Unendlich. Katie Sola. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katie Sola
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754180525
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ihr Kind.

      „Ich danke dir trotzdem, Julia. Du bist so eine tolle, junge Frau.“ Wieder schluchzte sie und sank zurück in ihren Stuhl. Markus strich ihr wieder beruhigend über den Rücken und nickte leicht in Julias und Arianes Richtung. Ein stummes Versprechen.

      „Ich komme mit euch mit“, sagte ich leise und folgte den beiden Mädchen, meinen eigenen Becher fest umklammert. Die Wärme, die der Becher ausstrahlte, wollte nicht bis zu meinen tauben und kalten Fingern gelangen.

      Weder Julia noch Ariane erwiderten etwas. Stumm folgte ich ihnen, während sie sich an den Händen hielten und sich stützten. Ich war allein. Und das trieb mir wieder die Tränen in die Augen. Sie hatten immerhin sich gegenseitig. Ich hatte niemanden. Mein Jemand war im OP-Saal und kämpfte um sein Leben. Ich konnte nur hoffen, dass ich es nicht komplett vermasselt hatte. Wieder spürte ich das Brennen in meinen Augen. Aber bisher hatte ich es geschafft, nicht zu weinen und das wollte ich auch weiterhin nicht. Ich wollte nicht und ich würde auch nicht. Ich wollte wieder zurück in den Zustand kommen, in dem ich vorher war. Abgeschottet von allem. Ich hatte mich damit abgefunden, die Emotionslose zu sein. So war es einfacher. Das konnte ich gut.

      „Weißt du, er hat mir so etwas Komisches gesagt, bevor er gefahren ist“, sagte Ariane leise zu Julia. Sie schienen mich beide einfach vergessen zu haben. Was war mit der Ariane passiert, die mich so gern hatte? Die sich gefreut hatte, mich zu sehen? Wann hatte sich das geändert?

      „Was denn?“

      „Ich hatte schon ein komisches Gefühl, als er gefahren ist, aber ich habe mir nichts dabei gedacht. Es ist immer alles gut gegangen, aber dieses Mal ist es tatsächlich passiert. Er ist so gut, ich hätte nie geglaubt, dass so etwas jemals passieren könnte.“ Arianes Stimme wurde immer leiser. Sie atmete tief durch, als wir nach draußen an die frische Luft traten. „Er meinte, dass er keine Angst vor dem hätte, was noch kommt.“

      „Du meinst, dass er damit…?“

      „Er hat es mir gesagt. Er hat keine Angst vor dem Tod oder was auch immer nach dem Leben kommt. Es sei der natürliche Kreislauf des Lebens. Daran wäre nichts Schlimmes. Und ich brauche mir keine Sorgen zu machen. Ich werde für immer seine kleine Schwester sein und er wird mich immer lieben, egal, was auch passieren wird.“ Ihre Stimme brach ab.

      „Vielleicht ist das, was nach dem Leben kommt, auch einfach so schön, dass deshalb nie jemand zurückkommt. Oder wir tun es immer wieder, nur durchlaufen wir einen Prozess des Vergessens, wodurch wir immer wieder von vorne anfangen. Wir wissen es nicht. Und wir werden es erst wissen, wenn es so weit ist.“

      Julia und Ariane stoppten und drehten sich zu mir um. Auf ihren Gesichtern lagen große Fragezeichen.

      „Das hat er einmal zu mir gesagt“, flüsterte ich leise. „Und ich würde es ihm gerne glauben.“

      „Es gibt uns Hoffnung“, stimmte Ariane leise zu. Eine Träne rollte ihr über die Wange.

      Ja, das tat es.

      Kapitel 8 – Februar 2019

      „Guten Abend, Jo.“

      „Es ist Mittag“, bemerkte ich trocken. Ohne aufzuschauen spülte ich meine Pfanne ab.

      „Für mich ist es Abend. Ich hatte einen langen Mittag.“ Mein Vater ließ sich mit einem Seufzen auf einen Stuhl am Esstisch fallen.

      „Aha.“

      „Ich mache viele Überstunden im Moment.“

      „Mh.“ Gewissenhaft waschte ich den Schaum ab.

      An all das hatte ich mich gewöhnt. Ich konnte mich gar nicht mehr daran erinnern, wie es vorher gewesen war oder wann es angefangen hatte. Wenn ich darüber nachdachte, wollte ich es eigentlich auch gar nicht mehr anders. Mit der Situation wie sie jetzt war kam ich gut zurecht. Sehr gut sogar. Für mich war alles bestens, vor allem, wenn ich allein in unserem Haus war. Und wenn er da war, ging ich ihm aus dem Weg. Entweder verzog ich mich in die obere Etage oder ganz weg. Es war das Beste. Für uns beide. „Ist sonst noch etwas? Ich muss jetzt los.“ Mit fest aufeinander gepressten Lippen drehte ich mich um und trocknete meine Hände an einem Geschirrtuch ab.

