Der Meerkönig. Balduin Möllhausen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Balduin Möllhausen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754176504
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Du Dich verheirathetest, müßte ich wahrlich elendiglich verderben!«

      »Ich heirathe nie,« entgegnete Juliane entschieden; »die Männerwelt ist zu schlecht, zu undankbar, und einen Mann, wie mein Väterchen, findet man so leicht nicht.«

      Herr Seim spielte nachdenklich mit einer der fest gedrehten Locken seines Kindes.

      »Sagen wir also um eilf Uhr,« hob er endlich, mit einem leichten Seufzer an.

      »So spät?«

      »Ja, mein Kind; ich erwarte nämlich den Besuch der Frau Geheime Commissionsräthin Friesel. Du weißt, sie ist eine hohe Beschützerin und Gönnerin unserer Anstalt; wahrscheinlich will sie anfragen, ob noch keine Nachrichten über den entlaufenen Vagabunden eingetroffen seien.«

      »Dann muß ich wohl in der Hinterstube decken?«

      »Gewiß; aber stelle zuvor einen Teller mit einem halben Butterbrötchen und ein halbes Glas Dünnbier, ich meine von dem, welches die Kinder Sonntags erhalten, hierher auf den Tisch.«

      »Ganz, wie der gestrenge Herr Papa befehlen,« entgegnete Juliane mit einer Verbeugung, worauf sie leichten Herzens der Thür zusprang.

      Dicht an der Thür blieb sie indessen plötzlich wieder stehen, und sich ihrem Vater zuwendend, zeigte sie diesem ihr glücklich lachendes Antlitz.

      »Nein, so kindisch zu sein,« rief sie aus, ihr Haupt muthwillig schüttelnd, daß die Papilloten sich surrend, wie ein Schwarm Bienen, erhoben. »Hätte ich doch beinahe vergessen, gehorsamst zu melden, daß meine Wirthschaftscasse ihrem Ende mit Riesenschritten entgegengeht!«

      »Schon?« fragte Herr Seim mit einem milden Vorwurfe im Tone seiner Stimme. »Die Woche ist ja erst halb verstrichen!«

      »Leider, leider!« pflichtete Juliane halb bittend, halb trotzig bei. »Aber es ist Alles so theuer, und dann läßt man sich zuweilen durch den Wunsch, Anderen eine Ueberraschung zu bereiten, zu unnöthigen Ausgaben verführen!«

      »Werden sich wohl einige Hutbänder und ein Paar Handschuhe bei den Ueberraschungen befinden?« bemerkte Herr Seim, wohlwollend und vergebend mit dem Finger drohend.

      Juliane zuckte lächelnd die Achseln und schritt nach dem nächsten Fenster hin, um eine Oeffnung in die Eisdecke einer Scheibe zu hauchen. Herr Seim dagegen begab sich an seinen Schreibtisch und suchte mit lautem Geräusch den Schlüssel zu demselben hervor.

      Nachdem er die massive Klappe emporgehoben, schaute er noch einmal nach seiner Tochter zurück. Dieselbe stand so, daß der Fensterpfeiler sie seinen Blicken entzog, und lustig hauchte sie in die verworrenen Eisblumen hinein. Herr Seim nickte zufrieden, und sich wieder dem Schreibtische zuwendend, streckte er seine Hand nach einer kleinen, mit Geld angefüllten hölzernen Mulde aus. Auf dem halben Wege aber änderte die Hand plötzlich ihre Richtung, und nach der andern Seite hinüberfahrend, legte sie sich an den Deckel eines großen blechernen Kastens, auf welchem mit lateinischen Buchstaben die Worte: »Casse der Anstalt« geschrieben standen.

      Behutsam und immer nach seiner hauchenden Tochter hinüberlauschend, hob er den Deckel empor, und nachdem er mit gewandtem Griffe zwei Fünfthalerscheine hervorgezogen, ließ er den Deckel wieder eben so behutsam niedersinken. In demselben Augenblicke aber, in welchem er den Schreibtisch verschloß, erschallte auch Julianens Stimme.

      »Väterchen,« rief sie aus, fröhlich hinter dem Pfeiler hervorspringend, »ich habe Dir hier ein großes Fenster gemacht, durch welches Du im Vorbeigehen immer einen Blick auf die Leute werfen kannst. Schrecklich träges Volk - anstatt für ihren Tagelohn Schnee zu schaufeln, stellen sie sich alle zwei Minuten hin, um ihre Hände an den Leib zu schlagen!«

      »Es wäre nöthig, sich viertheilen zu lassen, um überall zu gleicher Zeit sein zu können,« entgegnete Herr Seim mit einer Anwandlung von Unmuth; »aber nehmen wir es lieber nicht so genau mit ihnen, und bedenken wir, daß sie vermöge ihrer Bildung zu tief stehen, als daß sie einen richtigen Begriff von den Pflichten eines treuen Arbeiters hätten - doch wo willst Du hin?« fragte er schnell, als er bemerkte, daß seine Tochter in ihrem lebhaften Wesen der Thüre zuflog. »Ich denke, Du gebrauchst Geld?«

      »Ich werde in meinem ganzen Leben nicht verständig!« rief Juliane lachend aus, indem sie eiligst zu ihrem Vater zurückkehrte. »Hätte ich einfältiges Mädchen doch beinahe wieder das Geld vergessen!« Und dann die beiden Scheine entgegennehmend, barg sie dieselben nachlässig in ihr Umschlagetuch.

