Als sie später nebeneinander lagen, hatte Ismee ihm ihre schöne Kehrseite zugewandt. Farid betrachtete sie ausgiebig. Er konnte ihr keinen Vorwurf im Bezug auf die Kinderlosigkeit ihrer Ehe machen. Zum einen hatte sie schon ein Kind bekommen und war damit nachweislich nicht der Grund dafür, zum anderen hatte das Blutsiegel ihnen genau dies prophezeit.
Seine Mutter hörte jedoch überhaupt nicht mehr damit auf, ihn diesbezüglich zu bedrängen. Langsam musste er wohl oder übel in den sauren Apfel beißen und eine der Hofdamen schwängern. Um einen Thronerben zu zeugen, konnte er nicht einfach eine dahergelaufene Magd packen und solange beschlafen, bis sie ein Kind empfing. Seine Mutter war schon emsig dabei, die Damen bei Hofe nach Gesundheit, Intelligenz und Schönheit einzustufen. Wenn Farid dann eine Wahl getroffen hätte, müssten Verhandlungen mit der Familie der Auserwählten aufgenommen werden. Die Position als offizielle Mätresse des Königs wäre nicht die schlechteste. Und als Mutter des Thronerben hätten sowohl die junge Frau als auch deren Familie für den Rest ihres Lebens ausgesorgt.
Er empfand die Vorstellung lästig. Denn anders als jene Frauen, die ihn ab und zu seine 'anderen' sexuellen Gelüste stillten, müsste er diese umwerben und ihr sein Interesse heucheln. Es widerte ihn jetzt schon an. Nach wie vor war Ismee die einzige Frau im Universum, die es schaffte, sein Herz zu berühren. Wenn er mit ihr das Bett teilte, war er nahezu wunschlos glücklich. Sie brachte das Monster in ihm zum Schweigen. Er griff mit einer Hand in ihr weiches Haar und schlief so ein.
Am nächsten Morgen warteten dringende Staatsgeschäfte auf ihn, darum verabschiedete er sich widerwillig in aller Frühe von seiner Gemahlin.
Er bekam nicht mit, was geschah, als er den Raum verlassen hatte. Wie jedes Mal, nach einer Nacht mit Farid, sprang Ismee aus dem Bett, sobald sich seine Schritte entfernt hatten. Dann rief sie nach der Magd und befahl ihr, ein heißes Bad herzurichten. Sie eilte zum Schrank und spülte mit Branntwein mehrere Male den Mund aus. Dabei vermied sie es, in den Spiegel zu sehen. Erst nach dem Bad hatte sie weniger das Gefühl, eine schmutzige Hure zu sein …
Finea
Die Zeit im Kerker verging nur langsam. Es war kalt hier und roch muffig. Finea war dennoch froh, dass die beschwerliche Reise vorüber war. Man hatte sie verkehrt herum auf ein Pferd gesetzt und ihr die Hände auf den Rücken gefesselt. So kam der Trupp schneller voran als mit einem Wagen und sie hatte trotzdem keine Chance zu fliehen. Nicht nur einmal war Finea fast vom Pferd gefallen.
Doch das alles war nichts gegen den seelischen Schmerz, den sie gewaltsam zu unterdrücken versuchte. Arko und die Kleinen waren tot. Sie hatte eindeutig die Schreie beider Kinder gehört und Fanida sogar als Schatten am Fenster gesehen. Kurz darauf war der Dachstuhl eingestürzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie noch lebend aus dem Haus herausgekommen waren, ging gegen null. Würde sie sich jedoch gänzlich ihrer Trauer hingeben, hätte sie ihrem Leben bereits ein Ende gesetzt. Das Mittel dazu, die tödlichen Beeren der Maruccapflanze, hatte sie schon seit Langem in ihrem Ärmelsaum eingearbeitet. Diese Vorsichtsmaßnahme traf sie, nachdem der Stadtvater von Limera ihr Wächterinnenmal entdeckt und sie vor Sorge kein Auge mehr zubekommen hatte. Ein bis zwei davon würden ausreichen, um eine Frau von ihrer Statur in den schnellen und sicheren Tod zu schicken. Doch sie hoffte, zuvor noch einmal Sina sehen zu können. Finea wusste: Sobald ihre Meisterin davon erfuhr, dass sie hier war, würde diese versuchen, zu ihr in den Kerker zu gelangen.
Etwas später vernahm sie Schritte und das Geräusch eines Schlüssels im Schoss des Gitters. Ein Mann betrat die Zelle und brachte ihr einen Krug Wasser und etwas Brot. Als er schon wieder gehen wollte, erkannte sie in ihm jenen Wärter, den Sina damals bestochen hatte, um Arko den befreienden Trank zukommen zu lassen.