      „Ist es nicht etwas früh, um mit deinen Freunden trinken zu gehen?“

      „Wie kommst du darauf, dass ich trinken gehe?“

      „Ich bin zwar nicht oft da, aber ich merke es, wenn du weg bist und ich höre es, wenn du da bist.“ Er sah müde aus. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, die Wangen waren eingefallen. Ein weiterer Punkt, der für mich nur Normalität darstellte Es war nichts Neues. Und seit drei Jahren sah er täglich ein klein wenig schlechter aus. Ein schleichender Prozess, der nicht aufzuhalten war. Wir wussten es beide. So wie wir auch beide wussten, dass es nie wieder besser werden würde.

      „Falls es dich interessiert, ich gehe nur zu Benny. Wie du dich vielleicht erinnerst, hast du es arrangiert, dass ich ihm Nachhilfe gebe“, entgegnete ich spitz.

      „Oh. Wie läuft es?“ Sofort veränderte sich der Ausdruck in seinem Gesicht. Sein Blick wurde etwas weicher und beinahe verständnisvoll.

      „Gut. Er macht Fortschritte“, entgegnete ich knapp und griff nach meiner Handtasche, die ich wieder vorbildlich gepackt hatte. Ich wurde echt noch zu einer Streberin.

      „Und ihr… versteht ihr euch?“

      „Ja. Ich bin zwei oder drei Mal in der Woche bei ihnen.“

      „Das ist gut. Sehr gut. Er ist ein sehr netter Junge.“

      „Ja, das ist er“, stimmte ich ihm mit einem leisen Seufzen zu und checkte mein Handy ein weiteres Mal. „War es das?“

      „Jo, falls du mal jemanden mitbringen und mir vorstellen möchtest…“

      „Keine Chance, Papa. Ich stehe nicht auf Benny“, unterbrach ich ihn und hob den Blick nur kurz von dem Display meines Handys. Milena hatte mir geschrieben, ob ich später nicht noch vorbeikommen wollte. Nichts lieber als das.

      „Ich meine nur, falls… Ich würde mich freuen. Egal wen. Dann musst du die Herren nicht heimlich rausbringen.“

      „Das habe ich noch nie getan und werde ich auch nicht tun“, erwiderte ich knapp und schulterte meine Tasche. „Du warst nur nie da und ich hatte keinen Grund, um dir irgendjemanden vorzustellen. Also, ich muss jetzt los. Wir sehen uns dann vielleicht morgen.“

      Leise erwiderte er meine Verabschiedung. Ich hörte ihn kaum noch.

      Unser Verhältnis war alles andere als gut. Und doch war das seit drei Jahren die einzige Art, wie wir beide miteinander auskommen konnten.

      Es war fast schon eine Art Ritual, das ablief, wenn ich zu Benny ging. Marianna und Ariane, Bennys Mutter und Schwester, waren oft unterwegs und sein Vater war anscheinend nie da. Niemand erklärte mir, warum er immer unterwegs war und ich fragte auch nicht nach.

      Benny drückte mich kurz zur Begrüßung und dann gingen wir gemeinsam ins Wohnzimmer. So auch heute. Benny war eigentlich immer gut aufgelegt, ich hatte ihn noch nie schlecht gelaunt oder aufgebracht gesehen. Er schaffte es, mich selbst an schlechten Tagen etwas aufzumuntern und mich zumindest zum Schmunzeln zu bringen.

      Im Stillen bewunderte ich ihn für seine positive und ausgeglichene Art. Ich kannte meine eigenen Launen und konnte mir kaum vorstellen, jeden Tag mit einem breiten Grinsen durch die Gegend zu laufen. Aber ich hatte auch keine Ahnung, was in seinem Leben bisher alles passiert war. Oder ob er so behütet aufgewachsen war, dass er schlichtweg keine Sorgen kannte.

      „Ich habe zwei Fragen an dich, Jo“, begann er, noch während wir auf dem Weg zu unserem angestammten Lernplatz waren. Eine Karaffe mit Wasser stand schon bereit.

      „Zwei gleich? Eine für Mathe und eine für Englisch?“, neckte ich ihn und packte meine Bücher aus.

      Benny rollte mit den Augen. „Nein, gar nichts von beidem. Okay, einmal brauche ich eher deinen