Farid sah sie beinahe freundlich an, bevor er ausholte und ihr mit der flachen Hand fest ins Gesicht schlug. Finea spürte einen brennenden Schmerz und schmeckte Blut, vermied aber jeden Laut. Er sollte sie nicht jammern hören. Der Schmerz des Schlages überdeckte für einen Moment den der Trauer und das tat beinahe gut.
Farid schloss die Augen und atmete tief durch. „Verzeiht! Ein Ausrutscher. Ich lasse mich nur nicht allzu gern vorführen. Zufälligerweise hat uns Sina erklärt, Ihr würdet den Tempel andernorts vertreten. Warum sollte sie so etwas behaupten, wenn Ihr zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr zu den Wächterinnen gehört habt? Und dann noch Eure Aussage gegenüber dem Stadtvater von Limera. Ihr sagtet ihm, der Junge wäre Euer Neffe. Das Kind Eurer Schwester. Warum diese Geschichte?“
„Ich schätze, Sina wollte den Tempel nicht in Schande stürzen. Eine schwangere Wächterin, die durchbrennt, ist nicht gerade eine Ehre für den Orden. Sie wusste von der Schwangerschaft, aber nicht wer der Vater des Kindes war! Was meine Erklärung gegenüber dem Stadtvater von Limera betrifft: Ich war der Überzeugung, der Mann würde sich früher oder später erinnern, wofür das Mal steht. Eine Wächterin, die Mutter ist, wäre ihm seltsam vorgekommen. Hingegen eine Wächterin, die für einen gewissen Zeitraum ihre Familie unterstützt, eher nicht. Ich wollte keine Aufmerksamkeit auf mich und damit auf Arko lenken, um uns zu schützen. Wie man sieht war dies durchaus notwendig, aber leider erfolglos.“
Sie sah Farid an, dass er ihren Worten nicht traute. Nur mühsam beherrschte er seinen Zorn. „Gut! Ich dachte, wir könnten uns das ersparen, aber ... Da ich mir noch immer ziemlich sicher bin, dass Sina hinter alldem steckt, werden wir unsere kleine Unterhaltung im Beisein des Folterknechtes fortsetzen. Ich lasse Euch jetzt eine Stunde Zeit zum Nachdenken. Entweder Ihr sagt freiwillig gegen die Großpriesterin aus und beeidet dies schriftlich oder man bringt Euch dazu. Ihr habt die Wahl!“ Er nickte seinen Begleitern zu und ließ sie allein.
Finea wusste, sie hatte keine Chance. Sie hielt nichts mehr in dieser Welt und jede Stunde, die sie länger lebte, würde Sina nur unnötig in Gefahr bringen. Sie war sicher nicht zimperlich, doch einem Verhör, unter den Händen eines Folterknechtes, war sie nicht gewachsen. Irgendwann, wenn die Schmerzen zu groß wären, würde sie zusammenbrechen und alles gestehen, was Farid von ihr verlangte. Und im Gegensatz zu ihr hing Sina an ihrem Leben. Sie sollte es behalten. Diese Welt war besser mit Sina darin.
Entschlossen riss sie ihren Ärmelsaum auf und holte die fünf winzigen getrockneten Beeren hervor. Sie lächelte, als sie sie sich in den Mund schob. Sie schmeckten, wider erwarten, angenehm süß. 'Wie schön, mit diesem lieblichen Geschmack auf der Zunge, die Reise zu Arko und den Kindern anzutreten', war das Letzte, was Finea dachte, bevor sich ihr Geist von ihrem Körper löste und sie diese Welt für immer verließ.
Als Farid später mit seinem Gefolge zurückkehrte, fand er sie lächelnd vor, den Blick ins Unendliche gerichtet. Er stieß laut einen derben Fluch aus und verließ, bebend vor Zorn, den Kerker.
Seine schlechte Stimmung sprach sich unter den Dienstboten schnell herum. Da sich alle Mägde weigerten, sein Gemach zu betreten, um sein Bett für die Nacht vorzubereiten, wurde ausgelost wer sich der Gefahr seiner Nähe aussetzen musste. Schließlich sah man die beiden unglücklichen Verliererinnen, mühsam ihre Tränen zurückhaltend, in Richtung seiner Gemächer eilen. Jeder, der ihnen auf ihrem angstvollen Weg begegnete, senkte den Blick betreten und wünschte ihnen im Geiste, dass sie verschont bleiben mögen.
