Der Meerkönig. Balduin Möllhausen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Balduin Möllhausen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754176504
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da legte sich mein Vater, und acht Tage darauf schloß er die Augen auf ewig.

      »Wir Männer sind aus festerem Stoffe gebildet, als die Weiber, und ertragen daher weit leichter unersetzliche Verluste, namentlich aber, wenn dieselben sich nicht zur ungewöhnlichen Zeit einstellen. Mein Vater hatte nämlich beinahe sein siebenzigstes Jahr erreicht, also seine irdische Laufbahn vollendet; ich sagte mir daher, daß die Welt ihren ruhigen Gang weitergehe, und dankte Gott, daß mein Vater bis in sein hohes Alter hinein von jeder schmerzhaften Krankheit verschont geblieben war.

      »Anders verhielt es sich indessen mit Marie. Das Mädchen war untröstlich, und mit ihr litt in fast gleichem Grade die gute, liebevolle Gräfin, welche keinen fremden Kummer sehen konnte, ohne auf's tiefste mit ergriffen zu werden.

      »Die Trauer meiner Schwester, vielleicht auch mit der Wunsch, den ihr immer lästiger werdenden erbschleichenden Verwandten aus dem Wege zu gehen, veranlaßten die Gräfin endlich, ganz fortzuziehen. Ehe sie aber diesen Entschluß zur Ausführung brachte, fragte sie Marie, ob sie mit ihr ziehen wolle. Als diese bereitwillig zusagte, wurde sogleich, zum größten Verdrusse der enttäuschten Verwandten, und den Vorkehrungen zum baldigen Aufbruche begonnen, wobei die alte Dame sich wieder von einer ganz besonderen Rührigkeit zeigte.

      »Ich glaube, noch keine zwei Monate waren verstrichen, seitdem die Entscheidung getroffen würde, da verließ die Gräfin mit ihrem ganzen Hausstande die Wohnung, in welcher sie länger als ein Vierteljahrhundert gelebt hatte, um in einer süddeutschen Stadt für den Rest ihres Lebens ihren Wohnsitz aufzuschlagm. Du erinnerst Dich vielleicht noch, es geschah dies in demselben Jahre, in welchem wir uns verheiratheten.

      »Was ich bis jetzt erzählte,« schaltete Reichart nach einer längeren Pause ein, »war sehr genau, weil ich bis zu diesem Zeitpunkte meine Schwester fast wöchentlich sah, also Alles gewissermaßen mit erlebte. Was nun folgt, ist dagegen eben nur das, was Marie nach ihrer Heimkehr mir flüchtig mittheilte, denn in den Briefen, die ich gelegentlich von ihr erhielt, berührte sie den Kummer ihres Lebens kaum.

      »Für Marie hatte der Wechsel ihres Wohnsitzes manches Angenehme, indem sie fortan von den Verfolgungen des ihr feindlich gesinnten Geschwisterpaares verschont blieb. Aber auch die alte Gräfin wurde geselliger, seit sie, statt mit den auf ihren Tod harrenden Verwandten, mit fremden Leuten verkehrte. Nur ein einziger Verwandter, ein alter Edelmann, und zwar der Vater der beiden bösen Geschwister, welcher dort in der Nähe lebte, stellte sich von Zeit zu Zeit ein, um sich nach dem Befinden der Gräfin, seiner leiblichen Tante, zu erkundigen.

      »Diese sah den alten Herrn sehr gern bei sich, und auch er schien mit großer Liebe an der Gräfin zu hängen und auf nichts weniger auszugehen, als irgend welche Vortheile von ihr zu ziehen. Marie behandelte er wie seines Gleichen, und dies freute die Gräfin in so hohem Grade, daß sie einst in meiner Schwester Gegenwart ganz laut zu dem Edelmanne sagte: »Vetter, ich sterbe viel beruhigter, seit ich die Ueberzeugung hegen darf, daß Du nach meinem Tode gewissenhaft für Marie, die mir ihre ganze Jugend zum Opfer gebracht hat, sorgen und ihre Ansprüche geltend machen wirst.« Der Edelmann hatte darauf meiner Schwester die Hand gedrückt, als ob er dadurch das schnöde Benehmen seiner Kinder habe ausgleichen wollen, und ihr das Versprechen abgenommen, sich jederzeit und in allen Lagen des Lebens seiner aufrichtigen Theilnahme zu erinnern. Dies war das einzige Mal, daß Mariens Zukunft in ihrer Gegenwart gedacht wurde. Ueber ihre eigenen Familienangelegenheiten sprach die Gräfin nie, und als sie einst eine Aenderung in ihrem Testamente vornahm, geschah dies so heimlich, daß meine Schwester kaum eine Ahnung davon erhielt.

      »Doch dies sind lauter Nebensachen; von meiner Schwester allein wollte ich sprechen,« unterbrach sich Reichart, nachdem er mit vieler Mühe die Mittheilungen Mariens vor seiner Frau auseinander gewirrt hatte.

      »Aber Du sprichst ja immerwährend von Marie,« versetzte die Bäuerin.

      »Ich erzählte bis jetzt von Menschen, mit denen sie damals verkehrte,« entgegnete Reichart, der nicht ohne innere Befriedigung entdeckte, daß seine Frau bei seinen Mittheilungen ihren Kummer vergessen zu haben schien; »jetzt aber komme ich zu dem Theile ihrer Lebensgeschichte, in welchem der Grund zu ihrem Herzeleid gelegt wurde.

