Schlachtfest. Mia Wachendorf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mia Wachendorf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753198545
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gewählt worden.“ Marco Theding sprach ruhig und mit fester Stimme. Er schien seinem aufgewühlten jüngeren Mitstreiter in allem überlegen. Tom Borgmeier wirkte neben der strahlenden Erscheinung des Marco Theding wie zweite Wahl.

      „Hach! Gewählt? Weiß doch hier jeder, dass du dir die Position erschlafen hast!“ Tom lachte hämisch. Marco Theding machte einen Schritt auf seinen Widersacher zu.

      „Leute, Leute!“, ging Enna dazwischen. So kam sie hier nicht weiter. „Sie beide würde ich in der nächsten Woche gerne auf dem Revier sehen!“

      „Ach würden Sie? Da muss ich erst mal in meinem Terminkalender nachsehen“, Tom schien sich in seine Wut hinein zu steigern. Enna hatte keine Ahnung, was ihn so aufregte.

      „Das war keine Bitte, sondern eine Aufforderung, der Sie Folge zu leisten haben“, teilte sie im unmissverständlich mit.

      „Natürlich kommen wir“, sagte Marco Theding schnell und sah Tom an. Dieser gab einen Grunzlaut von sich, erwiderte aber nichts.

      „Mein Kollege hier hat es nicht so mit der Polizei, nehmen Sie das bitte nicht übel!“, sagte Marco.

      „Wer hat das schon!“, legte Tom patzig nach.

      Enna sah keinen Sinn darin, diesem jugendlichen Kräftemessen weiter beizuwohnen. Offensichtlich hatte tatsächlich niemand etwas gesehen. Die beiden Streithähne würde sie sich noch einmal vorknöpfen. Enna nahm sich vor, die beiden getrennt zu den Hintergründen ihres Streits zu befragen. Heute wollte sie nur noch nach Hause, zurück auf ihr Sofa, umgeben von ihrem Chaos aus Kisten und Kartons. Nachdem ihre Kopfschmerzen sich gelegt hatten, und alles was sie heute tun konnte erledigt war, überfiel sie ein übermächtiges Ruhebedürfnis. Die Auseinandersetzung mit den jungen Leuten hatte sie den letzten Rest ihrer spärlich vorhandenen Energie gekostet. Sie war vorzeitig und ohne Vorwarnung in ihren neuen Job gestoßen worden, ihr erster Fall gleich ein Mordfall. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Aber wenigstens wurde es nicht langweilig.

      „Wir benötigen auch noch die Namen aller Personen, die hier gestern und vorgestern Nacht gezeltet haben“, bat sie Marco Theding. Er war auf jeden Fall der Zugänglichere der beiden.

      „Das haben wir alle, alle die heute hier sind. Die meisten von uns studieren und in den Semesterferien sind wir fast immer komplett hier im Camp versammelt. Zumindest die, die wirklich bei der Sache sind.“

      „Was studieren Sie?“

      „Wirtschaftswissenschaften in Münster.“ Tom Borgmeier tauchte wieder neben ihm auf.

      „Das studiert er offiziell“, warf er dazwischen. „Und das glauben seine stinkreichen piekfeinen Eltern auch. Über Wirtschaften weiß Papas Liebling tatsächlich auch eine ganze Menge, und noch so einiges mehr, was man nicht an der Uni studieren kann“, stänkerte er weiter. Marco Theding hatte nun anscheinend genug davon. Er packte ihn plötzlich am Kragen und zog ihn zu sich heran, Angesicht zu Angesicht. „Da reden wir später drüber“, zischte er ihn an. Dann ließ er ihn los. Tom stolperte zur Seite, machte eine wegwerfende Handbewegung und ging wortlos davon.

      #

      Tom hatte sich in seinem Zelt entnervt auf die Isomatte fallen lassen und beobachtete durch die halb geöffnete Zelttür, wie sich die Gruppe langsam zerstreute, nachdem die Beamten das Camp verlassen hatten. Es ärgerte ihn, dass Marco schon wieder Aufmerksamkeit bekommen hatte, die ihm nicht zustand. Immer wieder musste er sich in den Vordergrund spielen. Die Aufmerksamkeit der attraktiven Polizistin hätte er gerne selbst gehabt. Warum sah niemand, was für ein Blender und Opportunist Marco war?

      Sie waren gerade dabei gewesen, die Sache mit der toten Frau zu besprechen, als die Ordnungshüter eintrafen. Er hatte sofort gesehen, dass es Susanna war, die Tochter seines Ziehvaters Heinz. Zu Susanna hatte er kein Verhältnis. Sie hatten nie viel miteinander zu tun gehabt. Seit er und Marco vom Fundort auf der Emswiese zurück waren, hatten sie unter vier Augen darüber diskutiert. Diesmal würde er sich nicht von Marco ausbooten lassen, das hatte er sich geschworen. Er würde aufpassen, wie ein Luchs. Diesmal war Marco zu weit gegangen. Noch durchschaute er die Sache nicht völlig, aber er würde dahinterkommen, was da gelaufen ist. Marco verhielt sich mehr als verdächtig. Diesmal hatte er die besseren Karten, und die würden Marco definitiv schlecht aussehen lassen.

