr quer über das Gesicht geschrieben. Das machte ihn wütend.

      „Ich habe dir doch gesagt, pack die Taschen aus!“

      „Schrei sie gefälligst nicht an! Mach es doch selber!«, rief Martina. Andy verengte die Augen.

      „Gut, wie du willst!“ Er packte die Einkaufstaschen, drehte sie um und schüttelte ihren Inhalt heraus. Steffi und Martina sprangen zurück, als Gläser mit Spaghettisoße unter lautem Klirren auf die Fliesen fielen und zerbrachen. Tomatensoße spritzte an die Schränke und die Beine des Küchentischs. Tuben, Milchtüten, abgepackte Wurst und Käseaufschnitt flogen durch die Gegend, Tampons, Brot, Margarine, eine Packung Hackfleisch, alles fiel in den Tomatenbrei auf dem Boden.

      „Andreas! Sag mal, bist du noch normal?“, brüllte Martina und wischte sich Tomatensoße von den Beinen. Andy ging auf sie zu, warf ihr die Tüte ins Gesicht und verließ die Küche. Er zog Tomatenspuren hinter sich her.

      „Wieder typisch, eine Plastiktüte, gemischtes Hackfleisch und Fleischwurst. Auf mich nimmt niemand Rücksicht! Macht das sauber, Waster“, befahl er und ging die Treppe herauf.

      Martina und Steffi sahen sich schockiert an.

      „Der ist völlig verrückt geworden. Er denkt, er wäre jetzt der Ressourcenmanager im Haus“, flüsterte Steffi. „Das hat er zu mir gesagt. Ein wahrhaft Gläubiger. Und dass wir ihm gehorchen sollen.“

      Martina sank kraftlos auf einen Küchenstuhl. Sie hatte es immer vermieden, ihren Kindern mit Religion zu kommen. Ihre eigenen Eltern waren sehr konservativ gewesen und hatten sie gedrängt, Hans damals zu heiraten. Das ist ein Solider, ein guter Ernährer“, hatten sie gesagt und es nur widerwillig hingenommen, dass Martina erst ihre Ausbildung als Einzelhandelskauffrau machte. Dann wollte ihre Mutter auch noch unbedingt eine kirchliche Heirat. Die Aufbruchstimmung der Sechziger und Siebzigerjahre war an ihr völlig spurlos vorbeigegangen.

      Martinas Mutter hatte erst zu nörgeln aufgehört, als Martina ordentlich verheiratet und Andy auf dem Weg gewesen war. Martina konnte sich noch gut an das Kreuz im Wohnzimmer erinnern. Und an die goldbedruckte Bibel auf dem Kaminsims, die lieblosen und strengen Regeln, die ständige Überwachung, die Gebete vor den Mahlzeiten und ihre langweiligen und hochgeschlossenen Klamotten im Kleiderschrank. Und immer war alles Sünde, Sünde, Sünde.

      So, hatte sie schon als Teenager beschlossen, sollten ihre Kinder nicht groß werden. Deswegen hatte sie darauf geachtet, dass weder Andreas noch Stefanie mit Religion in Berührung kamen. In der Schule gab es zwar Religionsunterricht, aber Martina hatte ihren beiden immer gesagt: „Solange ihr niemandem etwas Schlechtes antut, macht ihr alles richtig. Behandelt andere so, wie ihr selbst behandelt werden wollt. Mehr Gebote braucht ihr nicht.“

      Auch die Beziehung mit Daniel hatte daran nichts geändert. Der kannte die Geschichte mit ihren Eltern und sagte am Anfang noch: „Martina, Religion muss nicht freudlos und streng sein. Jesus hat von Liebe und Toleranz gepredigt, nicht von Misstrauen und Zwang. Er war quasi der erste Hippie. Was die Menschen draus gemacht haben, ist wieder eine ganz andere Geschichte.“ Das mochte sein, aber Martina wollte dennoch nichts mehr von ihm oder seiner Kirche wissen.

      Nun rächte sich das. Was Andreas nicht in seinem Elternhaus bekommen hatte, hatte er woanders gesucht.

      Aber was hatte er da bloß gefunden.

      „Komm, wir wischen das auf. Aber vorsichtig, da liegen überall Glasscherben. Die Spaghetti heute Abend können wir wohl vergessen. Weißt du was? Wir zwei gehen Freitag essen. Soll unser Ressourcenmanager eben sehen, wo er seine koscheren Mahlzeiten herkriegt!“

      „Mama, koscher ist doch das bei den Juden. Bei ihm heißt das jetzt ‚ressourcenschonend‘“, belehrte Steffi ihre Mutter und holte ein paar Schwammtücher aus dem Spülunterschrank.

      „Ist mir egal, wie das heißt. Woher weißt du das überhaupt? Fängst du jetzt auch damit an?“, fragte Martina missmutig.

      „Wenn es nach ihm ginge, schon. Aber ich will damit nichts zu tun haben. Ich soll keine Kinder bekommen, nur noch Second Hand Kleidung tragen und Wasser trinken. Und Hunde und Katzen belasten die Umwelt und dürfen nicht mehr gezüchtet werden.“ Steffi befüllte einen Plastikeimer mit warmem Wasser und Allzweckreiniger. Martina stand kopfschüttelnd auf, und nahm ihn ihrer Tochter ab.

      „Also soll zum Beispiel Pedro, Anjas lieber Hund, am besten eingeschläfert werden? Wie kommt man nur auf so was?“