„Wartet!“, rief sie ihm nach. Zögerlich drehte er sich um und kam zu ihr zurück. „Ich erkenne Euch wieder. Ihr seid der Wärter, der …!“
„In Dreiteufelsnamen schweigt! Oder wollt ihr mich gleich mit aufs Schafott nehmen?“, fuhr er sie an.
„Verzeiht! Aber Ihr seid meine letzte Chance. Bitte sagt Sina, dass ich hier bin. Ich muss sie unbedingt sprechen.“
Er sah sie mitleidig an. „Es tut mir leid, aber ich muss Euch jegliche Hoffnung auf Rettung nehmen. Der König hat angeordnet, dass jeder Gefangene, der in diesen Mauern stirbt, seinen Männern präsentiert werden muss, bevor der Leichnam abtransportiert werden darf. Die stoßen den Toten ihren Dolch ins Herz, um sicherzugehen, dass so etwas wie bei Lord Arko sich nicht wiederholt.“
„Seit wann weiß er davon, dass Arko geflohen ist und wie hat er es überhaupt erfahren?“, wollte Finea wissen.
„Keine Ahnung. Offiziell ist auch nichts davon bekannt. Kurz nach dem fünfjährigen Thronjubiläum des Königs wurde plötzlich dieser Befehl herausgegeben. Und noch etwas Seltsames geschah: Der Totengräber wurde wegen Leichenschändung zum Tode verurteilt. Ich bin mir sicher, dass es nur einen Grund dafür geben kann: Der König wusste spätestens zu diesem Zeitpunkt von Lord Arko. Das Ihr jetzt hier seid, ist für mich der letzte Beweis.“
Finea nickte zur Bestätigung. „Sie haben uns vor ein paar Tagen in Blumare gefunden. Ich bin die einzige Überlebende unserer kleinen Familie.“ Eindringlich hob sie den Blick. „Ich muss mit Sina sprechen. Bitte versucht es.“
Der Mann sah sie hoffnungslos an. „Ich werde es probieren, aber macht Euch keine Hoffnung. Es ist nahezu unmöglich.“ Mit diesen Worten ließ er sie allein.
Nur wenig später hörte sie erneut Schritte. Es schienen mehrere Personen zu sein.
Die kurz aufkeimende Hoffnung, es könne sich um Sina handeln, wurde spätestens in dem Moment zerstört, als plötzlich Farid vor ihr stand und sie herablassend anlächelte.
„Welch eine Freude, Euch zu sehen, ehrwürdige Wächterin. Viel zu lange haben wir Euer liebreizendes Antlitz entbehren müssen.“ Langsam trat er an sie heran und griff nach einer ihrer langen roten Haarlocken. Genüsslich ließ er sie durch seine Finger gleiten und näherte sich mit seinem Mund ihrem Ohr. „Schade, dass uns diese Schönheit bald für immer verloren geht. Der Henker hat selten ein solches Prachtweib in seine tödlichen Finger bekommen. Die öffentliche Auspeitschung vor Eurer Hinrichtung wird vielen unserer Untertanen eine Augenweide sein.“ Er richtete sich wieder auf und sah sie abwartend an.
„Wie habt Ihr uns gefunden?“, fragte sie mit gefasster Stimme.
Er sah sie triumphierend an. „Erinnert Ihr Euch an den Stadtvater von Limera? Ihr wart ihm in einer misslichen Lage behilflich und glaubt mir, sein Dank ist Euch auf ewig gewiss. Er war mein Gast, während der Feierlichkeiten zu meinem Thronjubiläum. Auf einem Gemälde im Ballsaal entdeckte er das Zeichen der Wächterinnen.“ Er holte einen Dolch hervor und schnitt ihr Kleid an der Schulter entzwei. Angewidert strich er über die Narbe, die das Mal ersetzte, das Finea einst als Wächterin des Tempels auswies. „Eines ergab das andere. Den Rest kennt Ihr selbst.“ Er machte eine Pause und legte den Kopf schief. Eindringlich betrachtete er sie. „Es wäre nett von Euch, meine Liebe, wenn Ihr mir sagen könntet, ob es sich bei dem Knaben, von dem jener Stadtvater sehr angetan sprach, um meinen Neffen handelte. Und genauso gern würde ich wissen, inwiefern die ehrwürdige Sina in die ganze Sache involviert war. Und ich bin überzeugt, dass