Die erste Legende von Ashamur. Eileen Schlüter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eileen Schlüter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753191638
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Wehmütig blickte Kel in seine leere Handfläche. Die Silbermünze war verloren.

      Den kurzen Augenblick der Unachtsamkeit hatte der Wachmann genutzt, um sich an Kel heranzuschleichen. Brüllend stürzte er sich mit seinem ganzen Gewicht auf ihn. „Hab ich dich endlich, Bürschchen!“

      „Was geht hier vor, Wachmann Aidan?“

      Es war die Stimme des Stadtverwalters, die Kel sogleich erkannte, obwohl er fast vollständig unter dem massigen Körper des Wachmannes begraben lag.

      Der Wachmann rappelte sich auf und zerrte Kel unsanft auf die Füße. „Präfekt Vardan...“, stammelte er, während er Kels Handgelenke hinter dessen Rücken zusammenquetschte, sodass er schmerzvoll aufschrie.

      „Ich habe der Stadt soeben einen großen Dienst erwiesen, ehrenwerter Präfekt. Diese kleine Ratte hier ist ein niederträchtiger Dieb und außerdem ein Magieträger, der seine Gabe auf höchst kriminelle Weise eingesetzt hat...doch dank meiner Wenigkeit, wird er seine gerechte Strafe bekommen und im Kerker schmoren!“

      Mit einer erhabenen Geste bedeutete der Präfekt dem Wächter zu schweigen. Er kam näher, hob Kels Kinn an und sah ihm direkt in die Augen. Mit gerunzelter Stirn wandte er sich an den Wachmann.

      „Werter Aidan, dieses Kind soll ein Krimineller sein?“

      „Der Bursche hat einen großen Silber-Kuzyn bei sich gehabt. Ein eindeutiger Beweis, dass es sich hier um einen Dieb handelt...“ Er quetschte Kels Handgelenke noch fester mit seinen kräftigen Händen.

      „Das Geld hab ich von ihm bekommen. Bitte, Präfekt... sagt es ihm!“ flehte Kel den Stadtverwalter an.

      „Er sagt die Wahrheit. Das Geld bekam er von mir. Lasst den Jungen los!“

      Verwunderung breitete sich auf Aidans Gesicht aus. „A...aber...aber... was ist mit den drei Burschen, die er verletzt hat, seht sie Euch an!“ Er deutete auf die drei angeschlagenen Angreifer.

      „Ich habe keinerlei unerlaubte Magie gesehen. In meinen Augen hat der Junge sich nur sehr geschickt und noch dazu ziemlich stilvoll verteidigt. Für sein Alter scheint er großes kämpferisches Talent zu haben. Derartige Anlagen sollte man unbedingt fördern. Mit einer guten Ausbildung könnte er eines Tages als Kämpfer im königlichen Heer erfolgreich sein.“ Der Präfekt musterte Kel mit mildem Gesichtsausdruck.

      Vor Empörung fielen dem Wachmann beinahe die Augen aus dem Kopf.

      „Er hat einen Peitschensturm heraufbeschworen, der die Jungen verwunden sollte ...seht doch in ihre Gesichter, Präfekt...“

      „Ein Peitschensturm?“ Der Präfekt bedachte den Wächter mit einem ungläubigen Blick. „Welche Art von Magie soll so etwas bewirken? Nicht einmal die großen Meister der Tempel beherrschen derartige Fähigkeiten!“ Vardan kratzte sich an der Schläfe, bevor er anfügte: „Es gibt allerdings Gerüchte, dass vor dreihundert Jahren Großmeister Utheon vom Tempel des Südens versuchte, den Wind zu beschwören. Allerdings nicht allzu erfolgreich.“

      „Na...vielleicht...ist der Bengel...äh... Utheons Reinkarnation...“, stotterte der Wachmann.

      „Nun hört aber auf mit solchem Unsinn, werter Aidan. Lasst den armen Jungen gehen, er hat nichts verbrochen, wofür man ihn in den Kerker werfen müsste. Ich werde schon dafür sorgen, dass dieser kampflustige Knirps eine angemessene Strafe für seine Vergehen erhält.“ Kel atmete erleichtert auf, als er Vardans freundliches Augenzwinkern bemerkte.

      „Aber ehrenwerter Präfekt...“

      „Nun schweigt endlich!“

      Sogleich ließ Aidan von Kel ab, der sich rasch die schmerzenden Handgelenke rieb.

      „Zeig mal her, Junge.“ Vardan begutachtete die bläulich verfärbten Hautstellen.

