Das Blutsiegel von Isfadah (Teil 2). Carola Schierz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carola Schierz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742761743
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Haar, das sie zu einem Knoten gesteckt trug. Sie suchte in einer der Kisten herum und förderte etwas Brot zutage. Sie teilte es und gab jedem von ihnen ein Stück. Sie bedankten sich höflich und begannen es gierig hinunterzuschlingen, während die Frau ihnen lächelnd dabei zusah.

      „Ihr könnt euch die Decken hier nehmen, wenn ihr wollt, und einstweilen etwas schlafen. Wir wecken euch dann, sobald wir unser Lager errichten.“ Sie machte Anstalten, wieder nach vorn auf den Kutschbock zurückzukehren, hielt dann aber inne. „Tut mir leid, was mit euren Eltern passiert ist. Ihr armen Kinder habt viel durchmachen müssen. Ihr könnt uns vertrauen. Keine Angst! Wir passen auf euch auf. Ach, und noch etwas: Ihr könnt uns gern Torbald und Matilda nennen.“ Sie zwinkerte ihnen aufmunternd zu und ließ sie allein.

      Ammon baute aus den Decken ein weiches Lager und sie ließen sich, dicht aneinander gekuschelt, darauf nieder.

      Zum ersten Mal, seit jener furchtbaren Nacht, fühlten sie sich sicher und schliefen ein.

      Sie erwachten, als das Rumpeln des Wagens verstummte. Die Sonne stand schon tief und die Nacht meldete ihr Kommen an. Matilda öffnete die Plane auf der Rückseite und forderte sie auf, nach draußen zu kommen.

      „Sagt mal, wie heißt ihr zwei eigentlich?“, fragte sie freundlich.

      „Ich bin Ammon und das ist meine Schwester Fanida.“

      „Gut! Also, Ammon, du hilfst Torbald bei den Pferden. Fanida, du kannst ein paar dürre Äste suchen, damit wir ein warmes Feuer machen können. Aber bleib in der Nähe, Mädchen!“

      Die Kinder halfen bereitwillig bei all den ihnen aufgetragenen Tätigkeiten. Als es dunkel war, saßen sie gemeinsam am Feuer und aßen Bohnen mit etwas Speck. Ammon und Fanida waren dankbar, für die ihnen entgegengebrachte Fürsorge. Torbald und Malilda schliefen unter freiem Himmel, während die Kinder die Nacht im Wagen verbrachten.

      Am Morgen gab es etwas Haferbrei. Dann räumten sie alles zusammen und setzten ihre Reise fort.

      So verliefen auch die folgenden Tage. Sie kamen Isfadah immer näher und die Kinder hofften, dort bald ihre Mutter zu finden. Sie hatte ihnen Geschichten über die weiße Stadt erzählt. Von den vielen Menschen, die dort lebten - viel mehr als in Limera. Und von dem Schloss, in dem der König des Landes wohnte. Am spannendsten waren jedoch die Geschichten über den Tempel, der hoch über allem thronte und das Symbol der Stadt war. In diesem Tempel lebten die Wächterinnen des Blutes, die über die königliche Familie wachten und sehr weise waren. Die Oberste von ihnen war eine Frau namens Sina. Und diese war die klügste und großmütigste Frau, die ihrer Mutter je begegnet war. Wenn sie in Isfadah ankamen, wollte Ammon mit Fanida sofort zu diesem Tempel gehen und um Hilfe bitten. Dann würden sie ihre Mutter befreien und alles wieder gut werden, sofern das ohne den geliebten Vater möglich war.

      Etwa eine Tagesreise von Isfadah entfernt, gelangten sie an eine Taverne. Sie betraten den Schankraum und Torbald und Matilda sprachen mit dem Wirt. Dann bekamen sie jeder eine Portion Eier mit Speck und gesüßtes Zitronenwasser. Voller Appetit schlangen sie es hinunter. Als sie müde wurden, brachte Matilda die Kinder in eines der Zimmer und sie teilten sich ein Bett.

      Am Morgen erwachte Fanida allein und erschrak, als Ammon nicht auf ihre Rufe antwortete. Als sie aufstand und hinunter in die Schankstube ging, war dort zunächst niemand zu sehen. Sie lief hinaus, um nach Matilda und Torbald zu sehen, konnte jedoch weder sie noch ihren Wagen finden. Als sie wieder hineinging, kam ihr eine Frau entgegen, die in jeder Hand einen Eimer Wasser trug.

      „Endlich aufgewacht? Geh in die Küche und nimm dir ein Stück Brot. Dann kommst du sofort zu mir und hilfst mir!“ Sie ließ den Blick auf dem kleinen Mädchen ruhen und sagte mehr zu sich selbst: „Zu viel bist du sicher noch nicht zu gebrauchen, aber ein paar Handlangerdienste wirst du schon übernehmen können. Ich werde aus dir schon herausholen, was geht.“

      „Wo ist mein Bruder?“, fragte Fanida ängstlich.

