„Ich habe die Schlampe abserviert. Hat mich sowieso nur ausgenutzt, die ganze Zeit. Sie war nur auf mein Geld scharf. Wissen Sie, sie war die Art Frau, die ständig neue Klamotten brauchte, Schuhe, Schmuck, Kosmetik, was weiß ich!“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Es stimmte schon eine ganze Zeit nicht mehr zwischen uns. Sie brauchte ständig Aufmerksamkeit. Und ich habe nicht viel Zeit. Die Firma erfordert ständig meine Anwesenheit. Man könnte also sagen, unsere Interessen gingen weit auseinander.“
„Aber sie hatte auch ihr eigenes Geld verdient?“
„Sie hat im Fitnesscenter gearbeitet, hinter der Theke“, sagte er abfällig. „Wenn Sie das als Arbeit bezeichnen wollen! Wenn sie mich fragen, da war sie nur, um Männer abzuschleppen.“ Enna fragte sich, ob er wirklich nichts vom Lebenswandel seiner Frau gewusst hatte, oder ob ihm der einfach egal gewesen ist. Oder ob er ihm vielleicht doch nicht so ganz egal war und er das jetzt nicht zugeben wollte. Aber sie wollte ihn nicht mit Fragen in diese Richtung verärgern. Jetzt nicht. Noch nicht.
„Ihre Frau ist dann ausgezogen und wohnte seither bei ihrem Vater?“
„Richtig.“
„Gab es nach ihrem Auszug noch Probleme zwischen Ihnen?“
„Sie meinen, ob wir weiter gestritten haben? Ja klar! Jedes Mal, wenn wir uns begegnet sind. Sie hat mir gedroht, mich mit Hilfe ihrer Anwälte auszupressen wie eine Zitrone!“
„Hatte Sie denn die finanziellen Mittel, um das durchzusetzen?“, fragte Enna. Sie war überrascht, wie offen er mit den Fakten seiner Ehe umging und überlegte, ob ihn das eher verdächtig oder unverdächtig machte.
„Sie nicht, aber Daddy wird’s schon richten!“ Jens Schnieders blickte sie vielsagend lächelnd an.
„Entschuldigen Sie, aber ich muss das fragen“, sagte Enna dann und machte eine kurze Pause. „Wann haben Sie ihre Frau zuletzt lebend gesehen?“ Maike betrat in diesem Moment das Wohnzimmer und war überrascht und entsetzt über die Frage.
„Schon gut,“ sagte Jens Schnieders. Eine Armbewegung sollte Maike zeigen, dass sie sich nicht weiter aufzuregen brauchte. „Wir haben Susanna zuletzt auf dem Schlachtfest am Freitag gesehen, stimmt’s Schatz?“ Maike ging zu ihm hinüber und er legte wieder den Arm um sie.
„Das stimmt, wir sind ihr dort begegnet. Und es war wieder mal keine freudige Begegnung. Sie hatte einfach Probleme uns zusammen zu sehen, glaube ich.“ Maike schien sich wieder gefasst zu haben und wirkte nun eine Spur selbstsicherer. Jens nickte zustimmend.
„Hatte sie selbst gerade keinen festen Partner?“, fragte Enna.
„Nee, zu der Zeit lief da gerade mal nichts“, offenbarte Jens. „Das machte meine Beziehung zu Maike natürlich noch unerträglicher für sie.“ Enna wandte sich an Maike.
„Und wann sind Sie mit Herrn Schnieders zusammengekommen?“ Maike blickte ihren Freund unsicher an.
„Ungefähr ... also kurz nachdem Jens und Susanna sich getrennt haben.“
„Und das hat sie einfach so akzeptiert?“
„Sie hat mir natürlich eine Riesenszene gemacht und mir vorgeworfen, ich hätte sie hintergangen. Dabei war es im Grunde schon lange aus zwischen ihr und Jens. Das war doch keine richtige Ehe mehr!“ Enna war der Meinung, dass die eher ruhige Maike mit dem Mordopfer nicht viel gemeinsam gehabt haben konnte und fragte sich, wieso zwei so unterschiedliche Frauen befreundet gewesen waren.
„Wir haben nur noch nebeneinanderher gelebt“, pflichtete Jens seiner Freundin bei. Ennas Eindruck war, dass Maike und Jens sich wirklich gut zu verstehen schienen und in vielen Dingen einer Meinung waren. Für ihren Geschmack war das fast ein wenig zu viel Übereinstimmung. Und sie turtelten wie Frischverliebte, er konnte kaum die Finger von ihr lassen.
„Sie sind sich am Freitag auf dem Schlachtfest begegnet und haben gestritten. Worum ging es da genau?“, fragte Enna vorsichtig. Die beiden sahen sich an und zuckten mit den Schultern.