      »Kind,« begann Herr Seim mit Nachdruck, als Juliane sich eben entfernen wollte, »Du wirst so gut sein und für einen Thaler Sago kaufen, der in der Küche der Kinder verwendet werden soll; ich habe mich gestern überzeugt, daß der ganze Vorrath verbraucht ist, und zwar nur für die Schwächlinge.«

      »Es soll geschehen, gestrenger Herr Papa,« entgegnete Juliane, und im nächsten Augenblicke war sie, ein heiteres Liedchen singend, durch die Flurthür verschwunden.

      Herr Seim blickte ihr eine Weile sinnend nach.

      »Ein verständiges Kind,« murmelte er vor sich hin, indem er sich nach dem Ofen begab, um die brennenden Holzstücke durcheinander zu schüren. »Sie würde gewiß eine vortreffliche Hausfrau werden, wenn sie sich nicht in den Kopf gesetzt hätte, unverheirathet zu bleiben.«

      Nachdem er sodann noch flüchtig nach den Arbeitern auf dem Hofe ausgeschaut hatte, setzte er sich vor seinen Schreibtisch. Mit gemessenem Wesen zog er einen Folianten vor sich hin; einige Minuten blätterte er in demselben hin und her; dann die zuletzt beschriebenen Seiten aufschlagend, notirte er mit sicherer Hand unter die Rubrik der Ausgaben: »Zwölf und einen halben Thaler für Mehlvorräthe und Sago, entnommen von einem durchreisenden Händler.« Pünktlich, wie er in allen Sachen war, legte er darauf noch zwei und einen halben Thaler aus dem blechernen Kasten in die Holzmulde; noch einmal überzeugte er sich sehr genau, daß das Datum stimmte, auch keine Dintenflecke an seinen Fingern zurückgeblieben waren, und dann stellte er den Folianten wieder an seinen Ort. Zum Schlusse ein Bürstchen hervorziehend, trat er vor den Spiegel hin, um seinem Aeußeren durch einige Striche über das schön gelockte Haar und durch Zupfen an seiner Halsbinde einen möglichst vortheilhaften Schimmer zu verleihen.

      Der Teller mit dem halben Butterbrote, auf welchem man kaum die Butter sah, und das halbe Glas Bier waren unterdessen hereingestellt worden, ohne daß Herr Seim darauf geachtet hätte.

      Sobald aber ein Schlitten mit lautem und melodischem Geklingel vor das Hofthor vorfuhr und Herr Seim durch die von seiner Tochter geschaffene Eisöffnung gewahrte, daß eine in reiches Pelzwerk gehüllte Dame mit Hilfe eines Dieners ausstieg, wurde er plötzlich lebhafter. Er trat nämlich schnell an den runden Eßtisch, nahm das Butterbrötchen und biß einen kleinen Brocken ab, und nachdem er noch einige Krumen auf den Tisch gestreut, setzte er sich auf seinen Drehstuhl. Das Haupt stützte er sorgenvoll auf die linke Hand, die rechte dagegen hielt er mit einer Feder über einem weißen Bogen Papier, als ob er über das, was er zu schreiben im Begriffe stehe, eben nachdenke. Dabei lauschte er scharf nach der Flur hinüber, und als er endlich das Oeffnen und Schließen der Hausthüre und gleich darauf weibliche Schritte und das Rauschen von schwerer Seide unterschied, tauchte er die Feder in die Dinte und schrieb: »Hochwohlgeborene, hochzuverehrende Frau Geheimeräthin.«

      Kaum war er so weit gekommen, als es mit einer gewissen herrischen Sicherheit klopfte.

      »Herein!« rief der Vorsteher, ohne aufzuschauen; dagegen entstand unter der knisternden Feder: »Ew. Hochwohlgeboren gnädige Theilnahme für das unglückliche Kind -«

      »Immer beschäftigt, immer fleißig, mein guter Herr Seim,« ertönte es jetzt mit heller Stimme hinter ihm, daß ihm vor Schreck die Feder entfiel und er im ersten Augenblicke gar nicht wußte, wo er sich befand.

      »Ah, Frau Geheimeräthin,« rief er indessen gleich darauf aus, indem er emporsprang und sich tief verneigte, »ich bitte tausendmal um Verzeihung, ich ahnte nicht, ich konnte nicht ahnen - das Eis auf den Fensterscheiben raubt die Aussicht, und dennoch erlaubte ich mir, Ihrer gehorsamst zu gedenken, wie Ihnen dieser Papierbogen beweisen wird!«

      Die Angeredete, eine zwar in den Jahren schon vorgeschrittene, allein immer