      „Hey!“ Marco blickte durch den schmalen Spalt. „Alles klar bei dir?“

      „Klar ist alles klar!“ Doch sein Ärger war immer noch nicht verraucht.

      „Darf ich reinkommen?“ Marco lächelte ihn an. Tom blickte den zehn Jahre älteren Tierschützer nachdenklich an.

      „Gut. Komm rein!“ Marco kroch in das kleine graue Kuppelzelt und machte es sich auf dem Boden bequem. Er hatte Mühe, seine langen Beine unterzubringen. Schließlich setzte er sich Tom gegenüber in den Schneidersitz.

      „Ich war’s nicht!“, begann Marco.

      „Ja, ich bestimmt nicht!“ Tom lag auf dem Rücken und starrte auf die Zeltkuppel über ihm. Er hatte nicht die Absicht, sich wieder von ihm bequatschen zu lassen.

      „Dann ist doch alles klar, Alter! Ihr habt der Ollen die Klamotten geklaut, das ist vielleicht nicht erlaubt, aber auch kein Verbrechen!“ Marco saß entspannt lächelnd vor ihm. Könnte er so entspannt sein, wenn er Susanna auf dem Gewissen hätte, fragte Tom sich. Aber Marco hatte ein Pokerface, damit hatte er ihn schon oft getäuscht. Alles war immer so easy für ihn. Und fast immer hatte er Erfolg mit seiner lässigen Art.

      „Richtig. Das haben wir gemacht“, gab Tom zu. „War nicht korrekt, aber mehr ist nicht passiert. Aber was hast du gemacht?“

      „Alter, ich habe die Frau gesucht, weil ich ihr helfen wollte, glaub mir endlich!“, flehte Marco. „Man konnte sie doch nicht nackt im Wald herumlaufen lassen! Hätte sie dich angezeigt, wäre das eine Katastrophe für unser Image gewesen. Da hätten wir einpacken können! Nur weil ihr so eine Scheiße macht!“ Er gestikulierte wild mit den Armen.

      „Und deswegen hast du sie kurz mal um die Ecke gebracht! Um alles zu vertuschen.“

      „Du spinnst doch! Was traust du mir eigentlich zu? Alter, ich habe das auch für dich gemacht, um deinen verdammten Arsch zu retten!“ Seine Stimme wurde mit jedem Satz schriller.

      „Was gemacht?“ Tom wurde hellhörig. Er wartete nur darauf, dass Marco sich verplapperte. „Was genau hast du mit ihr gemacht?“

      „Ich habe sie nicht angerührt. Sie lag einfach so da, mitten auf dem Waldweg, mit der Kopfwunde. Hat aber kaum geblutet. Sie war sturzbesoffen! Dachte ich.“

      „Kopfwunde?“ Tom pfiff durch die Zähne. „Du lügst! Die Kommissarin sagte, sie wäre erwürgt worden. Und wie kommt sie dann wohl vom Waldweg runter an die Ems?“

      „Mein Gott! Es war dunkel und ich habe sie natürlich nicht komplett auf irgendwelche Blessuren untersucht! Jetzt mach keinen Aufstand! Uns kann keiner was. In ein paar Wochen ist das Camp hier aufgelöst und keiner denkt mehr an uns.“ Marco verlor langsam die Beherrschung. „Aber ich habe sie nicht angerührt, damit das klar ist!“

      „Ich glaub dir kein Wort.“

      „Mann! Ich war selbst total schockiert, als ich sie da hab‘ liegen sehen. Was sollte ich denn machen? Hätte ich die Polizei gerufen, hätte man mich doch sofort verdächtigt! Allein mit ihr, mitten im Wald, angetrunken nach einem Fest! Die reimen sich doch sofort was zusammen. Da habe ich keinen Bock drauf. Wir sind für andere, wichtigere Dinge hier.“

      Tom lauschte auf jedes Wort, darauf hoffend, dass er sich irgendwie verriet. Ein Mord lässt niemanden kalt, auch nicht den coolen Marco. Da konnte ihm schnell ein Fehler unterlaufen.

      „Ach, glaub doch was du willst!“ Marco resignierte.

      Jetzt drehte Tom sich auf die Seite und blickte ihm direkt ins Gesicht. Er hatte ihn da, wo er ihn haben wollte. Und er genoss es. Er war nun völlig ruhig.

      „Was soll ich denn glauben? Du steigst mitten in der Nacht angetrunken einer nackten Frau hinterher und zwei