Die erste Legende von Ashamur. Eileen Schlüter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eileen Schlüter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753191638
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Jungen hatten vorigen Sommer begonnen, täglich einen Aufguss aus Wolfsnessel aufzubrühen und diesen zu trinken, auch wenn dieser Sud grauenhaft und bitter schmeckte und noch dazu ein unangenehmes Kratzen im Hals und Heiserkeit verursachte. Doch dieses Übel nahmen sie in Kauf, versprach der Konsum dieses Tees doch einen kräftigen Muskelaufbau sowie besonders lang anhaltende Manneskraft. Und auch ein üppiger Bartwuchs war nach regelmäßiger Einnahme zu erwarten. Doch im Gegensatz zu Jard, der für seine siebzehn Jahre schon breite Schultern und einen ansehnlichen Körperbau aufwies, war Kel meilenweit entfernt von derartigen Ergebnissen. Auch war er in den vergangenen drei Jahren nicht mehr sonderlich gewachsen, sodass Jard ihn mittlerweile um mehr als einen Kopf überragte. Kürzlich hatte Kel die Dosis erhöht, doch bis auf Halsschmerzen und eine kratzige Stimme, hatte sich an seinem schmalen Körperbau nichts geändert. Kel seufzte.

      „Irgendwann muss das Zeug doch auch bei dir wirken!“, versuchte Jard ihn aufzuheitern. Zumindest hatte er Kel schon mehrmals hoch und heilig versichert, dass die ersten Anzeichen von Stimmbruch schon deutlich zu erkennen waren, wenn auch nur sporadisch.

      „Wart´s ab, Kel, spätestens im Spätsommer wirst du den Mädchen auch endlich auffallen!“ Er grinste breit, wobei er seinem Vater sehr ähnelte, der die gleichen Grübchen auf den Wangen aufwies und ebenso warme braune Augen hatte. Kel zog eine Grimasse.

      Mögen die Allmächtigen mich davor bewahren.

      ***

      Jard und sein Ziehbruder, Kel verließen das weite Stoppelfeld, das als Übungsplatz diente und sie traten ihren gewohnten Heimweg an. Bis zur Residenz seiner Familie, war es ein zwanzig minütiger Fußmarsch. Sein Vater war indes den Rückweg zu Pferde angetreten.

      An den Wegrändern wucherte in üppigen Büscheln das Wolfsnesselkraut. Kel bückte sich und pflückte die besten Stängel mit den schmalen pfeilförmigen Blättern. Jard hockte sich neben seinen Freund, dabei fiel ihm auf, wie winzig dessen Füße eigentlich waren. Derart kleine Stiefel hatte Jard zuletzt getragen, als er ungefähr zwölf gewesen war. Diese seltsame Entwicklungsverzögerung seines Freundes rührte anscheinend noch immer von den leidvollen Jahren her, die er hungernd auf der Straße verbracht hatte. Er begann ebenfalls noch etwas von dem Kraut für Kels Vorrat zu pflücken, dabei musste er höllisch aufpassen, da die Stacheln, die sich an den Stängeln befanden, sich schmerzhaft in seine Fingerspitzen bohrten, als er in der falschen Richtung an ihnen entlangfuhr.

      „Soll ich dir eine Neuigkeit erzählen?“ Jard ließ seine Stimme absichtlich geheimnisvoll klingen. Kel wandte seinen Kopf zu Jard und blickte ihn voller Neugier an.

      „Ist es das, was ich glaube?“, fragte Kel, seine Augen schienen vor Aufregung regelrecht zu glühen.

      Jard versuchte sein freudiges Grinsen zu verbergen, indem er seine Lippen zusammenpresste.

      „Nun sag schon!“, drängte Kel.

      Jard strich sich mit einer gemächlichen Handbewegung sein leicht gewelltes, dunkelbraunes Haar zurück, so als müsse er erst darüber nachdenken.

      „Wir dürfen endlich nach Eriu gehen. Vater hat entschieden, dass wir beide so weit sind. Du und ich, wir werden bald Schüler des großen Tempels des Westens sein. All die Zeit, die wir zusammen auf diesem verfluchten Stoppelfeld trainiert haben, ist also nicht umsonst gewesen, denn nun hast du die Aussicht, eines Tages ein bedeutender Kämpfer zu werden und ich ein erfolgreicher Magieheiler... oder wer weiß... vielleicht entpuppen sich meine Fähigkeiten als so außergewöhnlich, dass ich sogar selbst ein Großmeister des Tempels werde.“ Wieder grinste Jard, diesmal so breit, dass seine geraden weißen Zähne aufblitzten. Kels Gesicht begann zu strahlen.

      Jard blickte Kel in die Augen. Diese schönen, dämonisch- grauen Augen. Verblüfft von diesem eigenartigen Gedanken, wich er einen Schritt von ihm zurück und drückte Kel das Kraut in die Hände.