„Sie hatte wieder mit ihren Anwälten gedroht und mich dann auch noch als Schlampe bezeichnet“, antwortete Maike. „Wir sind dann einfach weitergegangen. Wollten uns nicht den Abend verderben lassen.“
„Und Sie haben sich das einfach so gefallen lassen?“, fragte Enna.
„So was hat sie ständig gesagt. Das haben wir gar nicht mehr ernst genommen.“ Maike schaute selbstzufrieden zu ihrem Partner hinüber.
„Sie war die Verliererin in der ganzen Sache. Das hat ihrem Ego einen ganz schönen Knacks versetzt“, meinte Jens. „Sie hat versucht uns das Leben schwer zu machen, wo sie nur konnte. Aber das ist ihr nicht gelungen. Und falls das Ihre nächste Frage ist: Nein, wir haben sie nicht umgebracht. Wir haben ihr so etwas ganz bestimmt nicht gewünscht, auch wenn wir nicht besonders traurig sind, dass sie nun tot ist.“
„Gut“, sagte Enna nur und blickte von einem zum anderen. Damit wollte sie es fürs erste belassen. „Wir möchten nicht länger stören. Nur eine Frage noch. Sind Sie sicher, dass Sie Frau Schnieders-Kösters nach diesem Freitag nicht noch einmal gesehen, evtl. am Samstag?“
„Nein. Samstag waren wir auch auf dem Schlachtfest“, berichtete Maike. „Aber da sind wir ihr nicht begegnet. Und auch sonst nirgendwo, also ich jedenfalls nicht.“ Sie blickte Jens an.
„Nein. Ich habe sie auch am Freitag zuletzt gesehen. Bei unserem Streit, danach nicht mehr. Da bin ich absolut sicher.“
„Wann haben sie beide das Schlachtfest am Freitag verlassen?“, wollte Enna noch wissen.
„Ich glaube wir waren um sechs zuhause“, meinte Jens. „Wir waren noch Spiegeleier essen bei Kalle. Kalle Meinert, ein Freund von uns. Um fünf ungefähr sind wir vom Schlachtfest aufgebrochen.“
Enna warf Kötter-Stroth einen Blick zu, der bedeuten sollte, dass sie nun gehen wollte. Er verstand und kippte hastig den Rest seines Kaffees hinunter. Jens brachte sie zur Haustür.
„Warten Sie!“, rief Maike plötzlich. Dann zögerte sie. „Sagen Sie, wie ist Susanna gestorben? Wie wurde sie ermordet?“ Enna blickte ihr ins Gesicht. Susannas Tod schien sie nicht völlig kalt zu lassen.
„Das wissen wir noch nicht genau. Es sieht im Moment so aus, als wäre sie erwürgt worden.“
„Guter Gott!“, rief Maike entsetzt. Enna war sich nicht sicher, ob ihr Entsetzen gespielt war. Sie fand außerdem, dass diese Frage ein wenig spät kam.
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Sie hatte noch darüber nachgedacht, ob es nicht besser wäre, die Tierschützer morgen, zusammen mit dem Oberkommissar ihrer Abteilung, zu befragen. Vier Augen sehen mehr als zwei, und vier Ohren hören mehr als zwei. Es war immer besser, jemanden für eine zweite Meinung dabei zu haben. Auch wenn Enna sich in erster Linie auf sich selbst verließ, sie war nicht so naiv zu glauben, dass eine einzelne Person alles richtig beurteilen konnte. Jede individuelle Sichtweise konnte fehlerhaft sein. Und manchmal schnappte man als Zuhörer mehr auf, als wenn man selbst der Fragensteller war. Sie hatte in Münster Kollegen gehabt, die sie um ihre Intuition und ihr Bauchgefühl beneidet und bewundert hatte, denn das war etwas, an dem es ihr selbst mangelte. Enna war eher ein Mensch, der sich auf Fakten verließ und Gefühl und Intuition wenig über den Weg traute. Im Allgemeinen war sie außerdem sehr von sich und ihrer Meinung überzeugt. Im Laufe ihrer Karriere bei der Polizei hatte sie jedoch mehr als einmal schmerzlich erfahren müssen, dass die Wahrheit oft komplizierter war, als sie sich auf den ersten Blick präsentierte. Es hatte Fälle gegeben, bei denen sie völlig falsch lag, in ihrer Einschätzung von Täter oder Tathergang. Sie hatte daraufhin die falschen Verdächtigen verhaftet, gegen den Rat der Kollegen. In einem Fall hätte der Mörder beinahe einen weiteren Mord verübt, weil er auf Grund ihres Irrtums die Gelegenheit dazu hatte. Inzwischen hatte sie gelernt, die Ansichten und Meinungen der Kollegen bei der Wahrheitsfindung zu nutzen und anderen Meinungen zu vertrauen.
Letztendlich hatte sie sich dennoch dazu entschlossen,