      „Zuhause habe ich eine exzellente Kräutersalbe dagegen. Mein Sohn, Jard, übt sich schon seit er acht Jahre alt ist in der Kräuterkunde. Er will mal ein Magieheiler werden und im Westtempel die Heilkunst studieren, weißt du. Jard ist nicht viel älter als du, du wirst ihn mögen. Willst du mich begleiten?“

      Kapitel 1

       Reich der vier Himmel, Westreich

       Hauptstadt Aracon

       - Drei Jahre später-

      Das durchdringende Klirren der Schwerter begleitete die Frühjahrssonne bei ihrem Untergang und begrüßte die Dämmerung und den blassen Mond, der im Osten aufstieg. Die zunehmende Anstrengung machte sich durch heiseres Stöhnen der beiden jungen Kämpfer bei jedem Schwerthieb bemerkbar.

      Blitzschnell schwang Jard sein Schwert und stürmte auf Kel zu, der jedoch unmittelbar reagierte und den

      Hieb erfolgreich abwehrte. Kel überraschte die Wucht des Schwerthiebes seines Gegners, der ihm für gewöhnlich bei den allabendlichen Übungskämpfen unterlag. Er sprang zur Seite und holte zum Gegenangriff aus, aber Jard konterte geschickt. In temporeicher Abfolge folgten mehrere Schlagabtausche. Kel war außer Puste. Sein Leib schmerzte und seine Gedärme verkrampften sich bei jeder Bewegung. Jard verstand es blendend, diese Schwäche und seine eigene körperliche Überlegenheit auszunutzen. Er holte aus und traf Kel mit seinem Übungsschwert an der Schulter. Kel ächzte.

      „Genug für heute!“, beendete Vardan das Gefecht, der wie jeden Abend, seit Kel vor drei Jahren zu der Familie des Präfekten kam, am Rand des Kampfplatzes stand und Anweisungen gab.

      Die beiden jungen Männer verbeugten sich nach dem geltenden Codex mit einer entsprechenden Geste der Ehrerbietung. Erleichtert löste Kel seinen mit Bronze beschlagenen, ledernen Brustharnisch und schnappte nach Luft.

      „Was ist nur los mit dir, Junge? Beinahe hätte Jard dich erledigt, dabei will er doch Heiler werden und kein Krieger“, erkundigte sich Vardan stirnrunzelnd.

      Die Worte des Präfekten klangen freundlich, was die vielen Lachfältchen um seine Augen noch unterstrichen. Und doch meinte Kel, eine gewisse Sorge in seinem Unterton zu erkennen.

      „Es ist nichts, Meister Vardan, ich bin nur... nur ein wenig unkonzentriert heute!“, erwiderte Kel und verbannte den wahren Grund für seine schlechte körperliche Verfassung in den hintersten Winkel seines Verstandes. Allmählich ließen die Krämpfe in seinem Leib nach. Warum hatte ihn dieser schreckliche Fluch bloß getroffen?

      „Lass dir heute ein ordentliches Stück Fleisch geben, damit du endlich was auf die Knochen kriegst. Du weißt, es mangelt dir nicht an Geschick und Kampfgeist, es ist lediglich die Kraft, die dir noch fehlt“, sagte Vardan, und klopfte Kel aufmunternd auf den Rücken.

      Kel brachte ein gequältes Lächeln zu Stande.

      Jard, der in den vergangen drei Jahren für Kel wie ein Bruder geworden war, näherte sich mit strahlender Miene.

      „Deine Abwehr war heute wirklich übel, scheint so, als hätte ich dir einen ordentlichen Hieb verpasst. Zum Glück sind es nur Übungsschwerter.“ Er legte ihm freundschaftlich den Arm um die Schultern. Kel zuckte kaum merklich zusammen, doch Jard schien es trotzdem aufzufallen.

      „Ist deine Schulter in Ordnung? Soll ich mal nachschauen? Du weißt doch, ich habe heilende Hände.“ Er machte sich sofort daran, Kel aus dem Brustpanzer zu schälen, um die Verletzung zu inspizieren. Doch Kel machte erschrocken einen Satz zur Seite. „NEIN...!“, rief er und schüttelte Jards Hände ab. „...Äh... ich meine... nein, ich hab nichts.“ Hastig rückte Kel die ledernen Platten seines Rüstzeugs wieder zurecht und verschränkte die Arme vor der Brust.

      „Lass uns einfach gehen“, forderte er Jard auf, während er sein Schwert in die Scheide steckte.

      Jard nickte und packte ebenfalls seine Sachen zusammen. „Wolltest du nicht noch Wolfsnesselkraut sammeln?“, erinnerte ihn Jard. „Wenn wir uns beeilen, finden wir noch welches, bevor es stockdunkel ist.“