      „Lass es uns besiegeln!“, sagte er und zog unvermittelt seinen Dolch.

      „Besiegeln?“ Kel blickte perplex auf die scharfe Klinge des Dolches.

      Ohne zu Zögern öffnete Jard seine Hand und schnitt einmal quer durch seine Handfläche. Der sogleich einsetzende, stechende Schmerz entfachte eine seltsame Euphorie. „Los, gib mir deine Hand!“, rief er und griff nach Kels freier Hand. Ein paar Blätter fielen dabei zu Boden. Kel zog erschrocken seine Hand zurück, doch Jard ließ sie nicht los.

      „Dieser Blutschwur wird uns zusammenschweißen wie echte Brüder, Kel. Eine solche Verbindung kann nicht einmal der Tod auflösen. Wir werden gemeinsam lernen und kämpfen und wenn nötig auch für den anderen sterben. Du bist mir in den vergangenen Jahren immer wie ein Bruder gewesen, deswegen will ich dir mit meinem Blut ein Stück meiner Stärke schenken!“

      Kel riss die Augen auf. „N...nein, Jard, tu das nicht... ich... kann das nicht tun...!“, stotterte Kel, seine Stimme klang ganz heiser.

      Jard bedachte Kel mit einem verständnislosen Blick. „Warum stellst du dich so an? Seit Jahrhunderten ist es Tradition im Reich der vier Himmel, dass Männer Bluteide leisten. Was ist nur los mit dir? Erzähl mir nicht, du kannst kein Blut sehen!“

      Jard hatte den Eindruck, Kel starrte geradezu panisch auf die feine hellrote Linie in seiner Handfläche.

      „Nein. Das ist es nicht. Ich... ich kann nur nicht. Einen Bluteid leisten, meine ich...“, sagte Kel in abwehrender Haltung.

      „Kannst du nicht oder willst du nicht?“ Jard setzte eine gekränkte Miene auf.

      „Ich kann es einfach nicht...“

      „Oder liegt es daran, dass wir aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Rängen stammen? Komm schon, Kel. Bruder. Du weißt, dass mir... und meiner Familie das egal ist. Du gehörst zu uns.“ Er zog Kels Hand wieder fester zu sich, denn er war sich sicher, dass Kel keinen triftigen Grund hatte, seinen Großmut zu verschmähen. Die Ehre, die Kel in diesem Moment zuteil wurde, konnte dieser unmöglich ablehnen. Er musste doch wissen, welche Kränkung eine solche Ablehnung bedeutete. Jard versuchte in Kels Augen den wahren Grund für seinen Widerwillen zu finden. Er sah seinen Freund schwer schlucken. Dann entkrampfte Kel endlich seine Hand. Sie zitterte.

      ***

      Die kühle Klinge fühlte sich an wie Feuer, als sie durch seine Handfläche glitt. Kel sog geräuschvoll die Luft durch seine zusammengepressten Zähne. Als Jard fertig war, drückte er seine blutige Hand in seine. Eine Wärme schoss durch Kels Arm und strömte durch seinen gesamten Körper.

      „Hiermit schwöre ich - Jarden Amatris Sohn des Vardan- dir, Kel, Sohn des...“ Jard hielt inne, „...erinnerst du dich an den Namen deines Vaters?“

      Kel nickte. „Avias. Er kämpfte vor neun Jahren als Söldner in der Schlacht von Ivadyn. Dort starb er.“

      Jard hielt noch einen Moment inne, so als gönne er Kel noch einen stillen Moment des Gedenkens.

      Dann setzte er fort: „Kel, Sohn des Avias, dem tapferen Krieger von Ivadyn, in diesem Leben bedingungslos und mit unerschütterlicher Treue und unerschöpflicher Kraft zur Seite zu stehen. Von diesem Tag an sind wir Brüder für die Ewigkeit!“, flüsterte Jard mit funkelnden Augen.

      Kel schluckte schwer. Seine Kehle war trocken.

      „Hiermit schwöre ich, Kel, S...Sohn des Avias dir, Jarden Amatris, Sohn des Varden in diesem Leben bedingungslos und mit unerschütterlicher Treue und unerschöpflicher Kraft zur Seite zu stehen. Von nun an sind wir Brüder“, wiederholte Kel und unterdrückte das Zittern in seiner Stimme. Es war eine Lüge. Er log während eines geheiligten Rituals. Wenn ihn dafür nicht die ewige Verdammnis erwartete.

      Kapitel 2

      Kel schloss die Tür zu seiner behaglichen Kammer im ersten Stock der herrschaftlichen Residenz, die in der Nähe des belebten Stadtzentrums von Aracon lag. Er warf das Bündel Wolfsnesselkraut auf das Kirschholztischchen in der Ecke. Natürlich