      „Der ist mit den Leuten unterwegs, die euch hergebracht haben. Du sollst hier auf ihn warten, hat er gesagt. Und so lange wirst du dich nützlich machen. Also los jetzt, sonst mache ich dir Beine!“

      Fanida spürte plötzlich Angst in sich aufsteigen. „Wann kommen sie denn wieder?“, fragte sie den Tränen nahe.

      „Woher soll ich das denn wissen? In ein paar Tagen, Wochen oder Monaten ... Keine Ahnung.“ Sie kam auf Fanida zu, nahm ihr die Puppe aus dem Arm und sagte: „Wenn du dich ordentlich anstellst, bekommst du sie heute Abend wieder.“

      Fanida sah, wie sie die Puppe auf das oberste Brett eines Regals setzte und die Treppe emporstieg. Das Mädchen versuchte tapfer zu sein, konnte aber nicht verhindern, dass dicke Tränen über ihre Wangen rollten. Sie ging in die Küche, die direkt hinter dem Tresen lag, und nahm sich einen Kanten trockenen Brotes vom Vortag. Als sie es heruntergewürgt hatte, stieg Fanida ebenfalls die Treppe hinauf und suchte nach der Frau. Sie fand sie schließlich in jenem Zimmer, in dem sie mit Ammon die Nacht verbracht hatte. Tapfer versuchte das Mädchen alle Aufgaben zu erfüllen, die ihr erteilt wurden. Eimer tragen, Nachttöpfe ausleeren, Waschschüsseln auswischen und frisches Wasser in den dazugehörigen Krug füllen. Nichts davon konnte sie zufriedenstellend tun. Sie war einfach noch zu klein.

      Ab Mittag half Fanida in der Küche. Die Frau, laut eigener Aussage die Wirtin, musste spätestens jetzt einsehen, dass das Mädchen auch zum Karotten schneiden noch zu jung war, da es sich böse in den Daumen stach. „Du bist wirklich zu nichts nutze!“, schimpfte sie.

      Als der Wirt später in die Schankstube kam, stellte er sich hinter sein Weib, das sich bereitwillig von ihm umarmen ließ, während er sie zu Fanida befragte.

      Sie hielt mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg: „Sie wird uns nur Unkosten bringen! Es dauert mindestens zwei Jahre, bis sie etwas Sinnvolles tun kann. Ich habe es dir gleich gesagt. Wir brauchen ein älteres Mädchen! Sieh zu, dass du sie wieder loswirst!“

      Der Wirt sah Fanida stirnrunzelnd an. Dabei fasste er gedankenverloren an den Busen seiner Frau, der sich deutlich unter dem Stoff ihrer Bluse abzeichneten. Als er nicht antwortete, schlug sie ihm auf die Hände und entzog ihm ihre pralle Weiblichkeit. „Kümmere dich darum! Eher brauchst du mir nicht mehr unter den Rock zu kriechen.“ Damit ließ sie ihn stehen und Fanida war mit dem Mann allein.

      Der zuckte die Schultern. „Tut mir leid Mädchen, aber sie hat mich in der Hand. Ich werde dich zu Madame Letizia bringen müssen. Vielleicht tauscht sie dich ja gegen ein älteres Mädchen.“

      „Ich muss auf meinen Bruder warten“, sagte Fanida bestimmt.

      Doch er schüttelte mit dem Kopf. „Nicht hier! Wir werden ihm sagen, wo er dich findet.“ Sein Blick wanderte über ihren Kopf hinweg zu dem Regal, in dem die Puppe saß. „Ist das nicht deine?“, fragte er. Sie nickte zaghaft. Er griff nach der Puppe und drückte sie Fanida in den Arm. „Hier, mehr kann ich für dich leider nicht tun.“

      Sie presste die Puppe an ihr Herz und hockte sich weinend in die Ecke. „Ich will zu meiner Mama!“, flüstere sie immer wieder mit bebender Stimme.

      Einige Zeit später saß sie neben ihm auf dem Wagen und blickte abwesend geradeaus. Inzwischen war es ihr beinahe egal, wohin er sie brachte. Das Einzige, was ihr jetzt wichtig erschien, war, dass Ammon sie dort so schnell wie möglich finden würde. Dann wären sie wenigstens wieder zusammen und konnten gemeinsam nach ihrer Mutter suchen.

      Nach einer Stunde Fahrt hielten sie am Rande einer kleinen Stadt, vor einem großen Haus. Es machte einen recht düsteren Eindruck und erschien Fanida wie das Haus eines dicken mürrischen Riesen. Ihr schauderte bei dem Gedanken, sie müsse hierbleiben.

      Der Wirt klopfte an die massive Holztür und bei jedem Schlag, den der Eisenring gegen das Portal machte, zuckte sie zusammen. Nach einer Weile des Wartens öffnete sich ein kleines Fenster, das in die Tür eingelassen war und ein strenges faltiges Gesicht erschien darin.

      „Was wollt ihr hier?“, fragte die Frau dahinter mit krächzender Stimme.

      „Ich will Madame Letizia sprechen. Sieh zu, dass du Beine bekommst!“

      Die