      »Wie die Gräfin hier und da Bekanntschaften geschlossen hatte, so war auch Marie mit anderen Menschen in Berührung gekommen. Wenn sie es mir gegenüber auch nicht einräumte, so bezweifle ich doch nicht, daß Alle das schöne Mädchen bewunderten und der guten Eigenschaften wegen liebten. Sie war damals neunzehn Jahre alt, stand also in der Blüthe der Jugend; kein Wunder daher, daß die jungen Männer, reiche wie arme, die Augen auf sie warfen, sie auf Schritt und Tritt hin verfolgten und ihr auch wohl offen den Wunsch erklärten, sie als Frau heimzuführen. Doch alle Anerbietungen, die ihr gemacht wurden, wies sie zurück, wobei sie sich darauf berief, so lange ihre Wohlthäterin lebe, nicht von derselben weichen zu wollen. Dies hinderte sie indessen nicht, einem jungen Predigtamts-Candidaten, der in redlicher Weise um sie warb, ihre Liebe zuzuwenden, und sich ihm auf's ganze Leben und bis in die Ewigkeit hinein, gerade so, wie wir es vorher gemacht hatten, zu versprechen.

      »Die Sache, wie ich sie jetzt auffasse, hatte Hand und Fuß: der Candidat war aus den Jahren des Leichtsinns heraus und doch jung genug, um warten zu können, ich meine auf eine Pfarre und auf die Hochzeit. Ferner war er ein Freund des Edelmannes, der die Gräfin zuweilen besuchte. Auch wußte dieser um die Sache und hatte versprochen, den Candidaten in seinen Bemühungen um eine Pfarrstelle nach besten Kräften zu unterstützen. Aber auch die Gräfin sprach offen ihre Zufriedenheit mit Mariens Wahl aus, vorausgesetzt, daß sie mit der Hochzeit warte, bis sie ihr die Augen zugedrückt habe.

      »Es folgte darauf für meine Schwester eine Zeit, aus welcher ihr wohl, wie sie selbst sagt, ihres Lebens Kummer entsprang, die sie aber nichtsdestoweniger um keinen Preis aus ihrem Leben streichen möchte.

      »Ja, es hätte so schön werden können,« fügte Reichart sinnend und wie zu sich selbst sprechend hinzu, »und Marie mit ihrer Güte gegen Jedermann wäre gewiß eine Predigerfrau geworden, wie man nicht leicht eine zweite findet. Es sollte indessen nicht sein, und wer weiß, wozu es gut gewesen ist.

      »Marie war wohl seit anderthalb Jahren die Braut des Candidaten, da erkrankte plötzlich die Gräfin sehr schwer, so daß sich bei ihrem hohen Alter eine Aenderung zum Guten nicht mehr erwarten ließ. Marie war tief bekümmert, und nicht Tag oder Nacht wich sie vom Lager ihrer Wohlthäterin.

      »CCWeine nicht, meine liebe Tochter,‹ sagte diese dann wohl zu ihr, wenn deren Kummer sie rührte, ›ich bin so alt, daß ich meine Lebensaufgabe als erfüllt betrachten darf; ich freue mich nur, zuletzt noch einen würdigen Menschen gefunden zu haben, auf den ich mit den besten Hoffnungen auf eine gute Verwendung meine Habe übertragen konnte. Auch für Dich habe ich gesorgt,‹ fügte sie dann jedesmal hinzu, ›und dafür, daß Dir und Deinem Bräutigam der Anfang nicht so schwer wird.‹ Dann schärfte sie ihr auch ein, außer dem alten Edelmanne und den Aerzten Niemanden zu ihr hereinzulassen, und vor allen Dingen den Kindern des ersteren, wenn sie sich einstellen sollten, den Eintritt zu verwehren; sie wollte dieselben nicht wiedersehen.

      »Marie versprach Alles und hielt getreulich Wort. Aber es war, als ob der liebe Gott selber eine Verwirrung habe herbeiführen wollen; denn nur einmal noch kam der alte Edelmann an das Lager der sterbenden Gräfin, wogegen zwei Tage später die Nachricht eintraf, daß ein Schlagfluß seinem Leben ein Ende gemacht habe.

      »Marie war in Verzweiflung. Der Gräfin die Wahrheit einzugestehen, wagte sie nicht, auch widerriethen ihr dies die Aerzte auf's strengste. Sie gab daher vor, als die Gräfin wieder einmal nach dem Edelmanne fragte, derselbe sei bettlägerig krank, worauf diese sehr große Besorgniß äußerte und dringend bat, er möge um keinen Preis zu früh aufstehen, indem von seiner Gesundheit das Heil vieler Menschen abhänge. Was damit gemeint sein könne, bedachte Marie nicht weiter; ihr war nur darum zu thun, der Gräfin die traurige Kunde zu verheimlichen, um ihr den letzten Kummer in diesem Leben zu ersparen.

      »Des Edelmannes Kinder waren herbeigeeilt, um der Beerdigung ihres Vaters beizuwohnen und demnächst wohl auch ihre Erbschaft anzutreten. Merkwürdiger Weise machten sie keinen Versuch, die Gräfin zu sehen. Nur einmal erschienen sie im Hause, um sich nach der Gräfin Befinden zu erkundigen. Die Mittheilung meiner Schwester, daß die Kranke