Ammon und Fanida
Die Kinder waren den Männern, die ihren Vater getötet und ihre Mutter entführt hatten, einen ganzen Tag lang gefolgt. Sie liefen einfach immer weiter in die Richtung, in der die Reiter verschwunden waren. Am Abend entschieden sie sich dafür, unter einem Felsvorsprung die Nacht abzuwarten. Bei Tagesanbruch setzten sie ihren Weg fort. Als sie etwas später einen Fuhrmann trafen, fragte ihn Ammon nach der Richtung, in der sie nach Isfadah gelangen würden. Als der Mann die beiden mit gerunzelter Stirn ansah und fragte, warum zwei einsame kleine Kinder dies wissen wollten, log er ihn an. „Mein Vater belädt nicht weit von hier den Wagen. Er meinte, ich soll nicht herumstehen, sondern an der Straße nach jemandem Ausschau halten, der uns den Weg weisen kann.“
Der Mann schüttelte missmutig den Kopf. „Nicht zu fassen! Richte deinem Vater aus, dass er in Zukunft besser auf euch achten soll. Es verschwinden immer wieder Knaben spurlos.“ Er wies in Richtung Süden. „Nach Isfadah geht es da lang. Seht jetzt zu, dass ihr zurück zu eurem Vater kommt!“
Ammon bedankte sich artig und der Mann fuhr davon. Also liefen sie weiter die Straße entlang. Fanida hielt ihre Puppe die ganze Zeit über fest an die kleine Brust gepresst und versicherte ihr ununterbrochen, dass alles wieder gut werden würde.
Sie versteckten sich im Gebüsch, sobald ihnen ein Wagen entgegenkam. In den ersten beiden Tagen hatten sie Glück und fanden ein paar Beeren am Wegesrand und auch frisches Wasser in einem Bach. Doch dann wurde der Hunger so unerträglich, dass sie sich an die Straße setzten und auf ein Wunder warteten.
Besagtes Wunder vermuteten sie, gegen Mittag des dritten Tages, gefunden zu haben. Es kam in Form eines stattlichen Fuhrwerks, auf dem ein Mann und eine Frau mittleren Alters saßen und welches direkt vor ihnen anhielt.
„Was macht ihr denn hier, ihr kleinen Strolche? Haben euch eure Eltern ausgesetzt?“, fragte der Mann mit einem breiten Lächeln.
Ammon entschloss sich diesmal dazu, die Wahrheit zu sagen: „Wir sind allein. Böse Männer haben unser Haus überfallen und unseren Vater ermordet. Dann haben sie unsere Mutter mitgenommen. Sie wollten sie nach Isfadah bringen. Das habe ich deutlich gehört.“
„Und jetzt wollt ihr Zwerge den ganzen Weg nach Isfadah zu Fuß gehen, um sie zu finden, wie?“ Der Mann musterte die Kinder voller Zweifel. Dann warf er seiner Frau ein verschwörerisches Lächeln zu und fuhr fort: „Passt auf! Isfadah liegt an unserem Weg. Zu Fuß würde es Wochen dauern, bis ihr da ankommt, wenn ihr überhaupt ankommen würdet. Die Straßen sind in diesen Zeiten nicht mehr sicher für Kinder. Ihr dürft bei uns mitfahren! Wenn ihr euch ein wenig nützlich macht, könnt ihr euch eure Mahlzeiten verdienen.“
Ammon und Fanida sahen sich an. Ein kurzes hoffnungsvolles Lächeln huschte über die traurigen Gesichter. „Das würdet Ihr tun?“, fragte Ammon ungläubig.
„Sehe ich aus wie ein Lügner?“, entgegnete der Mann mit gespielter Entrüstung.
„Nein, nein, mein Herr!“ Ammon sah ihn aus erschrockenen Augen an. „Ich würde niemals ...“
Der Mann lachte schallend. „Schon gut, Kleiner. Ich habe dich nur genarrt. Natürlich würden wir das tun.“ Er wies mit einer einladenden Geste hinter sich auf den Wagen. „Also hopp, hopp! Springt auf und macht es euch so bequem wie möglich.“
Die Kinder ließen sich das nicht zweimal sagen und kamen der Aufforderung unverzüglich nach.
Unter der Plane des Wagens befanden sich ein paar Kisten, zwei Fässer und einige Decken.
Die